Alain spannt den BogenAußergewöhnliche Künstler in Serie

Alain spannt den Bogen / Außergewöhnliche Künstler in Serie
Pianist Paul Lewis Foto: Sébastien Grébille

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Der beliebte Tenor Rolando Villazon lädt auch in dieser Spielzeit zu seinem von ihm moderierten Konzertzyklus „Rolando raconte …“ ein. In lockerem Plauderton, wie man es von ihm gewohnt ist, hatte er in seinem ersten von insgesamt zwei Konzerten (das zweite folgt am 20. April 2021) Musikstücke rund um das Thema L’Allegria, also um Freude und Frohsinn, ausgewählt.

Die Musikliteratur ist sehr reich an Opernkomödien, lustigen Liedern und symphonischen Jubelfinalen, auch wenn der klassischen Musik allgemein das Etikett des Ernsten anhaftet. Doch wer die Welt der zauberhaften Opera buffa kennt, der weiß, dass auch in der Klassik durchaus gelacht werden darf. Humorvoll und kurzweilig nahm uns Rolando Villazon dann während 90 Minuten durch die Welt Mozarts, Offenbachs, Rossinis und Strawinskys mit. Ouvertüren und Arien wechselten sich ab. Ob jetzt in Mozarts „Con ossequio, con rispetto“ KV 210 und „Clarica cara mia sposa“ KV 256 oder Rossinis „La danza“, Rolando Villazon befand sich an diesem Abend in hervorragender Form, sodass alle von ihm vorgetragenen Arien und Lieder das Publikum vom Hocker rissen.

Am Pult des Orchestre Philharmonique, das traurigerweise den unerwarteten Tod eines Musikerkollegen zu beklagen hat, stand die Dirigentin Oksana Lyniv, ehemalige GMD vom Opernhaus Graz, die es trotzdem schaffte, das Orchester zu einer hervorragenden Leistung anzuspornen, was unter gegebenen Umständen bestimmt nicht einfach war. So wurden auch die Ouvertüren zu Mozarts „Entführung aus dem Serail“ und Rossinis „La gazza ladra“ sowie das Galop infernal aus Offenbachs „Orphée aux enfers“ und Igor Strawinskys unerwartete Pulcinella-Suite zu einem wirklichen Hörgenuss. Vor allem aber ließen sie das Publikum die sehr talentierte und äußerst dynamische Dirigentin Oksana Lyniv entdecken, die wir ganz sicher gerne am Pult des OPL wiedersehen würden. Mit einem Trinklied als Zugabe beendete Rolando Villazon dann diesen unterhaltsamen Musikabend. Und beim nächsten Mal wird sich der Publikumsliebling der Figur des Don Quixote annehmen. Man darf gespannt sein.

Ein Konzert zum Staunen

Das Wort hat es in der Musik schon immer gegeben. Da macht auch die zeitgenössische Musik keine Ausnahme. Am vergangenen Samstag konnten wir der Aufführung von Helmut Lachenmanns „… zwei Gefühle ….“ , Musik mit Leonardo für Sprecher und Ensemble aus dem Jahre 1992, beiwohnen. Lachenmanns Stück integriert den Text von Leonardo da Vinci gleichsam als eigenes Musikinstrument und benutzt ihn als phonetische Klangquelle, bei der Wörter auseinandergerissen, Buchstaben und Silben absichtlich durcheinandergebracht oder ganz ausgelassen werden.

Ich saß in der fünften Reihe und leider schien Lachenmann, der den Text selbst artikulierte, sehr schlecht platziert bzw. war die Verstärkeranlage ungenau eingestellt, sodass ich akustisch kaum irgendetwas vom vorgetragenen Text verstand. Somit konzentrierte ich mich mehr auf das originelle musikalische Geschehen, das vom SWR-Symphonieorchester spielerisch hervorragend und räumlich sehr gut in Szene gesetzt wurde.

