EditorialDas unantastbare Dogma – Warum „Let’s make it happen“ nicht mehr funktioniert

Editorial / Das unantastbare Dogma – Warum „Let’s make it happen“ nicht mehr funktioniert
Premierminister Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Paulette Lenert Anfang Mai beim Besuch des Coronazentrums in der Rockhal Foto: Editpress-Archiv/Julien Garroy

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Die „Santé“ und die liebe Kommunikation. Dieses Thema entwickelt sich irgendwie zur Neverending Story. Nur über das Genre dieser Story sind wir uns noch nicht einig.

Zu Beginn der Krise wurde uns ein eiskalter Skandinavien-Thriller präsentiert. Eine kleine, aber feine Besetzung. Nächtliche Pressekonferenzen im Schummerlicht. Tränennahe Protagonisten, erschütternde Ehrlichkeit. Die Message: Wir wissen zu wenig. Wir sind genauso hilflos, wie ihr es seid. Es war mitreißend. 

Aber nur ein paar Wochen später wechselten wir dann zur altbekannten, von der PR-Maschine angetriebenen Doku-Soap. Pathos und Emotionen, kombiniert mit kühlen Zahlenspielen. Luxemburg macht Massentests. Luxemburg forscht an der Covid-Therapie. Luxemburg macht Contact Tracing. Wir sind die Ersten hier und die Besten da. Die Message: Wir haben die Sache nicht nur im Griff, wir haben sie auch noch besser im Griff als die anderen.

Jetzt, in der zweiten Welle, wandelt sich unsere Story immer mehr zur Tragödie. 

Innerhalb nur eines Tages legt das Gesundheitsministerium gleich zwei Kommunikationskatastrophen aufs Parkett. Zuerst widersprechen sich die Gesundheitsministerin und der oberste Virenjäger der Nation, ob und wie viele Corona-Tests falsch negativ sein können. Und dann veröffentlicht das Ministerium versehentlich (!) eine Statistik, die die Neuinfektionen in den Luxemburger Gemeinden anzeigt – ein Politikum, über welches das halbe Land zuvor wochenlang diskutiert hat.

Aber nein, Fehler sind natürlich nie passiert. „Einen richtigen Fehler in unserer Kommunikationsstrategie sehe ich nicht. Wir waren ja immer am Ball“, sagt Gesundheitsministerin Paulette Lenert (siehe Tageblatt-Interview auf Seite 4).

Ihr Haus fällt zusehends in die alten, schlechten Verhaltensmuster der Luxemburger Politik zurück. Anstatt öffentlich zu akzeptieren, dass es irgendwo ein Problem gibt, wird sich wochenlang im stillen Kämmerlein eine PR-taugliche Gegenstrategie überlegt, die zwar ein paar Milliönchen kostet, aber auf einer Pressekonferenz medienwirksam als Antwort auf alle Fragen präsentiert werden kann.

Und das ist das Kernproblem der gesamten Regierung. Ein Problem, das ihre Arbeit mehr und mehr lahmlegt. Sie will auf Teufel komm raus keinen Fehler einräumen, keine Versäumnisse eingestehen, keine Schwäche zeigen, sie will keinen Deut von dem allem übergeordneten unantastbaren „Let’s make it happen“-Dogma abweichen.

Das ist in Nichtkrisenzeiten zwar nervig – aber es tötet keine Menschen und bringt vielleicht auch die Wirtschaft nicht an den Abgrund. Heutzutage kann das aber in einer Katastrophe enden.

Regierende, bitte hört endlich mit dieser unsäglichen „Let’s make it happen”-Selbstpräsentationswut auf. Nehmt diese Krise als das, was sie ist: eine unfassbare Katastrophe für jeden von uns. Handelt professionell und mit Ernst. Geht davon aus, dass die Menschen, die ihr regiert, denkende Wesen und mündige Bürger sind, die mehr von euch wollen als euer ewiges Lächeln und euer gespinntes Marketing-Gewäsch.

„Hätte uns denn jemand zugehört?“, fragt Lenert allen Ernstes im Interview auf Seite 4. Oh ja, Frau Ministerin. Wir hätten zugehört.

