Grünen-Fraktionschefin„Wir dürfen grüne Politik nicht gegen Sozialpolitik ausspielen“

Grünen-Fraktionschefin / „Wir dürfen grüne Politik nicht gegen Sozialpolitik ausspielen“
„Die Verluste bei den Umfragen sehen wir nicht als Drama, sondern als Motivation, weiter an unseren Themen zu arbeiten“, sagt die grüne Fraktionschefin Josée Lorsché Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Seit 2011 ist Josée Lorsché (58) Mitglied der grünen Fraktion im Parlament. Im selben Jahr ist sie Schöffin in der Gemeinde Bettemburg geworden. Nach den Wahlen im Oktober 2018 hat die ausgebildete Lehrerin den Fraktionsvorsitz von „déi gréng“ in der Abgeordnetenkammer übernommen. Im Interview erklärt sie, wieso ihre Partei bei den letzten Wahlumfragen an Zustimmung einbüßen musste und warum die Wachstumsfrage nach der Corona-Krise ihrer Ansicht nach neu gestellt werden muss. 

Tageblatt: Nach einem zwischenzeitlichen Umfragehoch im Jahr 2019 sind „déi gréng“ bei der letzten Sonntagsfrage noch unter ihr Wahlergebnis von 2018 gerutscht. Im Politmonitor finden sich unter den Top 20 der beliebtesten Politiker aus Ihrer Partei nur noch Sam Tanson und François Bausch. Wie erklären Sie sich diesen plötzlichen Einbruch?

Josée Lorsché: Das hat mehrere Ursachen. In der Corona-Krise standen mit Paulette Lenert und Xavier Bettel die anderen beiden Regierungsparteien stärker im Fokus der Medien. Wir haben in der Krise aber auch unsere Rolle erfüllt und die Politik der Regierung mitgetragen. In Krisenzeiten wollen die Menschen ernst genommen werden und sie wollen Lösungen. Unsere Ressorts waren nun mal weniger von Corona betroffen, deshalb waren wir nicht so sichtbar. Andererseits ist der Kampf gegen den Klimawandel ein Rennen, bei dem man nicht immer nur Rückenwind hat. Die Verluste bei den Umfragen sehen wir nicht als Drama, sondern als Motivation, weiter an unseren Themen zu arbeiten. Das geht aber nur mit dem Vertrauen der Bevölkerung. Vielleicht sind manche Botschaften nicht so angekommen, wie sie gedacht waren.

Wegen Covid-19 sind Klima- und Umweltthemen in den vergangenen Monaten in den Hintergrund gerückt. Wird das Klimagesetz nun auf die lange Bank geschoben?

Die Klimapolitik ist nach wie vor wichtig und wird sicherlich wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Das Klimagesetz wird kommen und diskutiert werden. Ich möchte aber betonen, dass dieses Gesetz nicht nur in grüner Verantwortung liegt. Der Klimaschutz ist eine transversale Aufgabe, die in allen Ministerien wahrgenommen werden muss, insbesondere in der Wirtschaft, der Landwirtschaft und der Finanzpolitik.

Die Grünen scheinen mit ihren Themen immer mehr zu polarisieren. In den sozialen Medien werden regelrechte Hetzkampagnen gegen Ihre Partei und vereinzelte Politiker geführt. Wie erklären Sie sich diese negative Stimmung?

Auf der einen Seite wird gefordert, dass die Umwelt geschützt werden soll. Eine rezente Befragung des „Mouvement écologique“ hat ergeben, dass 60% der Bewohner Luxemburgs nachhaltiger leben und die Abhängigkeit von fossilen Energien verringern wollen. Wenn es aber darum geht, konkrete Maßnahmen umzusetzen, entsteht auf einmal Gegenwind. Ich will diese negative Stimmung nicht überbewerten. Wir stellen fest, dass es nur bestimmte Gruppen sind, die massiv gegensteuern. Vieles hängt von der Umsetzung ab. Wir dürfen grüne Politik nicht gegen Sozialpolitik ausspielen. Wir müssen die richtigen Akzente setzen, damit es nicht wegen der Klima- und Umweltpolitik zu einem Sozialkonflikt kommt.

