Eisenverhüttung wie früherSchlosser Romain Bohr über die Zeit vor Hochöfen und Flüssigmetall

Eisenverhüttung wie früher / Schlosser Romain Bohr über die Zeit vor Hochöfen und Flüssigmetall
Seit 2007 stellt Schlosser Romain Bohr in seinen selbst gebauten Rennöfen aus Luxemburger Eisenerz sofort schmiedbares Metall her Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Es ist ein Stück Luxemburger Kulturerbe: Bereits seit Jahrhunderten gehört der Abbau von Eisenerz zum Großherzogtum wie der „Kachkéis“ auf die „Schmier“. Hochöfen, Minen und Co. zeugen auch heute noch von einer Industrie-Ära, die dem Land zu seinem modernen Status verholfen hat. Doch was nur die wenigsten wissen: Die Technik existierte in Luxemburg bereits 3.500 Jahre vor dem ersten Hochofen in Vianden. Die Spuren dieser antiken Eisenproduktionsstätten finden sich noch immer in den Wäldern des Landes in Form von kleinen Schmelzen, von der damaligen Technik ist allerdings nur wenig überliefert. Der gelernte Schlosser Romain Bohr beschäftigt sich seit nunmehr 13 Jahren mit den Ursprüngen ebendieser Eisenindustrie und demonstriert, wie aus mineralischen Schlacken in vorgeschichtlichen Rennöfen direkt nutz- und handelbares Eisen entsteht.

Das Feuer lodert, die Kohle glüht, aus dem Rauch tritt ein Klumpen Metall hervor – es ist ein Prozess, wie ihn bereits Kelten und Römer anwandten, der heute jedoch nur noch in engen Kreisen von Geschichtsliebhabern Kenner findet. Die Rede ist von der Eisenproduktion, genannt Eisenverhüttung, in Rennöfen, einer Art vorgeschichtlichen Schachtöfen aus Lehm, die ihren Namen dem Zerrinnen von Schlacken im Feuer verdanken und vor mehreren Tausend Jahren dazu dienten, Eisenerz in Metall umzuwandeln. Lange Zeit zierten die kleinen Schmelzen Landschaften auf der ganzen Welt, bevor die Technik schließlich von den heute bekannten Hochöfen verdrängt wurde. Romain Bohr ist gelernter Schlosser und einer der wenigen, die ihr Metall wieder auf diese Weise herstellen. Seine Kunst ist nicht etwa das kreative Verarbeiten von Eisen, sondern dessen Gewinnung aus dem, was Wiesen und Felder ihm liefern.

„Auf unseren Feldern findet man begrenzt noch hochwertige Wiesenerze mit einem 90-prozentigen Oxidgehalt, vergleichbar mit denen aus Brasilien oder Skandinavien. Immer wieder entdecken wir Keltenschlacken, in deren Gegend sich ebenfalls solche Erze befinden“, erklärt der 57-Jährige. Doch während das bekannte rote „Minett“ aus dem Süden des Landes in jedem Geschichtsbuch zu Luxemburg vertreten ist, sind Wiesenerze in der breiten Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten – trotz ihrer langjährigen Verwendung. „Bis ins 20. Jahrhundert sammelten Bauern diese im Winter auf den Feldern auf und verkauften sie, um so die arbeitskargen Monate zu überbrücken. Das Minett wurde erst anschließend entdeckt, konnte sich aber aufgrund der vorhandenen Quantität auf dem Markt gegenüber den Wiesenerzen durchsetzen, obwohl diese eigentlich hochwertiger sind“, erklärt der Schlosser.

