ÖsterreichDie Hauptstadt-Wahlen mischen zwar die Karten neu – aber nicht die dominierende SPÖ auf

Österreich / Die Hauptstadt-Wahlen mischen zwar die Karten neu – aber nicht die dominierende SPÖ auf
Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig lässt in der „Impfbim" gratis gegen die Grippe impfen Foto: AFP/Joe Klamar

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Bei den am Sonntag stattfindenden Landtags- und Gemeinderatswahlen werden in Wien die Kräfteverhältnisse stark verschoben, ohne aber den SPÖ-Bürgermeister in Existenznot zu bringen.

Es ist die Wahl des Jahres in Österreich: 1,4 Millionen Wienerinnen und Wiener, nahezu ein Viertel der gesamten österreichischen Wählerschaft, sind am Sonntag nach einem Corona-bedingt auf Sparflamme gefahrenen Wahlkampf zur Kür des neuen Stadtparlaments aufgerufen. Wobei der sichere Verlierer feststeht: Die FPÖ wird einen weiteren Denkzettel erhalten für den Ibiza-Skandal ihres Ex-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache. Die auf Video gebannte Korruptionsanbahnung hat zur Folge, dass es viele Sieger geben wird. Von den 30,8 Prozent, die die FPÖ bei der letzten Wahl 2015 infolge der Flüchtlingskrise geholt hatte, werden voraussichtlich mehr als die Hälfte zur Konkurrenz abwandern. Verloren ist für die FPÖ auch die Hardcore-Fangemeinde des gestrauchelten Ex-Vizekanzlers. Ob der mit seinem neuen „Team HC Strache“ allerdings die Fünf-Prozent-Hürde überspringen wird, steht in den Sternen.

FPÖ und Strache matchen sich vor allem mit der Frage, wer das größere Opfer finsterer Machenschaften ist. Strache fühlt sich nicht nur wegen der ihm auf Ibiza gestellten Videofalle als Opfer einer gigantischen Verschwörung. „Auch du, mein Sohn Brutus“, schleuderte Strache seinem politischen Ziehsohn Dominik Nepp in einer TV-Konfrontation entgegen. Der neue Wiener FPÖ-Chef versucht freilich nur seine Haut zu retten, indem er die FPÖ zu Straches Opfer erklärt. Nepp war nämlich vor dem Ibiza-Knall für Parteifinanzen zuständig und muss sich ständig rechtfertigen, warum er nichts von den mutmaßlich gefälschten Rechnungen gewusst haben will, mit denen Strache sein privates Luxusleben auf Partei- bzw. Steuerzahlerkosten geführt haben soll. Damit sich nur ja nicht der Verdacht erhärte, die beiden könnten in besseren Tagen unter einer Decke gesteckt haben, ergreift Nepp die Flucht nach vorn und wirft seinem Ex-Chef Betrug vor. Die Frage werden letztendlich Gerichte zu klären haben.

Der blaue Bruderkrieg verhilft auch der ÖVP zu einem Triumph, den sie freilich nur im Lichte ihres letzten Debakels als solchen verkaufen kann. Umfragen signalisieren der 2015 auf das historische Tief von 9,2 Prozent abgestürzten Partei eine Verdoppelung. Bei der Nationalratswahl vor einem Jahr hatten die Türkisen fast 25 Prozent geholt. Das scheint nun nicht mehr drin, was auch am allmählich schrumpfenden Corona-Bonus von Bundeskanzler Sebastian Kurz liegt. Das Krisenmanagement der türkis-grünen Bundesregierung läuft nicht mehr rund. Die Bundes-ÖVP setzt auch alles daran, Mängel bei Tests und Contact-Tracing in Wien der rot-grünen Stadtregierung anzulasten, Finanzminister Gernot Blümel gibt als türkiser Spitzenkandidat aber vor allem den FPÖ-Imitator: Irgendwie haben alle Probleme der Stadt was mit Ausländern zu tun. „Deutsch fordern statt Multikulti fördern“, lautet ein ÖVP-Slogan, „Haltung statt rot-grüner Willkommenskultur“ ein anderer.