Jean Lichtfous
14. August 2020 - 20.54

@Thomas Senzig: Danke für die heutige Antwort auf meine Frage vom 8.8.2020. Ich bezog mich, und ich setze ihn noch einmal hierhin, auf folgenden Satz Ihres Leitartikels: "Anstatt öffentlich zu akzeptieren, dass es irgendwo ein Problem gibt, wird sich wochenlang im stillen Kämmerlein eine PR-taugliche Gegenstrategie überlegt, die zwar ein paar Milliönchen kostet, aber auf einer Pressekonferenz medienwirksam als Antwort auf alle Fragen präsentiert werden kann." Im stillen Kämmerlein .. eine Pr-taugliche Gegenstrategie.. die einige Milliönchen kostet. Dazu hatte ich Sie gefragt. Ihre langatmige Antwort, beantwortet, erklärt, Ihren diesbezüglichen Vorwurf keineswegs. Dont acte. MbG Jean Lichtfous

Tobias Senzig
14. August 2020 - 18.53

Sehr geehrter Herr Lichtfous, ich meine damit die Vorgehensweise der Regierung, bestimmte Projekte mit größerem Aufwand anzukündigen, die Ergebnisse aber später gar nicht oder nur kleinlaut zu kommunizieren. Das beschränkt sich nicht ausschließlich auf das Gesundheitsministerium oder die gegenwärtige Lage, aber hier ist es meiner Meinung nach besonders sichtbar. Hier zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit: Auf einer Pressekonferenz wurde im März erklärt, dass Luxemburg an der „Discovery-Studie“ beteiligt, einem europäischen Forschungsprojekt, das mögliche Therapien für Covid-19 untersuchen soll. https://www.tageblatt.lu/headlines/wie-luxemburgs-neue-plattform-fuer-teleuntersuchungen-und-die-centre-de-soins-avances-funktionieren/ Was daraus geworden ist, wurde aber nicht kommuniziert. Anfang April wurde uns vom Gesundheitsministerium mitgeteilt, dass „Luxemburg noch nicht an der Studie teilnimmt“ – auf unsere Nachfrage hin. Ende Mai wurde uns – ebenfalls auf Nachfrage – berichtet, dass „kein Luxemburger Patient zurzeit an der Studie teilnimmt“. https://www.tageblatt.lu/headlines/kein-luxemburger-patient-nimmt-derzeit-an-discovery-studie-teil-hydroxychloroquin-nicht-mehr-eingesetzt/ Mein zweites Beispiel betrifft die Large Scale Tests. Das ist ein großartiges, kühnes Vorhaben durch das Luxemburg internationale Aufmerksamkeit zuteil wurde. Es wurde Ende April angekündigt und Ende Mai auf einer Pressekonferenz noch einmal detaillierter präsentiert. In Ihrer Ankündigung im April schrieb die Regierung: „In enger Zusammenarbeit [...] hat die COVID-19 Task Force eine Large-Scale Testing -Strategie erarbeitet, die auf einem freiwilligen Testing der gesamten Bevölkerung inklusive der Grenzgänger aus der Großregion beruht. Dadurch kann dafür gesorgt werden, dass Luxemburg die Aufhebung der Beschränkungen aus dem Lockdown besser und in voller Kenntnis der Sachlage begleiten kann.“ https://www.tageblatt.lu/headlines/wie-die-regierung-menschen-en-masse-testen-will/ Das Projekt hat auch Kosten verursacht, laut science.lu „bis zu 39,5 Millionen Euro“. Eine zweite Test-Welle soll 60 Millionen Euro kosten. Wenn der Steuerzahler mit solchen Kosten belastet wird, muss er meiner Meinung nach über das Projekt detailliert auf dem Laufenden gehalten werden. Aber wurde er das? Was sind denn nun die detaillierten Ergebnisse und Erkenntnisse dieses Mammutprojekts? Wie haben sie uns im Kampf gegen Covid-19 geholfen? Was waren die Probleme? Zu dem Thema gab es weder eine Pressekonferenz noch eine Mitteilung. Auf Nachfrage wurde uns im Juni gesagt, dass die Ergebnisse bald publiziert werden. Diese Diskrepanz finde ich nicht produktiv. Covid-19 hat ziemlich viel auf den Kopf gestellt und die Behörden vor nie dagewesene Herausforderungen gestellt. Ich erwarte von den Behörden oder der Regierung vor diesem Hintergrund beim besten Willen nicht, dass alles perfekt läuft. Aber meiner Meinung nach ist es deshalb umso wichtiger, auch über Fehlschläge zu reden. Es geht mir nicht um die Sinnhaftigkeit der Projekte – angesichts der Lage müssen gewisse Dinge einfach ausprobiert und improvisiert werden und vom wissenschaftlichem Standpunkt aus ergeben sie bestimmt Sinn. Aber es sollte besser darüber kommuniziert werden. Mit freundlichen Grüßen Tobias Senzig

