EditorialKeine Zeit für Ablenkungen: Zur historischen Dimension der Boykott-Aktion im US-Sport

Editorial / Keine Zeit für Ablenkungen: Zur historischen Dimension der Boykott-Aktion im US-Sport
Die Spielerbank blieb am Mittwoch leer. Die Milwaukee Bucks haben ein historisches Zeichen gesetzt. Foto: AFP/Kevin C. Cox

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Kyrie Irving hatte von Beginn an kein gutes Gefühl. Der Basketballer der Brooklyn Nets aus der nordamerikanischen Profiliga NBA war gegen die Wiederaufnahme der Saison nach der Corona-Pause gewesen. Dabei ging es dem Basketballstar in erster Linie nicht um die Angst vor dem Virus. In ihrer „Blase“ im Disney World Orlando sind die Mannschaften eigentlich recht sicher. Irving ging es um etwas anderes. „Something smells a little fishy“, bemerkte er und äußerte seine Bedenken, dass die Fortsetzung der NBA-Saison die Aufmerksamkeit von wichtigeren Themen wie der Black-Lives-Matter-Bewegung ablenken würde. Daraufhin wurde Irving als Störenfried und Verschwörungstheoretiker beschimpft. Als einer, der Drama stifte, ohne wirklich Macht zu haben.

Am Mittwoch war es dann gerade die NBA, genauer gesagt die Spieler der Milwaukee Bucks, die mit ihrem Boykott ein starkes Zeichen gegen Rassismus setzten. Auslöser waren der neuerliche Fall von Polizeigewalt gegen den Afroamerikaner Jakob Blake sowie die rassistisch motivierten Morde während Protesten. Dass die Protestbewegung gerade aus der stärksten Basketball-Liga der Welt kommt, macht es zu einem noch stärkeren Zeichen. Die NBA gehört zu den meistkommerzialisierten Sportligen der Welt. Das Durchschnittsgehalt eines Spielers beträgt rund 6,5 Millionen Euro pro Jahr. In keiner anderen Liga ist das Durchschnittsgehalt auch nur ansatzweise ähnlich hoch. Zum Vergleich: In der höchsten englischen Fußball-Liga müssen sich die Spieler mit durchschnittlich 3,2 Millionen Euro pro Jahr „zufriedengeben“. Auch wenn ein großer Teil der NBA-Spieler afroamerikanischer Abstammung ist, so sind es doch die weißen Teambesitzer, die die eigentliche Macht haben.

Die Spieler der Milwaukee Bucks haben mit ihrem Boykott schon jetzt Historisches geleistet. Ihrem Boykott folgten nicht nur die anderen NBA-Teams, sondern, mit Ausnahme der NHL, ein großer Teil des US-Sports. Auch die Tennisspielerinnen Naomi Osaka und Coco Gauff traten aus Protest nicht zu ihren Matches an. Oftmals wird Hochleistungssportlern ja eine Vorbildfunktion nachgesagt, am Mittwoch wurden sie dieser gerecht. Die Protestaktion hat aber auch für den europäischen, ja den weltweiten Sport Vorbildcharakter. Gerade in Europa, wo es noch immer eine Romantisierung des Hochleistungssports gibt und die sozialen Aspekte hervorgehoben werden, gibt es seit Jahren Diskussionen über die Macht oder Ohnmacht der Athleten. Politische Statements während Sportveranstaltungen sind immer noch verpönt, ja sogar verboten. Dass die Sportler aber durchaus Macht und die Möglichkeit haben, sich für eine Sache einzusetzen, haben die Bucks unter Beweis gestellt. Und das sogar in einer Liga, in der es ganz offen nicht um Romantik, sondern um Kommerz geht.

Die NBA-Spieler haben ein Zeichen gesetzt und deutlich gemacht, dass es Wichtigeres gibt als ihren Sport. In Zeiten, in denen Rassismus in einem demokratischen Land wie den USA so offen ausgelebt wird und eine Nation so gespalten ist wie nie zuvor, braucht es keine Ablenkung durch Basketballspiele. Es ist an der Zeit, auf Menschen wie Kyrie Irving zu hören.