Lust zu lesenDie Schlucht der Liebenden

Lust zu lesen / Die Schlucht der Liebenden

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Auf der Suche nach der großen Liebe geht Perwana einige Beziehungen mit Männern ein. Das wäre nichts Besonderes, würde sie das nicht in einem Land zunehmender religiöser Radikalisierung tun.

Zu Hause dient sie dem Vater und den Brüdern nur als Putze, die verachtet wird, weil sie eine Frau ist. Als sie Fareydun kennenlernt, brennt sie mit ihm durch und die beiden werden von einem Mob aufgebrachter Moralshüter gejagt. Da sie nicht das einzige Paar sind, das das Leben in der Stadt nicht mehr aushält, fliehen noch etliche andere, geleitet vom Fotografen Nasradin, der sich zum Lebenszweck gemacht hat, den Liebenden eine Existenzmöglichkeit zu schaffen. In einer Schlucht im Wald siedeln die Paare sich an. Was als Paradies entworfen wird, zeigt sich schnell als eine nicht lebbare Utopie. Die Paare streiten, die Männer misshandeln ihre Frauen, ökonomische Zwänge lassen sie leiden. Und doch scheint es in diesem Abgrund besser zu sein als im Gottesstaat.

Parallel zu Perwanas Geschichte lässt der kurdisch-irakische Autor Bachtyar Ali Klein Khandan, Perwanas Schwester, erzählen, was sie selbst in diesen Jahren in der Stadt durchmacht. Um sie vor den Fängen Satans zu schützen, muss sie in die „Schule der Reumüten Schwestern“, ein Ort der Abtötung jeglicher Freude oder gar Lust, ein Verlies, in dem die weiblichen Familienangehörigen gefallener Mädchen untergebracht werden, damit sie dem Beispiel der Abtrünnigen nicht folgen können. Während dem Leben Perwanas im vermeintlichen Paradies zuweilen etwas Surreales, ja Weltfernes anhaftet, besticht die Beschreibung von Khandans Alltag mit einer grausamen Härte, die mehr als einmal das Unerträgliche streift, unerträglich nicht zuletzt deshalb, weil der Leser bei aller Fiktion um den ungeschönten Realismus weiß.

Bachtyar Ali hat mit „Perwanas Abend“ ein sehr engagiertes Buch geschrieben, versucht er doch nachzuzeichnen, dass die größte Gotteslästerung darin besteht, Gott in seiner Vielfalt auf eine einzige Deutung zu reduzieren. Wie können Menschen die Liebe der Paare mit dem Tod bestrafen, wenn Gott selbst der absolute Ausdruck der Liebe ist? Es ist ein Roman, der mit großer erzählerischer Sprachkraft und einer eindringlichen Bildlichkeit die Stimme gegen Fanatismus, Islamismus und Gewaltdiktatur erhebt und dabei den Figuren die Möglichkeit belässt, sich zu irren. Nicht nur Klein Khandan ist weiser am Ende der Geschichte. Auch der Leser ist durch etliche Emotionen hindurchgelaufen, die sein Denken lange noch nach der letzten Seite in Anspruch nehmen. GuH

Infos

Bachtyar Ali: Perwanas Abend. Roman. Aus dem Kurdischen übersetzt von Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim. Unionsverlag, Zürich 2019. 280 S., 22 Euro