Gerlianne Paulus und Romain Bohr arbeiten seit zwölf Jahren zusammen und kennen die Geheimnisse der antiken Eisenverhüttung
Gerlianne Paulus und Romain Bohr arbeiten seit zwölf Jahren zusammen und kennen die Geheimnisse der antiken Eisenverhüttung Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Entdeckung gallorömischer Schlacken

Die Leidenschaft fürs Metall wurde Bohr quasi in die Wiege gelegt, denn seit sein Urgroßvater 1917 nach Luxemburg kam, haben alle Generationen der Familie bei der Arbed gearbeitet – Romain inklusive. Auf die ursprüngliche Gewinnung von Eisen ist der Schlosser jedoch nur zufällig gestoßen: „Mein Hauptinteresse galt schon immer der Geschichte, spezifischer der Eisengeschichte. Als ich irgendwann erfahren habe, dass unsere Vorfahren bereits in der Antike Eisen produzierten, bin ich der Spur nachgegangen und habe angefangen, den Wurzeln dieser Tradition auf den Grund zu gehen.“ Auf einer Ausstellung traf Bohr einen Messermacher aus Frankreich, der den Luxemburger Hobby-Schmied indirekt in die Lehre der vorgeschichtlichen Eisenverhüttung einführte. „Er hatte eine Klinge mit einer extrem interessanten Textur dabei und ich fragte nach der Herkunft des Stahls. Darauf antwortete er mir: ‚C’est mon propre‘.“

Die Aussage weckte die Neugier des Eisenliebhabers und Bohr machte sich auf die Suche nach Erklärungen. „Ich erhielt ein Jahr lang keine Antworten auf meine Fragen und habe mir geschworen, dass – sollte ich die Technik erst einmal beherrschen –, ich mein Wissen an andere weitergeben würde, denn schließlich handelt es sich dabei um ein Stück Luxemburger Erbe“, so der 57-Jährige. Heute kennt Bohr eine Vielzahl der Geheimnisse des ursprünglichen Eisenmachens quasi in- und auswendig und weiß, wo auch in Luxemburg noch Zeugen jener Zeit zu finden sind, in der Schlacken noch per Hand zum Schmelzen gebracht wurden. „Der Luxemburger Geologe Michel Lucius hat zwar eine geologische Karte mit den Standorten der Erze erstellt, heute könnte man diese jedoch bereits um das Doppelte erweitern“, sagt Bohr. Rund zehn Orte hat er selbst zusammen mit Luxemburger Archäologen entdeckt, durch die Suche nach Rohmaterial für seine Rennöfen sind auch zahlreiche gallorömische Schlacken wieder ins Bewusstsein der Forscher gerückt.

Von der Erde in die Wissenschaft

Neben seinem offiziellen Job bei einem Gemeindesyndikat arbeitet Bohr regelmäßig mit dem „Centre national de recherche archéologique“ aus Bartringen zusammen und ist ebenfalls eine der Referenzpersonen für das „Baueremusée“ in Peppingen. Regelmäßig demonstriert er dort die Kunst der Eisenverhüttung, mittlerweile zieren seine aus eigener Produktion gewonnenen Handarbeiten eine gesamte Vitrine. Seit zwölf Jahren steht dem Schlosser seine ehemalige Schulkameradin Gerlianne Paulus beim Verhütten der Luxemburger Eisenerze als Assistentin zur Seite. Das Duo wird vom Chemiker Dr. Oliver M. komplettiert, dessen wissenschaftliche Meinung Bohrs und Paulus‘ Findungen hinterlegt. „Wir liefern Fakten und Oliver fasst diese in wissenschaftlich fundierte Sätze zusammen. Dieses Zusammenspiel von Praxis und Theorie ist auch der Grund, weshalb wir als Luxemburger Team in der ganzen Welt große Anerkennung erlangt haben“, sagt der Schlosser.

