Planlosigkeit der InstanzenWie ein Lehrer die partielle Quarantäne erlebt hat

Planlosigkeit der Instanzen / Wie ein Lehrer die partielle Quarantäne erlebt hat
Bei einer partiellen Quarantäne sollen Lehrer und Schüler weiter in die Schule gehen, müssen aber gesonderte Maßnahmen einhalten. Ein erster Fall an einer luxemburgischen Grundschule offenbart allerdings, dass es noch große Planlosigkeit in Bezug auf die Prozedur gibt. Symbolbild: dpa/Jesús Hellín

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Zum ersten Mal im neuen Schuljahr wurde eine Klasse in partielle Quarantäne versetzt. Der betroffene Grundschullehrer berichtet uns über den katastrophalen Werdegang der gesamten Prozedur. Wir haben bei den einzelnen Akteuren nachgefragt, wie eine solche Situation eigentlich gehandhabt werden sollte.

Es ist Freitagabend 21.30 Uhr. Beim Grundschullehrer klingelt das Telefon dreimal hintereinander. Beim dritten Mal geht er dran. Eigentlich hatte er bereits halbwegs geschlafen, das Handy war auf lautlos gestellt. Der Anruf kommt von der Regionaldirektorin. Sie ist aufgebracht und berichtet ihm, dass er einen positiven Covid-Fall in seiner Klasse hat. Diese komme demnach in partielle Quarantäne. Die neuen Regelungen sehen in diesem Fall vor, dass Lehrer und Schüler weiter in die Schule gehen, allerdings unter besonderen sanitären Maßnahmen. Die Direktorin fordert ihn auf, alle Eltern seiner Schüler unverzüglich am Samstagmorgen anzurufen. Dann soll er ebenfalls eine Mail verschicken, neue Maßnahmen in seiner Klasse applizieren und mit der „Maison relais“ alles abchecken und dieser alle Daten zukommen lassen. Der Lehrer stoppt die Direktorin und weist sie darauf hin, dass es Freitagabend ist und dass man die Details auch am Samstagmorgen besprechen könne.

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Nach einer unruhigen Nacht für den Lehrer meldet sich die Regionaldirektorin morgens um acht zuerst per Mail und wenig später folgt ein Anruf. „Ich darf den Eltern nicht verraten, wer sich infiziert hat. Aber genau das ist es, was sie am ehesten wissen wollen“, sagt der Lehrer im Tageblatt-Gespräch. Nach dem aktuellen Stand weiß der Grundschullehrer nicht, wie und was er den Eltern am Telefon erzählen soll und lehnt die Aufforderung entschieden ab. „Das Ganze sieht nur schrecklich improvisiert aus und fällt dann auf mich zurück“, sagt er.

Auf Nachfrage beim Bildungsministerium wird uns erklärt, dass dies nicht der normalen Prozedur entspreche. Als wir dann präzisieren, um welche Regionaldirektion es sich handelt, teilt uns das Ministerium, nachdem es sich dort informiert hatte, mit: „Es stimmt nicht, dass die Regionaldirektion den Lehrer beauftragt hat, die Eltern anzurufen.“ Der Lehrer habe einen Informationsbrief an die Eltern gemailt, weil er als Klassenlehrer die Mailingliste der Eltern seiner Schüler besitze. „Dieser Brief wurde von der Direktion aufgesetzt.“ Auch das Tageblatt versuchte, die Regionaldirektion dazu zu befragen. Der angekündigte Rückruf zur Klärung dieser Frage blieb bis Redaktionsschluss allerdings aus.

Ich darf den Eltern nicht verraten, wer sich infiziert hat. Aber genau das ist es, was sie am ehesten wissen wollen.

Grundschullehrer

Zur „Rentrée“ wurden alle Lehrer zweimal explizit darauf hingewiesen, die „Scolaria“-Plattform bis zum 18. September komplett und auf dem neuesten Stand zu halten. Ein wichtiger Schritt, damit man im Fall einer Quarantäne einen schnellen Zugriff auf alle aktuellen Daten der Schüler hat. Dort wird alles zentral gespeichert. Deswegen wundert sich der Lehrer darüber, dass die Regionaldirektion ihn nun aufgefordert habe, die Daten seiner Schüler aus der Plattform herauszukopieren und ihr diese zuzusenden. Denn diese habe uneingeschränkten Zugriff auf diese Plattform und somit auf alle Daten von Schülern aus der Region.

