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„Die Herren Call-Girls“ heißt ein 1971 publizierter satirischer Roman von Arthur Koestler über „die globetrottenden Eierköpfe, die Stars des akademischen Jet-Set“. Die quer um den Erdball von „Wissenschaft-Kongressen“ zu „interdisziplinären Symposien“ hetzen, um ihre Theorien feilzubieten und ihre Zukunftsprognosen in möglichst düsteren Farben auszumalen.

Eine Einladung zu den Tempeln der Meinungsmache, etwa die Chatham-House-Treffen, die COP-Konferenzen, die Lindauer Nobel-Tage oder die Davos-Happenings für Kapitalisten, Politiker und Gretas, bekommen vornehmlich die neuen Kassandra und andere Vorreiter der Apokalypse. Je pessimistischer die Prognose, je mieser die skizzierte Aussicht, desto gefragter sind die Call-Girls der Wissenschaften.

Die meisten Menschen identifizieren sich am liebsten mit düsteren Propheten. Selbst, wenn diese sich nachweislich irrten. Etwa Paul Ehrlich, der 1968 in seinem Bestseller „Population Bomb“ behauptete, der Kampf gegen eine weltweite Hungersnot ginge in den 70er Jahren verloren. Oder Rachel Carson, die 1962 den Tod aller Singvögel voraussagte.

Die Mutter aller Probleme

Ehrlich wie Carson hatten Erfolg, weil sie echte Probleme ansprachen. Die Explosion der Weltbevölkerung bleibt die Mutter aller Probleme. Die hinter viel diskutierten Themen wie Umwelt- und Klimaschutz, Artenvielfalt, Ernährungs- wie Energieversorgung steht. An der Schwelle des 20. Jahrhunderts lag die globale Bevölkerung bei 1,6 Milliarden. 120 Jahre später sind es weltweit 7,8 Milliarden. 2050 werden es 9,5 Milliarden Menschen sein!

Malthus behauptete schon 1798, die geometrische Progression der globalen Bevölkerung münde in eine Hungerkatastrophe. Die Versorgung mit Lebensmitteln sei bloß arithmetisch zu steigern. Womit er unrecht hatte. Der menschliche Erfindergeist steigerte immer wieder durch Selektion und Kreuzungen, also durch genetische Manipulationen, sowie durch den Einsatz von Düngemittel und Schädlingsbekämpfung die Produktivität von Landwirtschaft und Viehzucht.

Was nicht ohne neue Probleme blieb. Zwar kam es nie zum „Stummen Frühling“. Dennoch bewirkten die Warnungen der Rachel Carson einen vernünftigeren Umgang mit Pestiziden.

Keine Rückkehr zur Selbstversorgung

Die Menschheit kommt nicht mehr ohne Schädlingsbekämpfung und ohne künstliche Düngung aus. Es sei denn, man wolle Milliarden Menschen dem Hungertod preisgeben.

Eine Rückkehr zur Selbstversorgung kann es ebenfalls nicht geben. Selbst wenn so renommierte Autoren wie Jared Diamond das Aufkommen der Agrargesellschaft als „den größten Fehler in der Geschichte der Menschheit“ oder Yuval Noah Hariri die landwirtschaftliche Revolution als „den größten Betrug der Geschichte“ geißeln. Ob die Zeit der Sammler und Jäger wirklich so beglückend für die ersten Menschen war, darf bezweifelt werden. Sie genossen ihr „einfaches Leben“ jedenfalls nicht sehr lange.

Die Natur kennt keine Moral. Das Trachten nach Fortpflanzung ist die einzig erkennbare Logik bei Tieren wie Pflanzen. Fressen und gefressen werden ist der Motor der Biodiversität.

Die Vielfalt der Arten und Prognosen

Im Mai 2019 trafen sich in Paris die Call-Girls der Artenvielfalt. Auf dem Weltkongress der Biodiversität riefen 145 Experten aus 50 Ländern den Notstand aus. Von geschätzten 8 Millionen Spezies seien 500.000 bis 1 Million bedroht. Die Medien meldeten nur die Oberzahl: eine Million.

Den 145 weitgereisten Experten wäre kaum Medienruhm zuteil gekommen, hätten sie eine weniger schrille Aussage gemacht. Etwa sich mit den belegbaren „roten Listen“ der Internationalen Organisation für Naturschutz begnügt. Die spezialisierten Wissenschaftler der IUCN studieren den wahren Zustand der Tier- und Pflanzenwelt. Die zweimal jährlich veröffentlichten roten Listen umfassen derzeit 31.000 bedrohte Tier- und Pflanzenarten.

Bedroht heißt nicht ausgestorben. Vor allem ist der Planet weit entfernt von den zum Aussterben verdammten 90% aller Arten, jüngste Fehlprognose des Professor Paul Ehrlich. Oder von den 2 Millionen Arten, die bis zum Jahr 2000 laut dem 1980 veröffentlichen „Experten“-Bericht „Global 2000“ vom Erdboden verschwinden sollten. Seit dem 16. Jahrhundert ist das Auslöschen von 680 Wirbeltierarten dokumentiert. Die Mehrzahl vor dem 20. Jahrhundert.