Gemeinsam sind Bohr und Paulus bereits auf viele internationale Treffen gereist. Zu den jährlichen Terminen gehört neben dem Beltaine Keltenfestival in Neuhäusgen vor allem das „Woodford Furnace Festival“ in Irland, bei dem auf Paläometallurgie getrimmte Schmelzer der ganzen Welt ihr Wissen austauschen. Im Vordergrund aller Symposien und Recherchen steht für Bohr dabei vor allem eines: die komplette Kontrolle über seine Materialien. „Mein persönliches Ziel ist es, die Stahlqualität sowie die Viskosität der Schlacken bereits im Ofen zu kontrollieren, sprich den Kohlenstoffgehalt bei der Verhüttung zu steuern, um so härtbares Eisen zu produzieren. Das ist für mich der einzige Trick der Geschichte“, verrät der 57-Jährige. Um den Wurzeln seines Handwerks dabei so nah wie möglich zu kommen, wird im Hause Bohr alles selbst hergestellt – Kohle aus Kiefernholz inklusive. Das Endresultat in Form von Replikaten historischer Werkzeuge ist dabei fast schon Nebensache, denn dem Schlosser geht es vor allem um den experimentellen Teil dieser Art der Archäologie.

Bereits 3.500 Jahre ehe der erste Hochofen in Vianden seinen Platz fand, wurde in solchen Rennöfen in Luxemburg Eisen produziert
Bereits 3.500 Jahre ehe der erste Hochofen in Vianden seinen Platz fand, wurde in solchen Rennöfen in Luxemburg Eisen produziert Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Von 45 Kilo Erz zu zwölf Kilo Eisen

„Es ist einfach genial, was man alles aus Eisen herstellen kann und wie vielseitig verwendbar es als Material ist. Was mich aber am meisten fasziniert, ist, auf welch primitive Weise sich aus Stein metallisches Eisen herstellen lässt. Diese Geburt des Metalls und wie man damit spielen kann, das ist es einfach“, so Bohr. Nach seiner Rente, die in knapp zwei Jahren ansteht, will der Schlosser sein Handwerk an andere übergeben und nach zukünftigen Trägern der vergessenen Kunst suchen: „Ich will nicht, dass dieses Wissen verloren geht, denn es gehört zu unserem Patrimonium. Wir waren immer Bauern und wir haben immer Eisen produziert. Über 2.000 Jahre lang war dies unser Kapital und ich hoffe, dass der Staat irgendwann bereit ist, sich unserer Wurzeln wieder bewusst zu werden und mehr Mittel einzusetzen, um diese eisengeschichtliche Vergangenheit auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“

„Mein persönliches Ziel ist es, die Stahlqualität sowie die Viskosität der Schlacken bereits im Ofen zu kontrollieren (…), um so härtbares Eisen zu produzieren

Romain Bohr, Schlosser und Ofenmeister

Er selbst kenne zwar die Praxis, sei allerdings dennoch ein Laie auf dem Gebiet, deshalb brauche es ein wahres Team mitsamt gelerntem Paläometallurgologen, um die verlorene Tradition ordentlich zu dokumentieren. Bis dahin plant Bohr, sein eigenes Wissen in einem Buch zusammenzufassen, um so wenigstens einen Teil der bereits geleisteten Arbeit schriftlich festzuhalten. „Über die Jahrhunderte sind Rennöfen langsam, aber sicher verschwunden, da immer mehr Eisen benötigt wurde und die größer werdenden Öfen nicht mehr nur mit Handbälgen betrieben werden konnten. Durch den Einsatz von Tieren und Wasserkraft wurden höhere Temperaturen in den Öfen ermöglicht, wodurch zwar mehr Eisen hergestellt werden konnte, dieses allerdings nur noch unter einer flüssigen Form herauskam. Das war der Übergang von Rennöfen zu Hochöfen.“ Vor allem die Tatsache, dass bei der ursprünglichen Technik die Ausbeute sehr gering ausfällt, hat das Quasi-Todesurteil der Rennöfen im modernen Industriezeitalter unterschrieben, so Bohr: „Der Prozess ist leider nicht rentabel. Um ein Beispiel zu nennen: Aus 45 Kilogramm Erz erhält man nur etwa zehn bis zwölf Kilo Eisen. Der Verlust ist also enorm groß.“  