Der Hass scheint sich vor allem gegen etablierte Politiker wie François Bausch oder Claude Turmes zu richten. Könnte das damit zusammenhängen, dass François Bausch nun als Verteidigungsminister Militärsatelliten und Transportflugzeuge kauft, wodurch der Eindruck entsteht, er habe die Ideale der Grünen verraten?

François Bausch hat in den vergangenen Jahren unheimlich viel im Bereich der Mobilität geleistet. Wenn wir in dieser Koalition das Verteidigungsressort übernommen haben, zeigt das vor allem, dass François Bausch ein Realpolitiker ist, der die Verantwortung nicht scheut. Sein Ziel ist es ja nicht, Krieg zu führen, sondern ethische Kriterien einzuführen, um zu zeigen, dass Polizei und Armee demokratische Werte vertreten und unsere Grundrechte schützen.

Claude Turmes kam von einer anderen politischen Plattform nach Luxemburg zurück und ist nun auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Er hat erkannt, dass es komplexer ist, Teil der Luxemburger Regierung als Mitglied des Europaparlaments zu sein.

Josée Lorsché, Fraktionsvorsitzende von „déi gréng“

Die Entscheidung des Parlaments, die Abstimmung über das Freihandelsabkommen CETA noch während des Ausnahmezustands abzuhalten, hat hohe Wellen geschlagen. Viele Menschen haben das den Grünen übler genommen als den anderen Mehrheitsparteien. Claude Turmes und weitere Mitglieder Ihrer Partei haben vor zwei oder drei Jahren noch an Anti-CETA-Demos teilgenommen, jetzt unterstützen „déi gréng“ das Abkommen quasi bedingungslos. Ist das nicht doch etwas zu viel Realpolitik?

Claude Turmes kam von einer anderen politischen Plattform nach Luxemburg zurück und ist nun auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Er hat erkannt, dass es komplexer ist, Teil der Luxemburger Regierung als Mitglied des Europaparlaments zu sein. Was CETA anbelangt, haben wir ein Abkommen innerhalb der Regierung, dass der jeweils zuständige Minister die Priorität hat, Entscheidungen für sein Ressort vorschlagen zu können. Wenn wir uns permanent gegenseitig ein Bein stellen, können wir genauso gut aufhören.

Sowohl die Fraktion als auch die Parteispitze haben sich in den vergangenen Jahren stark verjüngt. Grund dafür waren Sterbe- und Krankheitsfälle, aber auch Rücktritte. Ging dieser Verjüngungsprozess nicht etwas zu schnell?

Nach dem Tod von Camille Gira und der Krankheit von Felix Braz hatten wir keine andere Wahl. Gleiches gilt für Roberto Traversini, der die Konsequenzen aus seiner Affäre gezogen hat. Christian Kmioteks Entscheidung, das Amt des Co-Präsidenten einem Jüngeren zu überlassen, ist Teil der DNA unserer Partei. Wir bleiben nicht, wie manch anderer Politiker, an unseren Stühlen kleben, bis wir von selbst herunterfallen. Natürlich wird es schwieriger, wenn viele junge Menschen in kurzer Zeit hinzukommen, doch jeder muss seine Erfahrungen machen und seine Kompetenzen entwickeln. Es ist ein Zeichen, dass Jüngere Verantwortung übernehmen können und auch sollen.

Mit dem Wohnungsbau haben „déi gréng“ eines der schwierigsten Ressorts in dieser Legislatur übernommen.

Wir haben nur schwierige Ressorts. Ich wage mal zu behaupten, dass Tourismus und Sport gemütlicher sind als die Ressorts, die wir haben (lacht).

Sind Sie zufrieden mit den Reformen, die Wohnungsbauminister Henri Kox bis jetzt vorgeschlagen hat?