Die Problematik der Biodiversität ist nicht zu lösen durch Schockmeldungen von globetrottenden Wissenschaftlern. Die mit überzogenen Warnungen Spesen und Forschungsgelder einsäckeln.

Ein jährlich steigender Teil der Landmassen und Weltmeere fällt unter Naturschutz. China, das bevölkerungsreichste Land, wurde im Gefolge der Covid-Krise beschuldigt, die Artenvielfalt durch eine steigende Beschränkung der natürlichen Lebensräume zu bedrohen. Dabei haben die Chinesen in den letzten 30 Jahren nahezu 12.000 Naturreservate geschaffen. Die insgesamt 1,5 Millionen Quadratkilometer umfassen, immerhin rund 19% des Landes. Das ist prozentual mehr als die ausgewiesenen Schutzzonen der USA.

Aber solche Petitessen zählen nicht in den Augen vieler Experten und Medien. Die von der permanenten Übertreibung leben. Etwa wenn gemeldet wird, eine Hitzewelle hätte die Antarktis befallen. In der Tat wurden im Frühjahr auf der antarktischen Insel Seymour um die 20° Celsius gemessen. Nur liegt die vorgelagerte Insel Seymour noch oberhalb des Polarkreises und ist hunderte Kilometer vom Südpol entfernt. Wo zu diesem Zeitpunkt -40° herrschten.

Oder wenn der Fotograf Yann Arthus-Bertrand meldet, das Eisschild auf Grönland sei nicht mehr zu retten. Was kollidiert mit der Meldung der NASA, der größte grönländische Gletscher Jakobshavn habe seine seit 20 Jahren andauernde Schmelze stark verlangsamt, weil das Meereswasser am Gletscher seit 2016 um 1,5° Celsius abkühlte. Der Weltklimarat IPCC schreibt, es dauere mindestens 1.000 Jahre, bis Grönland eisfrei wäre.

Wegen Covid-19 wurde das jährliche COP-Happening der Klimaforscher auf 2021 verschoben. Das erspart der Weltöffentlichkeit vorerst viele der üblichen Untergangsszenarien. Vor allem dürfen sich die reichen Nationen wieder einmal drücken an eine Zusage zur Dotierung des globalen Klimafonds von 1.000 Milliarden Dollar jährlich. Was den ärmeren Ländern schon in Kopenhagen und erneut in Cancun vorgegaukelt wurde. Bei der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens hieß es, der Startschuss sei definitiv das Jahr 2020.

Doch die Pandemie hat vieles verändert. Die neuen Call-Girls der Wissenschaft sind nicht mehr die bislang mit Krediten überschütteten Klimatologen, sondern die Virologen! Das große Geld fließt nunmehr in Impfstoff-Forschung.

Die neuen Stars der Wissenschaft

Es gibt keine Talkshow mehr ohne ehrenwerte Professoren und andere mehr oder weniger kompetente Viren-Spezialisten. Jede Nachrichtensendung lebt von moral-schwangeren Warnungen über die Auswirkungen des Coronavirus.

Dabei weiß die hohe Wissenschaft noch immer herzlich wenig über den wahren Impact, die Ansteckungsraten und die Mortalität der Pandemie. Die Experten widersprechen sich dauernd. Die Verantwortung bleibt der Politik überlassen. Wobei die meisten Politiker besser sind in Anklagen über wirkliche oder vermeintliche Fehlentscheidungen der jeweiligen Exekutive als im Aufzeichnen konkreter Alternativen.

Wissenschaft wie die Demokratie leben vom Widerspruch. Die Zukunft bleibt immer ungewiss. Die Wahrheit von heute kann der Irrtum von morgen sein. Doch die Menschen leben hier und jetzt. Die Politik muss Weichen stellen. Der allgemeine „Lockdown“ war mit Sicherheit ein Fehler. Doch die weniger brutale Antwort der Schweden blieb nicht ohne negative ökonomische Konsequenzen.

Es gab noch nie so viele Wissenschaftler und Forscher wie heute. Jährlich erscheinen 2,5 Millionen wissenschaftliche Publikationen. Die meisten bleiben ungelesen und ohne Folgen. Der Wanderzirkus der Wissenschaftler leidet derzeit unter den Reisebeschränkungen. Doch der Austausch über das World Wide Web schlägt Rekorde. Visio-Konferenzen, Streaming, Downloads fressen weltweit mehr Energie als Schiff- und Luftfahrt.

Abhängigkeit von den Experten

Eine gut organisierte „Internationale des Wissens“ spendet sich selbst Applaus. Notfalls „klatscht eine Hand allein“, wie Koestler spottete.

