SpanienAbsetzung des Ministerpräsidenten verschärft Krise in Katalonien

Spanien / Absetzung des Ministerpräsidenten verschärft Krise in Katalonien
Quim Torra, ehemaliger Regionalpräsident von Katalonien, wurde durch ein Urteil des Obersten spanischen Gerichts quasi seines Amtes enthoben Foto: dpa/Europa Press/David Zorrakino

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Hochspannung in der spanischen Konfliktregion Katalonien: Nach der gerichtlich verfügten Amtsabsetzung des katalanischen Ministerpräsidenten und Separatistenchefs Quim Torra gingen in Barcelona und anderen Städten Tausende von Unabhängigkeitsbefürwortern auf die Straße. Die Demonstranten bezeichneten das Gerichtsurteil als „ungerecht“ und warfen dem spanischen Staat vor, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung wegen ihrer Ideologie zu verfolgen.

Am Rande der Proteste kam es zu vereinzelten Ausschreitungen, als Steine gegen die Polizei flogen und Müllcontainer brannten. Sechs Personen wurden festgenommen. Die Sicherheitskräfte in Katalonien befinden sich seit der Urteilsverkündung in Alarmbereitschaft. Vor einem Jahr war es nach der Verurteilung von neun Separatistenführern, denen illegale Aktivitäten angelastet worden waren, zu tagelangen Krawallen gekommen.

Am Montag hatte Spaniens Oberster Gerichtshof verkündet, dass Torra wegen Ungehorsams gegenüber dem spanischen Staat ein 18-monatiges Amtsverbot und eine Geldstrafe von 30.000 Euro auferlegt wird. Damit bestätigte das Tribunal in Madrid eine entsprechende Verurteilung eines Gerichts in Katalonien, das gegen Torra bereits Ende 2019 ein Betätigungsverbot verhängt hatte. Da der 57-jährige Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung damals Widerspruch einlegte, war der erstinstanzliche Richterspruch aber noch nicht rechtskräftig.

Gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofes ist nun keine Berufung mehr möglich. Das gegen Torra ausgesprochene politische Betätigungsverbot kommt einer sofortigen Amtsenthebung gleich, da das Urteil mit der Veröffentlichung Rechtskraft erlangte.

Torra war wegen eines jener Akte des Ungehorsams auf der Anklagebank gelandet, mit dem er in der Vergangenheit immer wieder den spanischen Staat herausgefordert hatte. Dabei ging es nun konkret um ein riesiges Plakat der Unabhängigkeitsbewegung, auf dem „Freiheit für die politischen Gefangenen und Exilanten“ gefordert wurde. Derartige Transparente hängen an vielen Häusern in Katalonien. Aber Spaniens Wahlbehörde störte sich daran, dass diese Botschaft vor der spanischen Parlamentswahl 2019 auch am Sitz des katalanischen Regierungschefs, also dem Amtsgebäude von Torra, im Wind wehte.

Der Aufforderung, das Transparent zu entfernen, kam Torra damals nicht nach. Auch der Hinweis, dass laut Gesetz in der Vorwahlzeit keine politischen oder parteilichen Botschaften an öffentlichen Gebäuden erlaubt sind, überzeugte ihn nicht. Torra berief sich darauf, dass das Plakat durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei. Das war übrigens nun auch das Hauptargument seiner Verteidiger, die diesen Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen wollen.

Der EU-Gerichtshof hat schon ein paar andere Urteile gegen katalanische Separatistenführer zur Überprüfung vorliegen. Denn auch die „politischen Gefangenen und Exilanten“, auf die das Transparent des Anstoßes Bezug nimmt, sehen sich durch Spaniens Justiz ihrer Grundrechte beraubt. Als „politische Gefangene“ bezeichnet die Separatistenbewegung jene neun Anführer, die vor einem Jahr wegen eines rechtswidrigen Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017 zu längerer Haft verurteilt worden waren. Als „Exilanten“ gelten Kataloniens Ex-Ministerpräsident Carles Puigdemont und sechs weitere katalanische Politiker, die nach der unerlaubten Volksabstimmung ins Ausland flohen.

Immer weniger wollen Unabhängigkeit

Man darf gespannt sein, wie es nun in Katalonien weitergeht. Alles deutet darauf hin, dass nach der Absetzung Torras zunächst der bisherige Vize-Ministerpräsident Pere Aragonès die Amtsgeschäfte übernehmen wird. Die in Katalonien regierenden Unabhängigkeitsparteien müssen unterdessen einen Ausweg aus der Krise suchen: Entweder sie einigen sich auf einen neuen Regierungschef aus den eigenen Reihen, was aber wegen tiefen Streits über den Unabhängigkeitskurs unwahrscheinlich ist. Oder es müssen Anfang 2021 Neuwahlen angesetzt werden, in denen die politischen Karten in Katalonien neu gemischt werden könnten.

Umfragen zufolge hat Torras ziemlich kompromisslose Separatistenpartei Junts per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien), bisher die stärkste Bewegung der Region, an Unterstützung verloren. Stattdessen scheint nun der bisherige Junior-Koalitionspartner, die moderatere Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana (Republikanische Linke), die Nase vorn zu haben.

Doch der Machtkampf, der im Separatistenlager tobt, scheint die Unabhängigkeitsbewegung zunehmend zu ermüden. Laut der neusten Umfrage des öffentlichen katalanischen Meinungsforschungsinstituts CEO wollen mittlerweile nur noch 42 Prozent der Katalanen einen eigenen Staat. Vor drei Jahren, als das umstrittene Unabhängigkeitsreferendum stattfand, bestanden noch 48,7 Prozent der katalanischen Bevölkerung auf der Abspaltung von Spanien.