Die Grundidee, dass die öffentliche Hand mehr Verantwortung übernehmen und in die Preisentwicklung eingreifen soll, geht in die richtige Richtung. Die enge Zusammenarbeit mit den Gemeinden ist wichtig. Richtig ist auch, dass der Staat vor allem im erschwinglichen Mietwohnungsbau stärker aktiv werden soll. Die Preisentwicklung bei den Mieten soll kontrolliert werden und Wohngemeinschaften sollen gesetzlich geregelt werden. Das finde ich ganz gut. Auch die Reform des „Pacte logement“ schlägt den richtigen Weg ein.

Gehen diese Maßnahmen weit genug, um die Preisspirale wirklich stoppen zu können? Müsste die Teilnahme am „Pacte logement“ für die Gemeinden nicht verpflichtend sein?

Beim Klimapakt war die Teilnahme auch freiwillig. Am Ende haben alle Gemeinden mitgemacht, weil sie gemerkt haben, wie wertvoll es ist, ein solches Instrument und einen Berater vom Staat zur Verfügung gestellt zu bekommen. Mietgesetz und „Pacte logement“ reichen aber alleine nicht aus. Im Rahmen der Steuerreform müssen weitere gezielte Maßnahmen beschlossen werden, um der Spekulation einen Riegel vorzuschieben.

Wird die Steuerreform denn trotz Corona wie geplant umgesetzt werden können?

Wir hatten eine Arbeitsgruppe zur Steuerreform gebildet. Wegen Corona kam diese Gruppe nun nicht mehr zusammen. Ende des Jahres soll sie ihre Arbeit wieder aufnehmen. Ziel ist es, die Steuerreform noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen.

Die Corona-Krise wird von vielen Menschen als Chance gesehen, um Maßnahmen zur Verkürzung der Arbeitszeit und zur Verbesserung der Lebensqualität einzuleiten. Wie könnte man das praktisch umsetzen?

Ich denke, dass wir eine generelle Diskussion über die Arbeitszeit führen müssen. Die alte Debatte um die 35-Stunden-Woche muss verfeinert werden. Kürzere Arbeitszeiten dürfen nicht mit Lohnkürzungen einhergehen. Wenn wir über ein resilienteres Leben reden, kommen wir auch nicht um die Wachstumsfrage herum. Es muss qualitativer gewirtschaftet werden. Die regionale und lokale Produktion sowie die Kreislaufwirtschaft müssen gefördert werden. Das wird auch Auswirkungen auf die Lebensqualität haben.

Die Wachstumsfrage wird schon seit Jahren gestellt, bislang kam aber wenig dabei heraus. Glauben Sie, dass sich wegen Corona etwas daran ändern wird?

Es hängt davon ab, was man unter Wachstum versteht. Wirtschaftswachstum? Bevölkerungswachstum? Wir brauchen Betriebe, sonst haben wir keine Arbeitsplätze. Ich bin sicherlich nicht betriebsfeindlich, doch wir sollten die lokale Produktion stärker fördern. Dadurch wird auch Wachstum erzeugt, doch es ist nachhaltiger. Mit dem Gesetz, dass Betriebe, die ökologischer wirtschaften, stärker bezuschusst werden, hat die Dreierkoalition schon einen wichtigen Schritt getan.

Machen Sie in diesem Jahr Urlaub?

Nein. Ich bleibe in Luxemburg und besuche alle Regionen des Landes.

Gönnen Sie sich aber wenigstens eine Auszeit?

Ich bin ja auch noch Schöffin. Diese Arbeit ist während der Pandemie etwas zu kurz gekommen, deshalb verbringe ich im Sommer viel Zeit im Rathaus. Ich vertrete den Bürgermeister während seiner Abwesenheit.

Ihre Kollegen Georges Engel (LSAP) und Gilles Baum (DP) haben Ihre jeweiligen Mandate als Bürgermeister und Schöffe abgelegt, nachdem Sie den Fraktionsvorsitz übernommen haben. Haben Sie auch schon darüber nachgedacht?