Das Problem ist, dass die Menschheit immer abhängiger wird vom „Wissen“ der „Experten“. Die sich gegenseitig misstrauen. „Zur fatalen Ironie des Informationszeitalters gehört, dass es insgesamt zu einem Zeitalter der Desinformation mutiert.“ (NZZ).

Dies ist kein Plädoyer gegen die Wissenschaftler. Friedrich Hayek befand schon: „Zivilisation beruht auf der Tatsache, dass wir alle von einem Wissen profitieren, das wir nicht besitzen.“

Einstein schickte 1939 einen Brief an Präsident Roosevelt, der bloß 200 Wörter umfasste. Aber die Welt veränderte. Seine Warnung, die Nazis könnten die Energie von Uran als Waffe nutzen, führte zu Hiroshima und Nagasaki, aber auch zur zivilen Nutzung der Atomenergie.

Die Einsteins sind selten geworden. Wissenschaftliche Thesenpapiere tragen heute oft Dutzende von Unterschriften. Was die Qualität der Aussage nicht unbedingt vervielfacht. Zumal oft mit leeren Ideen viel Staat gemacht wird.

Politische Entscheidungen kommen nicht mehr ohne wissenschaftlichen Rat aus. Dennoch muss Skepsis, müssen Zweifel erlaubt sein, auch bei angeblichem „wissenschaftlichen Konsens“!

*Der Autor ist ehemaliger Minister und früherer Europaabgeordneter 

HTK
9. September 2020 - 15.16

Richtig. "Vermissen sie den Dodo oder die Dronte?"fragte einst Midas Dekkers,Biologe und Autor ( der Zahn der Zeit ). Aussterben liegt in der Natur und ist so zuverlässig wie der Sonnenuntergang. Auch wir,die Erfinder der Moral,stehen auf der Liste.Da können wir Marsmissionen starten bis soviele wir wollen.Es liegt nur an uns wie schnell dieses Verschwinden vor sich geht. Und wie sagte Will Smith ( Schauspieler ) "Was ist die oberste Frage die jedes Lebewesen sich täglich stellt? Es ist nicht Gott,oder Freunde oder Feinde.Es ist die Frage : Was gibt es heute zu essen? Sobald wir diese Frage nicht mehr beantworten können,haben wir nie mehr Kopfschmerzen. Und da steht die Weltbevölkerung an erster Stelle und nicht erst seit gestern.

Grober J-P.
4. September 2020 - 21.05

SGP. Nichts wurde gestreut, Düngemittel schon lange nicht mehr. Haben auch Futterplätze eingerichtet, aber seit 2 - 3 Jahren ist die Vielfalt der Vogelarten hier sehr zurückgegangen. A propos dürrer Rasen, sie müssen wohl in der Nähe einer Quelle wohnen, habe seit Mai nur einmal mähen müssen, bin nicht der einzige in der Nachbarschaft. Kohlmeisen ja, Spatzen ja und das jede Menge, Blaumeisen nix, Rotkehlchen nix, Rotschwänzchen nix, Bienen nix. Sie leben dort wohl in einem Paradies. Ach ja, der Birnbaum vom Nachbarn ist brechend voll, seine Apfelbäume auch nur sehr spärlich behangen. Keine grüne Panik, nur Lagebericht, haben Sie sich schon mit einem Getreidebauern unterhalten?

Stop Grüne Panik
3. September 2020 - 12.34

@ Herr Grober, Unsere Blaumeisen begrüssen uns noch immer auf dem Balkon, das Rotkehlchen das mich im Frühjahr beim Garten umgraben begleitet hat sass neulich noch unter der Hecke, die Kohlmeisen hatten 2 mal Nachwuchs dieses Jahr in unserem Nistkasten im Garten. Eine Biene hat mich gestochen, das hab ich gemerkt als Allergiker. Schon in den 1970ern hab ich mich damals bei meinen Eltern noch über den dürren Rasen im August gefreut,, es gab kein Streit wer mähen soll. Äpfel hab ich keine, aber machen Sie mal einen Abstecher durch die Steinseler Obstanlage, die Äste brechen ab weil Sie die Äpfel und die Zwetschgen überbelasten. Dicke Spatzen sitzen in der Dachrinne zu duzenden. Ich weiss nicht was Sie in Ihrem Garten gestreut haben, Herr Grober.

Grober J-P.
3. September 2020 - 10.20

Keine Ahnung was der Herr Minister A.D. uns sagen möchte. Er scheint das Wissen für sich entdeckt zu haben. Stelle nur fest mit meinem beschränkten Wissen, Blaumeisen in unserem Garten nix mehr, Rotkehlchen nix mehr, Äpfel an unseren Bäumen nix mehr, Bienen an den Blüten nix mehr, Rasen rund ums Haus nix mehr herrlich brauch nicht mehr zu mähen, ein Taubenpärchen taucht immer öfters auf um im Blumenkübel zu baden und jede Menge dürre Spatzen, ach ja, eine Elster hat 2 Amselkücken aus dem Nest geklaut, verrückte Welt.