Historischer BerufSo arbeitet ein „écrivain public“ heute

Historischer Beruf / So arbeitet ein „écrivain public“ heute
Paul Prussen, einer von sieben „écrivains publics“ des ASTI Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Paul Prussen übt einen heute seltenen Beruf aus: Er ist „écrivain public“. Als solcher schreibt er Briefe und Dokumente für Personen, die das nicht so gut können. Zu seinen Kunden gehören vor allem Neuankömmlinge im Land.

„Sie brauchen jemanden, der Ihnen hilft, einen Brief zu schreiben, ein Formular auszufüllen, ein offizielles Dokument zu verstehen, usw.?“, mit diesen Worten wirbt die ASTI („Association de soutien aux travailleurs immigrés“) für ihren „écrivain public“-Dienst. Seit 2015 bietet die Vereinigung jedem, der eine solche Hilfe benötigt, kostenlos die Dienste eines Schreibers an.

Schreiber war bis zum Beginn der Neuzeit ein sehr wichtiger Beruf: Da es nur wenig Schreibekundige gab, konnten sie bis in höchste staatliche Stellen aufsteigen. Mit der Erfindung des Buchdrucks um 1450 aber verlor der Beruf an Bedeutung. Der öffentliche Schreiber, so wie er heute bei uns existiert, teilt zwar noch Gemeinsamkeiten mit seinem historischen Vorgänger, doch hat sich das Berufsbild grundlegend geändert.

„Wir sind keine ,écrivains publics‘ in dem Sinn mehr, dass wir auf dem Marktplatz sitzen und dort in der Öffentlichkeit auf Kunden warten, so wie es heute noch in einigen südamerikanischen Städten der Fall ist“, erklärt der 65-jährige Paul Prussen, einer von sieben Schreibern, welche die ASTI beschäftigt. Selber bevorzugt er einen anderen Jobtitel: „,Consultant en écriture‘ ist wohl angebrachter, da wir die Leute beraten, wie und was man schreiben soll.“

„Die Menschen, die uns aufsuchen, kommen oft mit Formularen oder Briefen, die sie nicht verstehen. Ein Beispiel: Die Leute, die meine Dienste in Anspruch nehmen, erhielten z.B., wie wir sagen, ,e gepefferte Bréif‘ und wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Meine Aufgabe ist es dann auch, ihnen die Wege und Gepflogenheiten der luxemburgischen Verwaltung zu erklären.“

Der heutige Schreiber, wenigstens in unseren Kulturkreisen, ist als eine Art Vermittler zwischen verschiedenen Kulturen zu sehen. „Ehe man das eigentliche Schriftstück, meistens handelt es sich um Lebensläufe, Bewerbungsschreiben oder offizielle Dokumente, verfasst, muss man oft erst einmal herausfinden, was die Person gegenüber eigentlich will oder braucht“, sagt Prussen. Je nach kulturellem Hintergrund ticken die Leute verschieden und hätten deshalb eben oft eine andere Ausdrucksweise als wir Europäer. „Ich muss dann also erst einmal versuchen zu verstehen, was mein Gegenüber meint.“ Private Sachen oder sogar Liebesbriefe musste er bisher noch keine schreiben, scherzt er.

Einfühlungsvermögen

Der 1955 in Esch geborene und heute in Luxemburg-Stadt wohnende Paul Prussen studierte Psychologie in Österreich, wo er seinen Doktor machte. „Das war in Österreich für das Fach so üblich“, sagt er mit Bescheidenheit, als ob er sich für seinen Titel entschuldigen müsste. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als Lehrer am „Institut d’études éducatives et sociales“. Seit drei Jahren ist er nun ehrenamtlicher Mitarbeiter bei der ASTI. Alle öffentlichen Schreiber der ASTI sind Freiwillige. Eine bestimmte Ausbildung oder gar Diplom für öffentliche Schreiber gibt es nicht. „Ich glaube, die wichtigste Voraussetzung für einen ,écrivain public‘ ist gut zuhören können sowie eine große Empathie.“

„Anfangs erhält man eine sehr kurze Grundausbildung und schaut erfahreneren Kollegen über die Schulter, dann muss man relativ schnell alleine zurechtkommen.“ Zu den Aufgaben des Schreibers gehört es aber auch, neben dem Verfassen von Dokumenten, die Personen, denen er hilft, auf etwaige Konsequenzen (Kosten, Verfahren, Fristen usw.) aufmerksam zu machen. Die Texte, die er verfasst, dürfen nicht gegen das Gesetz verstoßen. So darf er zum Beispiel keine Drohungen oder Erpresserbriefe schreiben. Er hat ausdrücklich das Recht, sich zu weigern, Beleidigungen zu schreiben. Er ist kein Ersatz für öffentliche Dienste und wird seinen „Klienten“ falls nötig an die kompetenten Stellen verweisen.

Motivierend für Prussen ist auch, dass er stets mit neuen Leuten zu tun habe: „Jeden Tag bei dieser Arbeit frage ich mich ,Was kommt heute?‘. Allerdings bekomme ich viele traurige Gesichter zu sehen, wie zum Beispiel zahlreiche alleinstehende Frauen mit Kindern.“ Die Folgen ihrer Arbeit, ob erfolgreich oder nicht, bekommen die Schreiber meistens nicht mit. „Normalerweise sehe ich die Leute nur einmal, manchmal kommen sie ein zweites Mal, wenn ich mehr Informationen benötige.“

Warum er sich für diese Tätigkeit entschieden hat? „Mir ist im Leben so viel Gutes widerfahren, ich möchte einen Teil davon zurückgeben. Zudem mag ich das Schreiben“, erklärt Prussen. „Und die Tätigkeit des Schreibers ist insofern interessant, als man mit den verschiedensten Arten von Leuten in Kontakt kommt. Mehrheitlich sind es Ausländer, aber auch ein paar Luxemburger. Man erfährt viel über die Biografie der jeweiligen Person.“ Und es sei manchmal schwierig, erst mal den Lebenslauf geordnet zu Papier zu bringen, also in eine verständliche Form.

Trotz sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten komme trotzdem stets etwas zustande; nur ab und zu kämen die Leute mit einem Übersetzer. Auch ist es nicht so, dass die Menschen, die zu einem Schreiber gehen, Analphabeten seien. Ganz im Gegenteil: „Unter ihnen gibt es auch solche, die studiert haben, aber eben die Gepflogenheiten Luxemburgs nicht kennen.“

Kontakte

Es gibt im Großherzogtum folgende öffentliche Schreiberdienste:
Luxemburg-Dommeldingen: ASTI, 10-12, rue Auguste Laval, Terminvereinbarung per Tel.: 43 83 33 1, E-Mail: ecrivain.public@asti.lu;
Differdingen: Gemeinde, Maison Krieps, Terminvereinbarung donnerstags von 16.00-19.00 Uhr per Tel.: 661 58 70 15;
Esch/Alzette: Inter-Actions (Ensemble Al Esch Brill Grenz), 150, bvd. J.F. Kennedy, Terminvereinbarung per Tel.: 621 35 77 33;
Ettelbrück: CNDS, 12, rue du Commerce, ecrivainpublic@cnds.lu.