Der neue Chefdirigent und „gerne als enfant terrible“ der Klassikszene bezeichnete Teodor Currentzis hatte sich für dieses Konzert dann auch ein ganz und gar außergewöhnliches Programm zusammengestellt. Auf Lachenmanns „… zwei Gefühle ….“ folgte der erste Teil der 300 Jahre vorher komponierten Sonata D-Dur C 61 „La battalia“ für Streicher und Basso continuo (1673) von Heinrich Ignaz Franz Biber, ein Werk, über dessen Schönheit, Einfallsreichtum und Modernität man heute nur noch staunen kann. Currentzis und die Solistin Patricia Kopatchinskaja wanderten bei der Wiedergabe durch das Orchester und dirigierten resp. spielten demnach von verschiedenen Plätzen.

So kam neben der genial ausgearbeiteten Interpretation, bei der quasi sowohl die barocken wie auch moderrnen Elemente interpretatorisch stark herangezoomt wurden, auch die besondere Dynamik sehr gut zur Geltung. Nahtlos fügten Currentzis und Kopachinskja dann „Giacinto Scelsis Anahit. Poême lyrique dédié à Venus“ aus dem Jahre 1965 an Bibers Sonata und zeigten somit, wie wunderbar barocke Klassik und neue Musik doch miteinander harmonieren können. Nicht im Programm erwähnt war das letzte Werk (oder die Zugabe), bei dem Teodor Currentzis und Patricia Kopachinskaja auch noch im Duett sangen – Hierbei handelte es sich um das Lied „Weep you no more, Sad Mountains“ von John Dowland (1563-1626).

Ein hochrangiger Beethoven-Interpret

Nachdem wir bei diesen beiden Konzerten den Pfad eines üblichen Konzertprogrammes zugunsten neuer Ideen verlassen hatten, präsentierte uns der britische Pianist Paul Lewis am Dienstag wieder ein klassisches, wenn in diesem Rahmen auch außergewöhnliches Programm, das diesmal ganz auf Ludwig van Beethoven zugeschnitten war. Der Jubilar war mit der Fantasie in g-moll op. 77 und den Diabelli-Variationen op. 120 vertreten, also zwei Werken, die man sehr selten im Konzertsaal hört. Vor allen Beethovens Diabelli-Variationen werden vom großen Publikum noch immer etwas verkannt.

Tatsächlich ist dieses Werk mit der Opus-Zahl 120 auch Beethovens letztes Klavierwerk. Für Gerhard Oppitz gehören die Diabelli-Variationen zu den großen Werken der Musikgeschichte, „die wir erst jetzt zu verstehen beginnen“. Für Hans von Bülow sind sie ein „Mikrokosmos des Beethovenschen Genius, ja sogar ein Abbild der ganzen Tonwelt“. Und es ist sein längstes, das je nach Aufführungsdauer zwischen 50 und 60 Minuten dauert. In den Diabelli-Variationen verarbeitet Beethoven einen simplen Walzer des Verlegers und Komponisten Anton Diabelli und schafft dabei einen eigenen musikalischen Kosmos voller kompositorischer Überraschungen und voller Humor. Beethoven selbst nennt den Zyklus „Veränderungen“, weil er selbst die bis dahin übliche Variationstechnik völlig verändert. Die Diabelli-Variationen behandeln das ganze Spektrum menschlicher Gefühle, allerdings immer mit einem gewissen Augenzwinkern. Und gerade dieses Humoristisch-Leichte macht Paul Lewis in seiner Interpretation sehr deutlich. Der Schüler von Alfred Brendel begeistert mit einem sehr klaren, unpathetischen und virtuosen Spiel.

Niemals verfällt er ins Pathetische oder in virtuose Eigendarstellung. Im Gegenteil, Lewis’ Beethoven ist wunderbar getimt, die Klangbalance immer präzise, sowohl bei jeder Variation wie auch im Ganzen. Die Tempi, so schnell sie auch manchmal sein mögen, lassen jede einzelne Note erkennen. Lewis spielt einfach brillant und unterstreicht den Dur-Charakter des Werkes durch sein klares und immer schönes Spiel. Natürlich setzt er auch Akzente, spielt dann wieder ungemein zart und überrascht immer wieder durch interessante Wendungen. Das Publikum erlebt somit eine in sich geschlossene, äußerst abwechslungsreiche und hundertprozentig stimmige Aufführung dieses tollen Werkes.