Klitz
14. August 2020 - 4.11

Kompliment für diesen guten Kommentar. Zutreffendster Satz :“eine unfassbare Katastrophe für jeden von uns“. Genau das ist es!

Jean Lichtfous
10. August 2020 - 15.39

@Redaktion: hu lo grad gesin datt Dir engem Kommentator hei äntwert (Calderoni). Dat freet mech an mecht mir emsou méi Hoffnung, datt den Här Senzig mir den ugefroten link schéckt. MbG Cf. Mäi Kommentar hei uewen vum 8.8.2020

Jean Lichtfous
10. August 2020 - 15.37

@Redaktion: hu lo grad gesin datt Dir engem Kommentator hei äntwert (Calderoni). Dat freet mech an mecht mir emsou méi Hoffnung, datt den Här Senzig mir den ugefroten link schéckt. MbG

J-Marc Calderoni
10. August 2020 - 13.44

Häer Maack, däer hutt absolut recht ! Als laangjhäerejhen t-Mataarbechter trëfft ët een haart, wat aus dem dem eehemolejhen lénksgeriichten Presse-Organ gin ass: een ëmmer méi. no riëts tendéirend an däitsch lastegt Medium ! D’Folleg vun enger verfeelter Personalpolitik wéi och eng dramatesch falsch Strategie vum gréissten Tsgeblatt-Aktionär, dem OGB-L. D’Suiten sin eng Verwässerung vun der Meenungsdiversitéit an domadder verbonnen eng politesch Gläichschaltung zugonschten vun de konservative Kreesser. Häer Tobias Senzig, hätt Dir nëtt besser déi diskriminatoresch däitsch Politik unzeprangeren, amplaz eng virbildlech Lëtzebuerger Politikerin z‘attackéiren ? Mä daat geet wahrscheinlech zevill un déi eejhen Haut. PS: Ech hoffen, dass dëse Kommentar der Zensur politesch an deontologesch korrekt genuch as ! ------ Guten Tag Herr Calderoni, Die Redaktion veröffentlicht jeden Kommentar, insofern keine diskriminierende, rassistische, beleidigende oder strafbare Äußerung enthalten ist. Die Redaktion

Decker Marc
10. August 2020 - 13.06

Ween huet dann eis Gesondheetsministech als Schutzengel vun der Nation duergestalt! Eisen Xavier, an Polette ass daat best waat eisem Letzebuerg konnt gescheien seitdem eisen Spetzenpolitiker vun Ell an der Pension ass! Presse muss jo och liewen, och daat kann een verstohen ?

Son
10. August 2020 - 9.02

Schein daat et bach Berichter gin dei Sachen beim Numm nennen Respekt

Jazz
10. August 2020 - 9.00

Wie übertrieben, mühevoll kritisch und überzeichnet ...

Edgar
9. August 2020 - 21.51

Wer hat denn Paulette Lehnert zur neuen Trösterin der Betrübten hochstilisiert, die das Marienland im 21.Jahrhundert von der Pest Covid befreit? Man steigt mit der Presse auf und man fällt wieder mit der Presse.