Mir wird nachgesagt, ich sei ein Energiebündel. Mal schauen, wie lange die Energie noch anhält. Das kommunale Amt ist interessant, weil man sieht, wie die Entscheidungen, die wir im Parlament treffen, in den Gemeinden ankommen. Darüber hinaus möchte ich noch einige Herzensprojekte in Bettemburg umsetzen.

H. Horst
10. August 2020 - 23.07

@Jean Erfahrung militärischer Art habe ich sowohl in Theorie wie auch in Praxis überreichlich.....Das ist keineswegs ihr Alleinstellungsmerkmal

H.Horst
10. August 2020 - 22.08

@ P.Wollscheid Aha,...aner Parteien sollen greng Themen ofdecken....Dat as lächerlech. Eng DP déi muss Entscheedungen géint Geschäftsleit treffen.....? Eng LSAP déi muss Entscheedungen géint onqualifizéiert Arbechtsplatzen treffen....? Dir dreemt...!

Pierre Wollscheid
10. August 2020 - 20.46

Wein kann sech dann nach Greng leschten et gett hoch Zeit das dei anner Parteien verstinn dat dei Themen ich kenne besatt gin ouni Greng ze sin. Mä hun dei Greng vill ze Lang gewerden gedoen Elo gett et duer et sin keng Suen mei do vir ze vill Greng ze sin.

H.Horst
10. August 2020 - 20.04

Zum Thema grüne und Militär erschien am 19.04.2019 im "Land" ein pertinenter Beitrag: "Die grüne MIlitärdoktrin" http://www.land.lu/page/article/377/335377/DEU/index.html Der Beitrag erklärt tiefgreifend das Verhältnis der Grünen zum Militär und räumt mit vorgefassten Meinungen auf.

en ale Sozialist
10. August 2020 - 17.35

Solange Umwelt-und Sozialpolitik einander ausschliessen sind wir auf dem Holzweg. Es ist wie mit dem Pazifisten und dem Friedfertigen oder gibt es da etwa einen fundamentalen Unterschied? Ein bewaffneter Pazifist ist wie ein Priem kauender Nichtraucher. Seit sie in der Verantwortung stehen, sind die Grünen nicht mehr die Grünen von einst. Zu viele faulen Kompromisse! Es ist wie mit dem Gewerkschafter, der zu einem Ministerposten kommt, wie das Jungfrau zum Kind.

Die Fahne
10. August 2020 - 15.51

Richtig Herr Horst, Vollkommen richtig, aber ausgerechnet die Grünen!! Die muss man doch Lügner bestrafen und nie mehr wählen. Man kann doch nicht ein halbes Leben gegen Militär und Aufrüstung sein, und dann der Karriere wegen sich mit dem Wind drehen wie der Gockel auf dem Kirchturm. Dieser Mann ist doch ein Lügner. Und wenn es um den Posten geht wird der auch noch Klimaleugner. Diese Leute sind nicht wiederwählbar. Und seinem Freund dem Klimaretter ist er in den Rücken gefallen wie ein Mehlsack.

Jean
10. August 2020 - 14.38

@Horst: Als ehemaliger Elite Soldat einer AMF Einheit weiß ich was Waffen anrichten. Aus Erfahrung wird man Friedensaktivist , die Erfahrung fehlt Ihnen, die Erfahrung wünsche Ihnen nicht.

H.Horst
10. August 2020 - 12.11

@Jean Welche glaubhafte Alternative gibt es zur Rüstung ? Sie dürfen gerne Pazifist sein aber das ist ihre persônliche Sache. Ich bin lieber ein ausreichend bewaffneter Friedfertiger.

Jean
10. August 2020 - 11.10

Grüne Politik ist dem Bürger , der Umwelt wegen,Nachhaltigkeit predigen , den Individualverkehr verteufeln und militärische Aufrüstung zu bejahen. Den alternativen Gründerväter konnte man noch Glauben schenken, den Karrieristen der heutigen alternativlosen Partei nicht.