Leben mit BrustkrebsDurch die Brust mitten ins Herz

Leben mit Brustkrebs / Durch die Brust mitten ins Herz
Brustkrebs ist das häufigste Karzinom, an dem Frauen erkranken. Die Therapie beginnt mit der Verabreichung von Medikamenten, die das Wachstum von schnell wachsenden Zellen hemmen. Oft folgen ein operativer Eingriff sowie Strahlentherapie. Foto: Unsplash/National Cancer Institute

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Brustkrebs ist das häufigste Karzinom, an dem Frauen erkranken. Patienten haben dabei nicht nur mit der lebensbedrohlichen Krankheit zu kämpfen, sondern auch mit erheblichen psychischen und ästhetischen Belastungen. Wie damit leben und den Krebs besiegen, wollte unsere Korrespondentin Elke Bunge wissen.

Krebs haben immer nur die anderen. So dachte auch meine Freundin Jo. Wir kennen uns schon aus Kindertagen, gingen zusammen zur Schule, haben uns in Studienzeiten aus den Augen verloren und später doch wiedergefunden. Jo war und ist eine attraktive, kluge und selbstbewusste Frau. In Jugendzeiten habe ich sie häufig wegen ihrer schönen, langen und kräftigen Haare bewundert. Heute – nach der Krankheit – trägt sie eine Kurzhaarfrisur, noch sind seit der Chemotherapie nicht alle Haare auf dem Kopf und sämtliche Wimpern nachgewachsen.

Die Diagnose kam aus heiterem Himmel. Jo ist eine umsichtige Frau, die ihren Körper gut kennt. Regelmäßig nahm sie gynäkologische Untersuchungen wahr, bei denen natürlich auch die Brust abgetastet wurde. Doch kein Knötchen konnte dabei gefunden werden. Erst bei einem Reihen-Screening wurde eine Gewebeverhärtung in der Mammografie entdeckt. Eine folgende Gewebeuntersuchung ergab: Es handelte sich dabei um eine maligne Geschwulst. Eine Operation war unausweichlich. Die noch zu klärende Frage blieb: Hatte das Karzinom bereits gestreut, waren größere Gewebebereiche befallen und somit eine Mastektomie, eine Entfernung der Brust, unumgänglich?

Glück im Unglück

Jo hatte Glück im Unglück: Nach einer weiteren Konsultation entschieden die Mediziner, lediglich den Primärtumor zu entfernen. Den chirurgischen Eingriff sollten sowohl eine Chemo- als auch eine Strahlentherapie begleiten.

Im ersten Schritt wurden ihr Zytostatika verabreicht, Medikamente, die vor allem schnell wachsende Zellen wie Tumore hindern, sich zu vermehren. Der einhergehende Nachteil dieser Behandlung ist, dass Zytostatika auch gesunde Zellen, die normalerweise schnell wachsen – wie Haare oder Fingernägel – angreifen und deren Vermehrung ebenfalls hemmen. Sichtbar zeigt sich dies an ausfallenden Kopf- und Gesichtshaaren, ein Umstand, mit dem frau erst einmal zurechtkommen muss. Doch der gesundheitliche Vorteil der Behandlung überwog deutlich die ästhetischen Bedenken: Der Tumor konnte einerseits verkleinert werden, zum anderen greifen Zytostatika auch zu vermutende Mikrometastasen an, die zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose noch nicht nachweisbar waren. In der anschließenden minimalinvasiven Operation konnte das Karzinom entfernt werden, ohne dass die gesamte Brust abgenommen werden musste. Mit einer anschließenden Strahlentherapie sollten möglicherweise postoperativ übrig gebliebene Tumorzellen zerstört werden. Mit modernen Geräten wird das sogenannte Tumorbett derart bestrahlt, dass möglichst wenige angrenzende gesunde Zellen in Mitleidenschaft geraten. Dies lässt sich trotz aller Innovation auf diesem Gebiet nicht völlig vermeiden, doch gegenüber früheren Strahlentherapien deutlich eingrenzen und für die Patientin weniger belastend gestalten.