Runzelrübe
9. August 2020 - 15.00

@Här Maack, da sot eis emol wat do net passt, eng Erklärung sind Dir eis scho schelleg bliwen

Tingeli
9. August 2020 - 11.00

@Marcel Maack Dat do ass dee beschten Artikel deen ech säit laangem gelies hunn. Gutt geschriwwen an esou wéi et ass.

Marcel Maack
8. August 2020 - 16.50

Wéi ass et méiglech, dass eng fréier respektéiert Zeitung wét "t" an e puer Joer hin op ganz nidderechem "Bildniveau" gesonk ass? Virun e puer Méint hunn ech et duerch een "ähnlech verbrachenen" Leitartikel desabonnéiert no ëmmerhin bal 50 Joer, an un ee Reabonnement ass no haut bis op weideres och absolut net ze denken.

Jean Lichtfous
8. August 2020 - 14.53

"(...)Anstatt öffentlich zu akzeptieren, dass es irgendwo ein Problem gibt, wird sich wochenlang im stillen Kämmerlein eine PR-taugliche Gegenstrategie überlegt, die zwar ein paar Milliönchen kostet, aber auf einer Pressekonferenz medienwirksam als Antwort auf alle Fragen präsentiert werden kann.(...)" Ech géif mol behapten, datt ech déi offiziell covid-Kommunikation quasi in extenso suivéiert hun, genausou wéi de Néierschlag dovun an eise Medien. Ech hun, huele mir mol just d'tageblatt, nach néirens eppes vun enger "PR-tauglichen Gegenstrategie" gelies, déi och nach "ein paar Milliönchen" soll kascht hun. Här Senzig, kënt dir mir de link zu engem demenstpriechenden Artikel hei op tageblatt.lu oder an enger tageblatt Printausgab schécken. Ech schéngen den dann iwwer sinn zë hun. Villmols merci.

J.Scholer
8. August 2020 - 13.20

Es bahnen sich politische Unruhen im Lande an. Der „Smiling „Effekt und „Let‘z make happen“ ist verflogen. Spätestens der grüne Koalitionspartner die CO2 Steuer wieder thematisiert, müsste dem letzten Dummchen klar sein , wir werden zur Kasse gebeten. Allerdings stelle ich mir einige Fragen zum „Gemauschels“ der Politik. Im welchen Verhältnis stehen die Ausgaben der Covid Pandemie zu den Ausgaben an militärischerAufrüstung,Weltraumspinnerei, den Wahlgeschenken inform von Zulagen an bestimmte Bevölkerungsgruppen, der Aufstockung von diversen Urlauben,den grüngeschminkten Vergünstigungen für Fahrräder , Elektroautos, Gratis Transport,Tram,dem Ausverkauf unseres Landes beim letzten EU Gipfel ( Häer Bettel, ech soen Merci , mir zwar Risikoland sin, dir d‘Zukunft vun den Genaratiounen hypotkekéiert hut)......Im Endeffekt wird der Bürger , unter Vorwand der Covid Ausgaben, die Zeche für die „ mat der Broutschéiss verdeelten Souen „ zahlen. Diese Covid Krise war willkommener Anlass für diese Regierung ,ihre Misswirtschaft zu kaschieren .Ambitiöse Projekte verkündet und getreu dem Motto dieser Regierung „ Spueren war geschter, Schold maachen ass haut „ hat sie die Bürger in die Irre geführt.

Clemi
8. August 2020 - 13.19

Dem ist nichts hinzuzufügen!!?

Lucinlinburhuc
8. August 2020 - 11.54

"Tränennahe Protagonisten, erschütternde Ehrlichkeit." Richtig! Wir müssen Transparent sein, erscheinen und leben. So wie die nordischen Länder. Wir drehen viel zu viel um den heißen Brei und gen Süden! Die zukünftige Gesellschaftsform ist dort zu finden!

Su
8. August 2020 - 11.29

Madame Lenert Iech gengen mir glewen an ech mengen nemmen Iech mé vill chancen hut Dir net. Politik ass neicht Eierleches mei an desser Kris geseit en et am Beschten EU weit.

@Tobias Senzig
8. August 2020 - 11.00

Top, alles gesagt?