Austausch zwischen Akteuren nicht verbessert

Im Sinne des Tracing müsse nun auch festgestellt werden, welche Kinder aus dieser Klasse zu welchen Zeiten die „Maison relais“ besuchen. So wurde der Lehrer von der Direktorin dazu angehalten, in die Schule zu fahren, um die entsprechenden Dokumente zu holen. Der Lehrer weigerte sich, die 20-minütige Fahrt auf sich zu nehmen, weil ein Anruf oder eine E-Mail zwischen der Regionaldirektion und der Gemeinde wesentlich effizienter sei. So könnten nämlich etwaige Änderungen bzw. Rückfragen direkt geklärt werden. „Wir hätten uns gewünscht, dass die Erfahrungen aus dem Lockdown auch in diesem Fall zu einem verbesserten Austausch zwischen den Institutionen geführt hätte“, sagt der Lehrer.

Laut ihm habe der Präsident des Schulkomitees vor Schulbeginn bei der Regionaldirektion nachgefragt, ob ein klarer Plan bestehe, wie man vorgehen sollte, wenn es zu Quarantänen kommen würde. „Damit hätte man Abläufe, Kommunikationswege und Informationsprozeduren geschaffen, die den Improvisationsteil und die einhergehende Unsicherheit minimiert hätten.“

Am Sonntag gegen 14.30 Uhr klingelt erneut das Privathandy. Ein Mitarbeiter der „Santé“ teilt dem Grundschullehrer nun offiziell mit, dass er einen Schüler in seiner Klasse habe, der Covid-positiv getestet wurde. „Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es noch einen zweiten Infektionsfall geben würde.“ Eine Klasse, die unter Quarantäne steht, unterliegt strengeren sanitären Maßnahmen als andere Klassen. Lehrer und Schüler müssen ständig eine Maske tragen. Die Kinder dürfen nicht mehr mit dem Schulbus befördert werden, dürfen während der Pausen nicht mehr in den Pausenhof gehen, der Sport- und Schwimmunterricht fällt aus und jene Schüler, die in der „Maison relais“ eingeschrieben sind, haben kein Anrecht mehr darauf.

Wieso muss ein Lehrer in seiner Freizeit zu Hause bleiben, gleichzeitig aber in der Schule inmitten von Kindern Unterricht halten? Auf welcher gesetzlichen Grundlage basiert diese Ausnahmeregelung? Auf diese Fragen hat uns das Bildungsministerium einige Antworten gegeben. Das Ziel sei es, den Schülern ihr Recht auf Bildung zu garantieren und gleichzeitig die nötigen Schutzmaßnahmen zu garantieren, so das Bildungsministerium zur Begründung. „Maximale Chancen für die Bildung und minimale Chancen für das Virus.“ Darin bestehe auch ein breiter politischer Konsens, so das Ministerium weiter. „Deshalb wurde in der Regierung ein Stufenmodell angenommen, das am 4. September vorgestellt wurde.“ Dieses Modell sehe vor, dass Schüler und Lehrer weiter in die Schule gehen, solange sich das Virus nicht in der Schule weiterverbreitet hat.

Unser Lehrer versteht es dennoch nicht, wieso er einerseits unter Hausarrest steht und beispielsweise die eigenen Kinder nicht mehr von der Schule abholen darf, andererseits aber arbeiten gehen kann.

Am Sonntag gegen 18.00 Uhr bekommt der Lehrer eine Mail vom Vater einer seiner Schüler. Sein Kind sei positiv getestet worden. Am Montagmorgen fehlten die beiden infizierten Schüler. „Die anwesenden Schüler hatten lauter Fragezeichen auf der Stirn, deshalb nahm ich mir am Montagvormittag viel Zeit, um mit ihnen darüber zu sprechen“, sagt der Lehrer.

Verzögerung wegen hoher Infektionszahlen

Am Freitag wurde also der erste Fall eines positiven Schülers bekannt. Am Sonntag um 15.00 Uhr hat sich die „Santé“ mit der offiziellen Nachricht an den Lehrer gewendet. „In der Regel werden die Kontakte einer infizierten Person innerhalb des gleichen Tages benachrichtigt“, sagt Laetitia Huiart, Leiterin der Tracing-Einheit des Sanitäramtes. Das Gleiche gelte für die Schulen. „Kommt das Resultat am Abend, dann werden die Personen am folgenden Morgen kontaktiert.“ Deshalb sei eine Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium auf die Beine gestellt worden. „Diese Mitarbeiter des Bildungsministeriums können uns sehr schnell Daten der Lehrkräfte oder Schüler geben“, sagt Huiart. Vergangene Woche habe es höhere Infektionszahlen mit vielen Kontakten gegeben. Dies habe ein wenig zu Verzögerungen geführt.

