ItalienNeue Zeitung „Domani“ mitten in Pandemie und Krise: Gegen die Langeweile der Mitte

Italien / Neue Zeitung „Domani“ mitten in Pandemie und Krise: Gegen die Langeweile der Mitte
Will mehr Kommentare von Frauen und mag keine Sportmetaphern: „Domani“-Chefredakteur Stefano Feltri Foto: Screenshot

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Die spinnen, die Italiener. Mitten in einer Pandemie und Wirtschaftskrise eine neue Tageszeitung auf den bereits üppig gefüllten italienischen Markt zu werfen, könnte tatsächlich zu einer solchen Aussage verleiten. Stefano Feltri sieht das anders, denn er hat einen Plan – und erst einmal auch das Geld.

Der Chefredakteur und Manager der Domani, die diese Woche erstmals erscheint, sieht eine gar nicht mal so schmale Nische, die er publizistisch besetzen will. „Wir sind die Ersten in Italien, die auf Digital First“ setzen, sagt Feltri. Große, hintergründige Geschichten sollen es werden, zu den Themen dieser Zeit: Klimawandel, Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen, Ungleichheiten. Auch internationale und europäische Politik wird in Domani Einzug halten. „Bei solchen Themen lässt sich keine nationale Grenze ziehen“, sagt Feltri, „das hängt alles zusammen.“

Domani wird es auch am Kiosk geben. Aber nie mehr als 16 Seiten am Tag, gefüllt mit rund 25 Artikeln. Preis: 1 Euro. „Was wir verkaufen wollen, sind unsere Texte, unsere Geschichten, unsere investigativen Recherchen.“ Die Aktualität, das Tagesgeschehen hätten die Menschen sowieso bereits am Smartphone geliefert.

An finanziellen Mitteln mangelt es erst einmal nicht. Zehn Millionen Euro hat der ehemalige Industrietycoon Carlo De Benedetti für das linksliberale Projekt zur Verfügung gestellt. Eine Herzensangelegenheit sei das für den 85-Jährigen, sagt der Mittdreißiger Feltri. De Benedetti war schon CEO von Fiat und auch bei Olivetti. Bekannt machten den Mäzen aber seine Spuren, die er in der italienischen Medienlandschaft als ehemaliger Besitzer der Tageszeitungen La Repubblica und L’Espresso hinterlassen hat.

Politisch engagierter Journalismus

Anfang dieses Jahres haben De Benedettis Söhne mit „Gedi“ die größte Mediengruppe im Zeitungsgeschäft mit Titeln wie eben La Repubblica und La Stampa an John Elkann, den Erben des Agnelli-Vermögens, verkauft. Elkann, so Feltri, begann sofort damit, vor allem La Repubblica von links aus in die Mitte zu rücken. „Jetzt ist sie langweilig“, sagt Feltri im Zoom-Gespräch, das vergangene Woche vom Wiener Ausbildungszentrum FJUM und dem Presseclub Concordia organisiert wurde.

Auf Facebook sind die Babyboomer, aber die werden alt – und konservativ

Stefano Feltri, „Domani“-Chefredakteur

In den vergangenen zehn Jahren haben Italiens Zeitungen die Hälfte ihrer Reichweite und die Hälfte ihrer Einnahmen eingebüßt. Viele traditionelle Blätter wie La Repubblica wurden von oft neuen Eigentümern zu einem weniger politisch engagierten Journalismus gedrängt. Immer beide Seiten hören, habe plötzlich überall die Devise geheißen. Sich zum Beispiel klar auf die Seite der „Black Lives Matter“-Demonstranten zu stellen, sei vielerorts nicht mehr möglich gewesen, sagt Feltri.

Genau dort hat De Benedetti seine gesellschaftliche Nische erkannt – und den Auftrag, sie zu füllen, im Frühsommer in die Hände Feltris übergeben. Feltri hat sich inzwischen ein Team aus 20 Journalistinnen und Journalisten zusammengestellt. Der Frauenanteil erreicht nicht ganz die 50 Prozent, für italienische Zeitungsverhältnisse sei Domani aber auch in dieser Hinsicht gut aufgestellt. Vor allem will Feltri, dass die Frauen mehr Kommentare schreiben, weiterhin ein sehr männliches Terrain in Italien. „Aber das ist so langweilig“, meint Feltri, „immer voller Sportmetaphern – und die mag ich wirklich nicht.“ Hinzu kommen ein Daten-Journalist und ein Editor, der Italiens Intellektuelle und Künstler davon überzeugen soll, Meinungsbeiträge beizusteuern. Nach dem Start-up-Moment wird eine Stiftung, von De Benedetti ebenfalls mit zehn Millionen Euro versehen, als Herausgeber die Geschicke übernehmen. „Die drei ersten Jahre haben wir sicher Geld“, sagt Feltri.

Geld verdienen mit Artikeln

Geld will Feltri mit Domani aber auch alleine verdienen. Vorzugsweise soll das online geschehen, mit einem Abopreis, der ungefähr bei dem der großen Printzeitungen liegt. Dort gibt es dann von jedem Artikel zwei Versionen. Erst eine Kurzfassung in Stichworten, die nicht länger als ein Smartphone-Bildschirm und gratis ist. Und dann natürlich der zu bezahlende, ganze Artikel.

Auch die Leser sollen mitbestimmen und mit Teams aus freien Journalisten gemeinsam Themen erarbeiten, die die Leserschaft behandelt sehen will. Das Ziel ist die viel beschworene „Community“, das Gefühl, dabei zu sein. Von den sozialen Netzwerken will Feltri besonders Instagram bespielen – da vermutet der Mann aus Modena, der bis 2019 für vier Jahre Vizedirektor von Il Fatto Quotidiano war, seine potenzielle Kundschaft und Möglichkeiten zur gewinnbringenden Vermarktung. „Auf Facebook sind die Babyboomer“, sagt Feltri. „Aber die werden alt – und konservativ.“ Und demnach schwieriger zu erreichen für ein linksliberales Projekt wie Domani.