ÖVP macht auf FPÖ

Dass die Blümel unterstehende Finanzpolizei mitten im Wahlkampf in einer Aktion scharf gegen – meist von Zuwanderern betriebene – Kebab-Stände ausrückte, um Regelverstöße zu ahnden, sorgte ebenso für Kritik wie die von Blümels Ministerium überraschend veröffentlichten Ergebnisse einer Prüfung türkisch-islamischer Vereine. Noch vor Abschluss der Verfahren gab das Finanzministerium bekannt, dass 40 Prozent der 211 geprüften Vereine die Aberkennung der Gemeinnützigkeit bevorstehe. Zwar geht in manchen dieser Vereine tatsächlich nicht alles mit rechten Dingen zu, aber der Zeitpunkt der Bekanntgabe kurz vor der Wahl kann kaum Zufall sein.

Ihr Hardliner-Image pflegte die ÖVP auch im Streit um Moria. Bürgermeister Ludwig hatte angeboten, 100 Frauen und Kinder aus dem abgebrannten Lager auf der griechischen Insel Lesbos in der Bundeshauptstadt aufzunehmen. Die Ablehnung des Angebots empörte auch die auf Bundesebene mit der ÖVP koalierenden Grünen: „Der türkisen Partei ist es offenbar wichtiger, im Wiener Wahlkampf 100 Stimmen aus dem FPÖ-Teich zu fischen, als 100 Menschenleben zu retten“, polterte die Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein.

Damit offenbarte sie aber zugleich das Dilemma der Grünen: Sie tragen in der Kurz-Regierung zähneknirschend mit, was sie auf Wiener Landesebene scharf kritisierten. Umso verwunderlicher die guten Umfragewerte: Zwar sind die 20,7 Prozent der Nationalratswahl nicht in Reichweite, aber bei einer Prognosenbandbreite von 15 bis 17 Prozent winkt ein sattes Plus gegenüber 2015 (11,8). Möglicherweise hilft, dass der Klimaschutz trotz Corona nicht völlig aus dem Fokus geraten ist.

Umworbener Bürgermeister

Dem Wiener Bürgermeister hilft, was in Krisenzeiten vielen Regierenden nützt: Die Tendenz zur Bestätigung von Amtsinhabern. Obwohl Wien die mit Abstand höchsten Corona-Zahlen aufweist, zeigt das ÖVP-Dauerfeuer gegen Ludwigs Krisenmanagement kaum Wirkung, was wohl auch mit eigenen Fehlern der Kurz-Regierung zu tun hat. Ludwig hat es zudem geschafft, die krisengebeutelte SPÖ zumindest in seinem Bereich wieder in ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Nachdem er vor zwei Jahren Langzeitbürgermeister Michael Häupl nach einem Erbfolgekrieg abgelöst hatte, schaffte Ludwig das Kunststück, die verfeindeten Genossen wieder zu versöhnen. Auch wenn Ludwig nicht auf xenophobe Stimmungen spekuliert, kann auch er auf einen Teil vom FPÖ-Kuchen hoffen, weil die Blauen sich nach dem Ibiza-Debakel und Luxusspesenaffären nicht mehr glaubwürdig als die neue Arbeiterpartei inszenieren können. So mancher FPÖ-Wähler könnte nun zur alten Tante SPÖ zurückkehren, die jetzt auch nicht mehr wie früher das Wahlrecht für Ausländer fordert.

Somit ist nur das Ausmaß des roten Kantersieges fraglich. Selbst wenn die SPÖ nichts hinzugewänne, bliebe sie mit 40 Prozent voraussichtlich mehr als doppelt so stark wie der Zweitplatzierte. Prognostiziert sind 42 Prozent. Die ÖVP will sogar Umfragen haben, die eine „Absolute“ für Ludwig im Bereich des Möglichen sehen. Das aber soll wohl vor allem das türkise Klientel mobilisieren.

Auf jeden Fall braucht sich der Bürgermeister keine Sorgen um Mehrheiten zu machen. Die Grünen wollen die Koalition unbedingt fortsetzen, auch, um nicht nur als Anhängsel der ÖVP wahrgenommen zu werden. Die liberalen Neos dienen sich Ludwig ebenfalls als Koalitionspartner an, sofern sich eine gemeinsame Mehrheit ausgeht. Und sogar Gernot Blümel tat kund, seinen Ministerjob für den Vizebürgermeistersessel an Ludwigs Seite aufgeben zu wollen. Letzteres ist allerdings schwer vorstellbar. Denn eine Koalition mit den Sozialdemokraten würde der Kurz-ÖVP das beliebte Wien-Bashing verunmöglichen.

Es schaut also sehr danach aus, als würde sich in Wien trotz größerer Wählerwanderungen gar nicht viel verändern.