SchwedenDie Opposition verlangt Aufklärung im Fall der gesunkenen Fähre Estonia

Schweden / Die Opposition verlangt Aufklärung im Fall der gesunkenen Fähre Estonia
Auf einem Bild vom November 1994 ist die Bugklappe der „Estonia“ zu sehen Foto: AFP/Jaakko Avikainen/Lehtikuva

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Seit Anfang der vergangenen Woche Aufnahmen von der 1994 gesunkenen Fähre mit einem Loch gezeigt wurden, stehen die Sozialdemokraten mit Regierungschef Stefan Löfven unter Druck. Der Grund für die Katastrophe könnte ein Rammen durch ein U-Boot sein, wie einige Experten behaupten. Als offizielle Ursache gilt eine instabile Bugklappe, die in der stürmischen Nacht am 28. September offenbar abriss.

Dem schwedischen Filmteam, das die Aufnahmen im Auftrag des Dokumentarfilm-Unternehmens „Discovery“ verantwortet, droht nach schwedischem Recht eine zweijährige Haftstrafe wegen „Störung der Totenruhe“, da die Passagiere und Besatzungsmitglieder im Schiff nicht geborgen wurden.

Nun fordern Angehörige sowie die Opposition das Aufheben dieses Gesetzes und eine Unterwasser-Untersuchung. In einem offenen Brief beschwerten sich die Angehörigen, dass sich Löfven zwei Tage nach der Veröffentlichung klar gegen eine Gesetzesänderung stellte. Die Stiftung „Estonia-Opfer und Angehörige“ (SEA) wirft der Regierung vor, etwas verbergen zu wollen, und verlangt einen Tauchgang unter Aufsicht einer transparenten und internationalen Kommission. Auch die bürgerlichen Parteien und die rechten Schwedendemokraten verlangen eine Untersuchung und eine Debatte im schwedischen Parlament.

Am weitesten gehen dabei die konservativen Christdemokraten: „Ist es nicht wahrscheinlich, dass die (damalige) schwedische Regierung Informationen über Militärtransporte direkt nach dem Unglück erhielt? Kann dies nicht die Entscheidung erklären, das Schiff sowie die Toten nicht zu bergen?“, so deren außenpolitischer Sprecher Mikael Oscarsson. Der Politiker verlangt von der Regierung, entsprechende Dokumente offenzulegen, sonst bleibe der Fall weiterhin ein „Eldorado für Verschwörungstheoretiker“.

Die Fähre sank auf ihrem Weg von Tallinn nach Stockholm in einer stürmischen Nacht innerhalb einer halben Stunde. Dabei starben 852 Personen, da viele es gar nicht schafften, das Schiff zu verlassen. Andere ertranken in dem 13 Grad kalten Wasser, allein 137 Personen überlebten.

Im Jahr 2004 berichtete das schwedische öffentlich-rechtliche Fernsehen SVT, dass Waffen sowie Militärelektronik in den 90er Jahren mittels ziviler Fahrzeuge aus der ehemaligen Sowjetrepublik Estland nach Schweden transportiert worden seien. Dies räumten schwedische Behörden wie ehemalige estnische Politiker ein. Die letzten russischen Armee-Angehörigen verließen Estland im August 1994.

Spekulation

Auch die estnische Regierung hat sich mehrfach zu Wort gemeldet. Jüngst erklärte deren Innenminister Mart Helme: „Wenn wir die sterblichen Überreste bergen, identifizieren und den Nächsten übergeben, sodass sie ordentlich begraben werden können, hat dies nichts mit Störung der Totenruhe zu tun.“ Helme betonte zudem, da die Fähre unter estnischer Flagge gefahren sei, könne sein Land „dort tun, was es will“.

Die „Estonia“ sank in einer politischen Übergangszeit. Die bürgerlichen Moderaten verloren unter Premierminister Carl Bildt am 18. September 1994 die Wahlen, am 7. Oktober begann die Regierungszeit der Sozialdemokraten mit Ingvar Carlsson als Regierungschef. Nach anfänglichen Zugeständnissen, das Wrack zu bergen, erließ die Regierung Carlsson 1995 ein Tauchverbot und wollte sogar das Wrack mit einem Betonsarkophag umhüllen, was starke Proteste verhinderte.

Bis auf Carl Bildt wollen sich die damaligen Verantwortlichen nicht zur aktuellen Debatte äußern. Bildt beruft sich weiterhin auf den Untersuchungsbericht einer Kommission, die Schweden, Finnland und Estland 1997 verantworteten und der die instabile Bugklappe als Unfallursache ansieht. Es gibt jedoch Zeugenaussagen, die behaupten, das Wasser sei auch von unten gekommen.

In der Dokumentation erklärt Jorgen Amdahl, Professor für Marinetechnologie im norwegischen Trondheim, dass ein Objekt mit einer Kraft von 500 bis 600 Tonnen von außen in die Schiffsseite gestoßen sei, das ein Riss von vier Metern Höhe sowie über einen Meter Breite unter und oberhalb der Wasserlinie verursachte. Es soll sich dabei um ein U-Boot gehandelt haben.