Seit dem Ende des vergangenen Schuljahres gibt es eine enge Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium. Davor sei das problematisch gewesen, wenn es am Wochenende zu Infektionen kam. „Dann mussten wir meist bis Montagmorgen warten, bis wir einen bestimmten Direktor erreichen konnten, um weitere Angaben zu bekommen. Dieser Prozess wurde nun beschleunigt.“

Mit der Rentrée und den Besuchen von Sportvereinen gibt es nun viele Kontakte. Deshalb braucht es viel Zeit, jeden zu kontaktieren.

Laetitia Huiart, Leiterin der Tracing-Einheit des Sanitäramtes

Das Sanitäramt bekommt, so Huiart, alle Resultate mitgeteilt. In der Regel zur gleichen Zeit, wie das Laboratorium den Patienten benachrichtigt. Manchmal gebe es einige Stunden Verzug, was auf das informatische System des Laboratoriums zurückzuführen sei. „Wir rufen dann innerhalb weniger Stunden die positiv getestete Person an. Wir fragen sie, wo sie in den vergangenen 48 Stunden war, bevor die Symptome auftauchten. Wir stellen auch die Frage, ob sie überhaupt Symptome hat. Wenn ja, fragen wir, seit wann sie diese hat. Dann wollen wir wissen, was die Person in den 48 Stunden vor den Symptomen gemacht hat, Tag für Tag. Anschließend wird abgewägt, wer ohne Maske oder zu nah war und deshalb ein Risiko ist oder nicht. Jene, die potenziell einem Risiko ausgesetzt waren, werden ebenfalls kontaktiert. Mit der Rentrée und den Besuchen von Sportvereinen gibt es nun viele Kontakte. Deshalb braucht es viel Zeit, jeden zu kontaktieren“, sagt Huiart.

Auf unseren konkreten Fall angesprochen, antwortet Huiart: „Wir können nichts darüber sagen, wie Schulen, Direktionen und Lehrer untereinander operieren. Nur so viel: Es ist schon passiert, dass wir auf die Hilfe von Direktionen angewiesen waren, wenn es nicht möglich war, alle Eltern zu erreichen. Damit diese wenigstens die Eltern darüber informieren konnten, bevor diese ihre Kinder um 8 Uhr in die Schule schicken.“ Damit sollte die Situation vermieden werden, dass Kinder während des Unterrichts herausgeholt werden müssen. „Das ist unangenehm für die Schüler.“

Vier Schüler bekamen keine Einladung zum Test

Am vergangenen Freitag habe es sehr intensive Aktivitäten gegeben. „Die Leute haben angefangen, wieder ein soziales Leben zu führen. Mit der „Rentrée“ haben auch die Kontakte der Schüler zugenommen. Am Donnerstag gab es eine brutale Steigerung der Infektionszahlen. Da haben wir weitere Teams zur Verstärkung angefordert, die uns am Freitag unterstützt haben.“

Am Montag versuchte der Grundschullehrer, die „Santé“ zu kontaktieren. Mit seinem privaten Handy und mit dem Schultelefon rief er insgesamt 18 Mal die Nummer, die ihn am Sonntag über den positiven Fall informiert hatte, sowie die Covid-19-Helpline an. Zwei Stunden lang sei niemand ans Telefon gegangen. Der Lehrer wollte lediglich wissen, was er nun tun sollte. Er wollte Informationen bekommen. Auch, weil einige seiner Schüler keine Mail zur Testaufforderung bekommen hatten. 

Am Montagnachmittag soll eine Spezialkommission damit beauftragt worden sein, sich unter anderem mit dem Fall in dieser Schule zu befassen. Hier stellt sich die Frage, ob das Bildungsministerium wohl gemerkt hatte, dass in diesem Fall vieles schiefgelaufen ist.

Am Montag um 19.30 Uhr bekommt der Lehrer wieder einen Anruf von der „Santé“. Der zweite positive Fall wird ihm mitgeteilt. Bei zwei positiven Fällen besagt das Stufenmodell, dass die partielle Quarantäne aufgelöst und in eine komplette Quarantäne umgewandelt wird. „Ab Dienstag müssen alle Schüler sowie der Lehrer zu Hause bleiben und Home-Schooling machen“, so die Aufforderung der „Santé“. Die sei bis Freitag vorgesehen. Sobald negative Tests vorliegen würden, kann der Klassenbetrieb wieder aufgenommen werden. Hier stört sich der Lehrer daran, dass er nicht weiß, ob und wann alle Schüler den Test gemacht haben und wann alle negativ sind. 