Erinnerung an Luxemburgs Erbe

Seinen eigenen Rennofen hinterm Haus in Rollingen kann Bohr vier bis fünf Mal benutzen, bevor die Innenwände von den heißen Schlacken weggebrannt, oder aber der Schacht beim Herausholen des Eisens zertrümmert wird. Doch genau in dieser Spannung, der Ungewissheit über den Verlauf der Verhüttung und das Resultat, liegt der Reiz, den Bohr seit 2007 antreibt. Das Verlangen nach Erklärungen lockt den 57-Jährigen und seine Assistentin immer wieder auf neues Terrain, sei es nach Rheinland-Pfalz, um in Eisenberg nach den Erzarten der Römer zu forschen, in die karolingische Klosterstadt „Campus Galli“ nach Meßkirch, um hier authentische Glockenstücke aus Eisen nachzubauen, oder einfach in die verschiedenen Wälder von Luxemburg, um hier nach nutzbaren Schlacken zu suchen. „Irgendwann fängt man an, ein verschrobener Einzelgänger zu werden“, meint Bohr lachend. Der selbsternannte „Eisen-Nerd“ will noch vieles über das Material seiner Wahl erfahren und dies auch nach außen hin mitteilen, damit die verrostete Erinnerung an eine einst viel genutzte Technik irgendwann wenigstens in den Geschichtsbüchern wieder glänzen kann.    

Die chemische Umwandlung von mineralischem Eisenerz zu metallischem Eisen

Der Prozess der Eisenproduktion beginnt bereits vor der eigentlichen Verhüttung und dauert insgesamt etwa 14 Tage für die Herstellung von zehn Kilo Metall. Als Erstes muss für den Bau des Rennofens kalkfreier Lehm auf den Feldern gesammelt und gemischt werden. Anschließend folgt der Bau des Ofens, der für den Prozess komplett ausgehärtet und trocken sein muss. Der Schacht wird dabei bis zu 1,20 Meter hoch gebaut, mit einem Durchmesser von etwa 30 Zentimetern, sowie einer Düse für den Anschluss der Blasebälge. Das Eisenerz wird ebenfalls in der Natur gesammelt und braucht den richtigen Eisenoxidgehalt, um anschließend zu Metall geschmolzen werden zu können. Auch dieses muss erst aufbereitet werden, bevor es bereit für den Reduktionsprozess ist. Der mit Kohle gefüllte Ofen wird durch handbetriebene Blasebälge angeblasen und über mehrere Stunden hinweg abwechselnd mit Eisenerz und Kohle von oben herab befüllt. Dabei gibt der Takt den Ton an, denn es muss die richtige Luftmenge gefunden werden, um die Entstehung von Kohlenmonoxid zu ermöglichen. Dieses entzieht dem Eisenerz seine Sauerstoffatome und es entsteht eine chemische Reaktion, bei der sich Erz und Schlacken zu einer groben Masse verbinden. Ab etwa 1.150°C zerrinnt die Schlacke und fließt aus dem Ofen heraus. Ist der Sauerstoff im Ofen gänzlich aufgebraucht, entsteht eine sogenannte Reduktionszone, in der sich das metallische Eisen bilden kann. Im Rennofen wächst so Tropfen für Tropfen eine schwammähnliche Masse Eisen heran, die noch von Kohle und Schlacken durchwachsen ist. Sobald der Eisenklumpen groß genug ist, um die Luftzufuhr im Ofen zu verhindern, ist es an der Zeit, die Blasebälge zu entfernen und den Lehmschacht aufzubrechen, um die glühende Masse – unter Fachleuten „Luppe“ genannt – herauszunehmen. Auf einem Amboss wird diese mit Holzhammer und Axt behandelt, bis Kohle und Schlacken größtenteils abgeklopft sind und das Eisen im Schmiedefeuer zu kompakten Barren weiterverarbeitet werden kann. Im Gegensatz zur Gewinnung in Hochöfen befindet sich das entstandene Eisen sofort in schmiedbarer Form.