DeutschlandDas Ende der Zahlenspiele: Einigung bei Aufnahme von Flüchtlingen

Deutschland / Das Ende der Zahlenspiele: Einigung bei Aufnahme von Flüchtlingen
„EU, rette uns bitte“: Deutschland hat zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne und legt den ersten Vorschlag vor, den Menschen in Griechenland zu helfen Foto: dpa/Petros Giannakouri

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Erst sah alles ganz anders aus. Am Dienstagmittag hatte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich noch erklärt: „Ich kenne diese Zahl überhaupt nicht aus den Gesprächen, die ich bisher geführt habe.“ Doch da liefen schon die Verhandlungen zwischen SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer.

Am frühen Abend verkündete Scholz dann zusammen mit SPD-Chefin Saskia Esken die Einigung: Deutschland wird zusätzlich 1.553 Flüchtlinge von fünf griechischen Inseln aufnehmen. Konkret handelt es sich bei der Absprache um 408 Familien mit Kindern, deren Asylersuchen bereits positiv beschieden worden ist. Deutschland sei das einzige Land in Europa, das so vorgehen wolle, hieß es aus Koalitionskreisen. Den großen Krach in der Flüchtlingsfrage hat Schwarz-Rot damit vorerst noch einmal abwenden können.

Dass die Flüchtlinge nicht nur aus Lesbos und dem dort abgebrannten Lager Moria kommen, war dem Vernehmen nach der griechischen Regierung wichtig. Nach dem Brand des Lagers fürchtet Athen, dass weitere Camps angezündet werden könnten, wenn sich die Flüchtlinge dadurch eine bessere Chance erhoffen, auf das griechische Festland gebracht oder von anderen EU-Staaten aufgenommen zu werden.

Die Gespräche innerhalb der Bundesregierung und der Koalition über das weitere Vorgehen liefen gestern auf Hochtouren, um eine „substantielle Verabredung“ hinzubekommen. Es hieß, am Ende müsse dann ein Gesamtkonzept stehen, eingebettet in einen europäischen Kontext. Das soll nun der nächste Schritt werden. Wenn es dann Vereinbarungen mit weiteren EU-Ländern gibt, werden eventuell zusätzlich Menschen aufgenommen werden. „Wir sind weiterhin der Überzeugung, mit einigen europäischen Partnern, nicht mit allen, zu einer guten Lösung zu kommen“, betonte Esken.

Die SPD-Chefin hatte vor den Verhandlungen noch von einer hohen vierstelligen Zahl gesprochen, die man aufnehmen müsse. 1.553 dürfte dem nicht entsprechen. Das könnte für Debatten bei den Sozialdemokraten sorgen. Freilich gibt es auch in der Union nach wie vor unterschiedliche Auffassung darüber, in welchem Umfang Migranten kommen dürfen. Einzelne Abgeordneten hatten bei der Kanzlerin dafür geworben, 5.000 Menschen aufzunehmen.

Grüne wollten mehr, die AfD wollte gar keine

Doch die Linie der Koalition ist nun diese: Nur einer klar definierten Gruppe wird geholfen, damit keine neuen Flüchtlingsströme ausgelöst werden. Davor warnte auch Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU). Das Signal dürfe nicht sein, „wenn jetzt ein Flüchtlingslager brennt, dann kommt ihr alle nach Europa“. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte zudem vor Journalisten, das Thema könne zu einer Polarisierung führen, die unbedingt vermieden werden müsse. Deswegen sei ganz klar festgelegt, welche Flüchtlinge aufgenommen würden. „Dabei geht es auch darum, Solidarität mit Griechenland zu zeigen“, so Dobrindt. 

Die Opposition lehnte den Vorstoß gestern ab. Allerdings aus gegensätzlichen Gründen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt betonte, sie freue sich über jeden Menschen, der den katastrophalen Umständen in den griechischen Lagern entkommen könne. „Aber die Aufnahme von 400 Familien, die bereits positive Asylentscheidungen haben, ist ein Alibi-Angebot.“ Um Druck aus der Lage vor Ort zu nehmen, müssten 5.000 Menschen schnell aufgenommen werden.

Ganz anders AfD-Vize Stephan Brandner. Er erklärte, man sei grundsätzlich dagegen, Migranten aus Griechenland nach Deutschland zu holen. Das schaffe nur weitere Anreize, „Flüchtlingslager weltweit in Brand zu stecken und so ein Ticket nach Deutschland zu erpressen“. 

Neun EU-Länder springen ein, darunter auch Luxemburg

Durch die Zerstörung des vollkommen überfüllten Lagers Moria verloren mehr als 12.000 Menschen ihr Obdach. Bisher haben sich neun der 27 EU-Staaten bereit erklärt, 400 unbegleitete Kinder und Jugendliche aufzunehmen. Deutschland hat dabei eine Zusage für 100 bis 150 Minderjährige gemacht und geht davon aus, dass Frankreich ebenso viele aufnimmt. Der Rest verteilt sich auf die Niederlande, Finnland, Belgien, Luxemburg, Slowenien, Kroatien und Portugal.
Wie schon seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 lehnen osteuropäische Länder wie Polen oder Ungarn die Aufnahme von Flüchtlingen kategorisch ab. Österreich warnt ähnlich wie Dänemark vor einem Sogeffekt und mehr Flüchtlingen, wenn Migranten jetzt in Europa verteilt würden. „Wenn wir diesem Druck jetzt nachgeben, dann riskieren wir, dass wir dieselben Fehler machen wie im Jahr 2015“, sagt Kanzler Sebastian Kurz. Zuvor hatte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel die österreichische Regierung wegen ihrer ablehnenden Haltung scharf kritisiert. Bereits Ende vergangener Woche hatte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn Sebastian Kurz in Sachen solidarischer EU-Migrationspolitik als „Missetäter“ bezeichnet. (AFP)