Am Montag und Dienstag hatten sich die Schüler wegen des ersten positiven Falls in der Klasse testen lassen. Am Mittwoch müssen sich alle Schüler nochmals testen lassen. Wegen des zweiten positiven Falls. Auf die Frage, ob dies denn wirklich notwendig sei, auch für jene, die sich am Dienstag hätten testen lassen, lautete die Antwort der „Santé“: „Ja, das ist absolut notwendig.“

Die Regionaldirektion wurde über den zweiten Fall nicht von der „Santé“ in Kenntnis gesetzt. Groß war demnach die Verwunderung, dass am Dienstag die ganze Klasse nicht in der Schule auftauchte.

Die partielle Quarantäne

Aus einer Antwort von Gesundheitsministerin Paulette Lehnert auf eine parlamentarische Frage der CSV-Abgeordneten und Fraktionspräsidentin Martine Hansen geht hervor, dass zwischen dem 15. und dem 21. September 93 Lehrer in die partielle Quarantäne gesetzt wurden. Dies bedeutet, dass sie in ihrer Freizeit ihr Zuhause nicht verlassen dürfen und trotzdem an ihrer Schule unterrichten müssen. Dies ist eine Ausnahmereglung. Bislang wurden solche Ausnahmereglungen nur für den Schulbetrieb ausgestellt. Andere Berufe seien davon nicht betroffen, so Lenert. Die Direktion der „Santé“ habe allerdings eine solche Prozedur ebenfalls für Gesundheitsberufe vorgesehen, falls es zu Engpässen kommen sollte. Jeder Bürger, der unter Quarantäne gesetzt wird, kann eine solche Ausnahmeregelung beim Direktor der „Santé“ beantragen. Jeder Antrag werde individuell geprüft auf Basis der Dringlichkeit, so die Gesundheitsministerin.

Realist
25. September 2020 - 7.26

Eine "partielle Quarantäne" ist ein Widerspruch in sich. So etwas wie "Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass". Entweder man ist in Quarantäne und verhält sich entsprechend, oder man ist es eben nicht. Alles andere ist Unsinn, der nur für Chaos sorgt.

Bohlen
24. September 2020 - 17.01

@Carla T "Ohne Worte…" Sie meinen, ohne die paar hundert Worte über diesem Satz?

Carla T
23. September 2020 - 17.58

Ich wurde am vergangenen Mittwoch, 16.09, kurz vor Mittag vom Schulpresidenten über einen postiven Covid-Fall in der Klasse meiner Tochter unterrichtet. Ich war sehr dankbar, denn zu Hause wartete mein Vater auf meine Tochter. Ab Donnerstag kam die Klasse dann in partielle Quarantaine / Isolation und bekam Schultransportverbot (was mir auch logisch erschien, wenn die Klasse in p. Quarantäne ist). Erst am Freitag Nachmittag, also rund 50 Stunden nach dem Anruf des Presidenten, wurde ich dann offiziell vom Gesundsheitsministerium kontaktiert um mir mitzuteilen, dass es einen positiven Fall in der Klasse meiner Tochter gab. Uns wurde per Mail eine ärtzliche Verschreibung für einen Covid Test zugestellt deen wir frühstens am Montag absolvieren sollten. Am Montag gingen wir dann früh zu einem Labo, dort wurden jedoch sämtliche Schüler (und ein Lehrer) wieder nach Hause geschickt. Laut Labo seien schulische Verschreibungen nicht prioritär anzusehen, wir sollten mittags zurückkommen. Wir haben den Test dann erst gestern (Dienstag) in einem anderen Labo absolviert, bis gestern abend hatten wir noch kein Resultat. Nach Auskunft der Santé sagte man mir, dass die Quarantäne an dem Datum im Schreiben abläuft, unter der Bedinnung dass man einen Test absoviert hat. Es sei nicht notwendig das Resultat abzuwarten!?!?! Heute Morgen habe ich dann erfahren, dass das Ministerium den Schulbustransport für die Isolationsklassen aufgehoben hat. Dies geht aus einer Anwort auf eine parlamentarische Frage von Herrn F.K. hervor. Kinder in partieller Quarantäne / Isolation dürfen also zukünftig wieder mit der ganzen Schulgemeinschaft im Bus sitzen. In der Schule werden sie aber strikt abgeschottet... Ohne Worte...

Jean Henry
23. September 2020 - 12.33

das kann nicht der erste Fall von partieller Quarantäne sein, denn ich persönlich weiss von einem Fall von Donnerstag dem 17., also bereits ein Tag vorher.

GeTee
23. September 2020 - 11.22

Wenn jemand mir in Luxemburg EIN Ministerium nennen kann in dem NICHT planlos gewurschtelt wird, dann soll er sich bei mir melden. ( Eigene Urlaubspläne ausgenommen, die werden auf Jahre im Voraus geregelt !!! )