Jo kam nach einem viertägigen Klinikaufenthalt wieder nach Hause. Chemotherapie und Bestrahlung blieben nicht ohne Wirkungen. Den positiven: Die Tumorzellen scheinen nach aktuellen Diagnosen alle ausgemerzt zu sein. Und den negativen: Die Behandlungen belasteten den Körper, Müdigkeit, Übelkeit, Glieder- und Muskelschmerzen waren in den ersten Wochen nach der Operation häufige Begleiter. Dann jedoch verbesserte sich ihr Gesundheitszustand, das Wohlbefinden kehrte zurück, auch wuchsen die Haare wieder. Wichtig in all den Wochen war die stabile Unterstützung, die sie aus der Familie erhielt – Mann und Kinder unterstützten Jo bei allen Schritten der Therapie, so konnte sie auch die psychischen Probleme der Krankheit, die Angst ums Leben, die immer mitschwang, die Furcht, unattraktiv für den Partner zu werden, gut bestehen. Die Familie, so gesteht sie lächelnd ein, ist in diesen Zeiten zusammengewachsen.

Brustersatz nach radikaler Operation

Nicht alle Patientinnen haben mit dieser schweren Erkrankung so viel Glück wie meine Jugendfreundin. Bei etlichen wird der Tumor erst spät erkannt. In anderen Fällen haben sich die Krebszellen bereits diffus verteilt und sind nicht mehr konkret einzugrenzen. In solchen Fällen hilft nur die radikale Operation, die Mastektomie. Hierbei wird die betroffene Brust vollständig entfernt, häufig, um das Risiko einer fortschreitenden Erkrankung mit tödlichem Ausgang zu bannen, auch beide Brüste. Entfernt wird dabei das Drüsengewebe, die Brustfaszie, der Muskel, auf dem die Brust aufliegt, bleibt meist erhalten. Häufig bildet er später die Basis für einen kosmetischen Wiederaufbau der Brust. Dies gelingt jedoch auch nicht immer – viele Patientinnen leben mit Brustprothesen (Epithesen) oder auch nur formgebender stützender Kleidung. Ob Implantate, Epithesen oder formstützende BHs – der Brustersatz hat nicht nur optische Wirkung. Er erfüllt auch ebenso wichtige orthopädische Aufgaben. Denn durch die Amputation gerät die Statik des Körpers aus dem Gleichgewicht, was zu erheblichen Beschwerden im Rücken-, Schulter- und Nackenbereich führen kann. Das Tragen einer Prothese stellt die gleichmäßige Belastung beider Schultern wieder her und verhindert damit Haltungs- und Folgeschäden.

Viele Frauen tragen Epithesen oder brustformgebende Kleidung nur so lange, bis die Operationswunden verheilt sind und an einen chirurgischen Brustaufbau gedacht werden kann. Verschiedenste Materialien werden für einen temporären oder auch dauerhaften Brustersatz genutzt. Eine junge, selbst am Krebs erkrankte Frau aus Maine/USA, Besitzerin eines Wollladens, kam auf die Idee, sich nach ihrer Mastektomie selbst eine Prothese zu stricken (siehe Beitrag auf S. 3) – der Gedanke verbreitete sich ebenso weltweit wie die Bewegung „Knitted Knockers“.

Die Bewegung drückt aus, was viele Frauen empfinden: selbstbewusst mit der Krankheit umgehen, nach vorn sehen, im Jetzt leben, die Krankheit besiegen. Eine Krankheit, die nicht nur die physische Befindlichkeit der Betroffenen befällt, sondern auch ihre Psyche. Hilfe ist dabei dringend geboten, sowohl professionelle mit Psychotherapeuten, die Patienten und Angehörige in den schweren Zeiten begleiten. Aber auch Unterstützung und Solidarität in der Partnerschaft, der Familie oder durch gute Freunde.