SpanienWarnung vor „Corona-Chaos in Madrid“

Spanien / Warnung vor „Corona-Chaos in Madrid“
In Madrid demonstrieren die Bürger gegen die neuen restriktiven Maßnahmen der Regionalregierung und deren Chefin, die erzkonservative Politikerin Isabel Díaz Ayuso Foto: Oscar del Pozo/AFP

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Mehrere spanische Tageszeitungen warnen vor dem „Corona-Chaos in Madrid“. Spitzenpolitiker wie der Sozialist Emiliano García-Page sehen gar eine „Viren-Bombe“ in Spaniens Hauptstadt, deren Streuwirkung das ganze Land wieder in den Corona-Notstand treiben könnte.

Die Sorge ist nicht unberechtigt. Nirgendwo in Europa gibt es derzeit mehr neue Infektionsfälle als im Großraum Madrid. Die Millionenstadt, in deren Einzugsgebiet 6,7 Millionen Menschen leben, ist als Verkehrs- und Wirtschaftszentrum das Herz der Nation. „Wenn Madrid hustet, dann ist das ganze Land in Gefahr“, lautet ein geflügeltes Wort.

Die wöchentliche Corona-Inzidenz in der Region Madrid steigt von Tag zu Tag in erschreckende Höhen. Zuletzt wurden 323 Infektionsfälle pro 100.000 Einwohner gemeldet, im südlichen Teil Madrids sogar über 500. Zum Vergleich: In Deutschlands Hauptstadt Berlin beträgt die siebentägige Fallhäufigkeit laut Robert Koch-Institut knapp 18.

Wochenlang schaute Isabel Díaz Ayuso, erzkonservative Ministerpräsidentin der Region, der Explosion der Infektionszahlen ungerührt zu. Vermutlich in der Hoffnung, dass das Virus Sars-Cov-2 von ganz alleine und über Nacht wieder verschwinden würde. Ihre großspurigen Ankündigungen der letzten Monate, das Gesundheitssystem mit tausenden Ärzten, Schwestern und Corona-Ermittlern zu verstärken, erwiesen sich inzwischen als Seifenblase. Nun musste Díaz Ayuso einräumen, dass die Lage völlig außer Kontrolle geraten ist.

„Es kommen schwierige Wochen“, bereitet sie die Bevölkerung auf Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Bewegungsfreiheit vor. 37 Stadtviertel und Vororte, überwiegend im ärmeren Süden der Region, werden an diesem Montag zu Sperrgebieten erklärt. Die Polizei soll Straßen und Zufahrten überwachen. In Madrids Süden wohnen vor allem Arbeiter und Einkommensschwächere, die entsprechend auf engem Raum leben.

Fast eine Million Menschen betroffen

Knapp eine Million Menschen sind betroffen. Sie fühlen sich durch die Corona-Beschränkungen zu Sündenböcken für die Fehler der Politiker abgestempelt. Die Absperrung der Arbeiter- und Immigrantenviertel im südlichen Madrid sei eine „Stigmatisierung und Diskriminierung“, klagt der Dachverband der Nachbarschaftsvereine. Bei den betroffenen Gebieten handele es sich um „völlig vergessene Viertel“ ohne ausreichende Gesundheitsversorgung.

Die Bewohner, von denen sich viele im wohlhabenderen Madrider Norden als Straßenkehrer, Kellner oder Altenpfleger verdingen, dürfen zwar noch aus dem Haus. Es gilt also keine Ausgangssperre. Aber sie dürfen ihr Wohndistrikt nur noch verlassen, um zur Arbeit, zur Schule oder zum Arzt zu fahren. Geschäfte, Bars und Restaurants müssen in den Sperrzonen ihre Personenkapazität um 50 Prozent reduzieren und spätestens um 22 Uhr schließen. Zudem werden dort alle öffentlichen Parks und Spielplätze geschlossen. Für den gesamten Großraum Madrid wurde zudem das Versammlungsverbot verschärft. Nur noch Gruppen von maximal sechs Personen sind in der Öffentlichkeit erlaubt, vorher lag das Limit bei zehn. Bei Verstößen drohen Mindestbußen von 600 Euro.

Schon länger gelten zudem eine totale Maskenpflicht und ein weitgehendes Rauchverbot im öffentlichen Raum. Doch die zweite Corona-Welle ließ sich dadurch nicht aufhalten. Allein im Großraum Madrid waren am Freitag mehr als 5.000 durch Tests bestätigte neue Infektionen gemeldet worden. In ganz Spanien waren es mehr als 12.000 Ansteckungen in 24 Stunden. Traurige Rekordwerte, die noch über den täglichen Corona-Spitzenwerten im Frühjahr liegen.

Auch die Zahl der Corona-Toten steuert schon wieder auf bedenkliche Höhen zu. 100-200 Menschen sterben derzeit täglich landesweit im Zusammenhang mit dem Virus. Rund ein Drittel aller Todesfälle ereignen sich in Madrid. Die meisten Todesopfer sind älter als 80 Jahre.

Die Intensivbetten werden bereits weniger

Schon seit Tagen steuern lokale Arztzentren und Krankenhäuser in Madrid auf einen neuen Kollaps zu. Vor den Gesundheitszentren, die für die Erstversorgung der Menschen und Corona-Tests zuständig sind, bilden sich lange Schlangen von Wartenden. Nicht viel besser sieht es in den Krankenhäusern aus. „Die Intensivstationen der Hospitäler sind schon wieder zu Zweidritteln mit Covid-19-Patienten belegt“, meldet die Zeitung El País. Einige Hospitäler im Süden seien bereits bis zum letzten Bett voll.

Erinnerungen an die dramatischen Wochen der ersten Corona-Welle im Frühjahr werden wach. Damals wurden in Madrid tausende ältere Corona-Patienten von den überfüllten Krankenhäusern abgewiesen und starben ohne ärztliche Hilfe. Sporthallen mussten zu provisorischen Leichenhäusern umfunktioniert werden. Madrids Messepalast war damals zu Europas größtem Feldlazarett mit 5.000 Betten umfunktioniert worden. Solche apokalyptische Szenen könnten sich durchaus wiederholen. So bereitet sich das Militär bereits darauf vor, das gigantische Nothospital auf dem Messegelände wieder aufzubauen.