Kopf des Tages„’t ass kee Witz“: Ein Porträt des Allround-Künstlers Steve Kaspar

Kopf des Tages / „’t ass kee Witz“: Ein Porträt des Allround-Künstlers Steve Kaspar

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Allround-Künstler Steve Kaspar ist tot

Er gehörte zum Inventar so mancher Luxemburger Kultkneipe: Wer öfters im Vis-à-vis, im Belairer Pacha oder schräg gegenüber im Bugatti hing, kam früher oder später ins Gespräch mit Steve Kaspar. Mit seinen langen, wuchernden Haaren und seinem aufgeweckten, neugierigen Blick schien Kaspar stets dem möglichen Gesprächspartner aufzulauern. In einen Zeitungsartikel vertieft, stand er oft nur Sekunden später neben seinen Mitmenschen, um Anekdoten aus seinem Künstlerleben zu erzählen, während er, wie sich Pacha-Inhaber Michel Groos erinnert, einen „Diamant“ bestellte – worunter Kaspar ein Glas Rosé mit einem Eiswürfel (quasi das minimalistische Pendant zum „Rosé-Piscine“) verstand.

Von einem exzentrischen Schwindler, der sich in luxemburgische Theaterhäuser einkaufen wollte, über die brodelnde Gerüchteküche bezüglich der Kulturhauptstadt – Kaspar war sehr eng mit dem Dramaturgen und früheren Direktor von Esch2022 Andreas Wagner befreundet – bis hin zu Begegnungen mit dem Nobelpreisträger Ilya Prigogine, dessen Arbeiten zur Thermodynamik ihn faszinierten: Seine Anekdoten begleitete der Künstler stets mit der Interjektion „’t ass kee Witz“ – damit sich der Zuhörer trotz seiner humorvollen Erzählweise bewusst wurde, dass hier jemand vor ihm stand, der die Kulturszene in- und auswendig kannte.

Denn Kaspar war alles andere als der exzentrische Entertainer, für den ihn so manche hielten. Wer ihm zuhörte, tauchte tief in ein Gesprächsgeflecht aus Erinnerungen, Aktualitätsbezügen, politischen Diskussionen und künstlerischen Ideenfetzen, die ihn rund um die Uhr beschäftigten, ein. Seine Anekdoten waren Portale zu Gesprächen über Kunst, mit der sich Kaspar auch spätabends noch auseinandersetzte.

So bescheiden der stets joviale Kaspar auch wirkte, so unumgänglich war der Musiker und Künstler für den Luxemburger Kulturbetrieb: Wer seinen Namen einmal auf dem Schirm hatte, stellte schnell fest, dass Kaspar mit Künstlern wie Robert Brandy, Tänzern und Choreografen wie Sylvia Camarda und Jean-Guillaume Weis, Musikern wie André Mergenthaler oder Kuratoren wie Hans Fellner oder Alex Reding zusammenarbeitete. Kaspars Betätigungsfelder waren vielfältig, wie es sein Freund Andreas Wagner zum Ausdruck bringt: „Steve Kaspar war nicht nur ein Künstler, der sich spielerisch zwischen Malerei, Zeichnung, Performance, Video, Musik und Konzept bewegt, sondern ein Künstler, der sich jenseits aller Gattungen und Förderprogramme zu sich selbst bewegte. Darin ist er allen Künstlern ein Modell für die Zukunft: nicht etwas zu erfüllen, Erreichen ist das Ziel, um man selbst zu sein.“

Im Interview mit dem Tageblatt bezeichnete sich Kaspar selbst als Träumer, der sich sehr schnell als Sänger und Performer entdeckt hat. Trotz seiner Neugier und seines Wissensdrangs war er zu ungeduldig, um eine akademische Karriere anzustreben – weshalb es ihn nach Köln zog, wo er Neues Musiktheater unter der Leitung des argentinischen Komponisten Mauricio Kagel studierte. Es gelang ihm jedoch nicht, dort seinen eigenen Ansprüchen zu genügen und eine eigene musikalische Sprache zu entwickeln, weswegen er nach Lüttich und Brüssel weiterzog. In der belgischen Hauptstadt, in der er zwischen 1981 und 1997 lebte, interessierte sich Kaspar für Klangpoesie und begann eine Serie nächtlicher Zeichnungen, die er mit einem Pinsel, den er nach eigenen Aussagen nie reinigte, anfertigte. Rund 20 davon stellte Galerist Alex Reding in diesem Jahr aus, die Galerie Nosbaum-Reding konnte dies wegen der Pandemie allerdings anfangs nur virtuell tun.

Es sollte die letzte Ausstellung (zu Lebzeiten) eines unermüdlichen Künstlers sein, dessen Schaffensdrang noch lange nicht versiegt war – und der virtuelle Galeriebesuche wohl skeptisch aufgefasst haben dürfte: Wenn Kaspar abends durch die Kneipen zog, suchte er dort vor allem die Inspiration in den Begegnungen, im Austausch mit seinen Mitmenschen. Sein unerwarteter Tod wird eine große Leere in der Kulturszene hinterlassen.