Präsidentenwahl in WeißrusslandErboste Bürger fordern Lukaschenko heraus

Präsidentenwahl in Weißrussland / Erboste Bürger fordern Lukaschenko heraus
Lukaschenko hat sie unterschätzt: Swetlana Tichanowskaja hat anstelle ihres vom Diktator aus dem Weg geräumten Ehemannes Sergej Tichanowski ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen gestellt und hat jetzt großen Erfolg Foto: Sergei Grits/AP/dpa

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Die sowjetische Perestrojka-Rock-Hymne „Wir wollen die Wende“ erlebt dieser Tage in Weissrussland ein Revival. Aufgelegt von Sound-Ingenieuren einer regierungsfreundlichen Veranstaltung am Donnerstagabend im Kiewer Park der weißrussischen Hauptstadt Minsk, hat das Lied die Unterstützungsshow für den Autokraten Alexander Lukaschenko ins Gegenteil verkehrt. Tausende erboste Bürger sangen plötzlich gegen ihren Langzeitherrscher an.

Zuvor waren zwei Wählermeetings der Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja kurzfristig abgesagt worden, nachdem eine Wahlhelferin der letzten verbliebenen Oppositionskandidatin von Geheimpolizisten ins Innenministerium verschleppt und dort massiv eingeschüchtert worden war. Doch statt aufzugeben, gingen Tausende Tichanowskaja-Anhänger auf die Regierungsveranstaltung und drehten diese mit Sprechchören in eine eigene um.

Spielerische, aber dennoch subversive Aktionen wie diese haben dem Wahlkampf in Europas letzter Diktatur in den letzten paar Wochen eine bisher unbekannte Qualität gegeben. Dabei konnte sich die politisch unerfahrene Hausfrau und Englischübersetzerin Swetlana Tichanowskaja unversehens als Galionsfigur der Opposition profilieren. Wesentlich dabei geholfen hat ihr ausgerechnet Lukaschenko selbst, der im Vorfeld seiner für Sonntag angestrebten Wiederwahl die zwei schärfsten Herausforderer kurzerhand festnehmen ließ. Ein dritter Kandidat, der erfolgreiche Minsker Techno-Park-Gründer Walery Tspekalo, floh daraufhin über Moskau nach Kiew. Der Banker Wiktor Babariko und der Blogger Sergej Tichanowski schmachten indes in Untersuchungshaft. Ihnen drohen wegen angeblicher Geldwäsche oder Aufruf zu Massenunruhen je rund zehn Jahre Arbeitslager.

Präsident setzt auf Repression und Angst

Doch an Blogger Tichanowskis Stelle meldete sich kurzerhand seine 37-jährige Ehefrau, und wurde gar tatsächlich registriert. „Die Weißrussen werden nie eine Frau zur Präsidentin wählen, das ist völlig absurd“, höhnte Lukaschenko. Nachdem Swetlana Tichanowskaja indes selbst in kleinen Provinzstädtchen Tausende zu ihren Wählermeetings anlockte, hat Lukaschenko seinen Sicherheitsapparat mobilisiert. In den letzten Tagen sind so Dutzende von Wahlhelferinnen festgenommen worden und plötzlich notwendige Straßenbauarbeiten haben weitere Wahlkampfauftritte verhindert.

Tichanowskajas Erfolg sind nicht politische Inhalte, sondern Unzufriedenheit der Weißrussen über Lukaschenkos fehlende Reaktion auf die Corona-Krise, seine Verhöhnung von Corona-Infizierten und behandelnden Medizinern sowie auch die Wirtschaftskrise des hochgradig vom östlichen Nachbarn Russland abhängigen Landes. Dazu haben sich inzwischen auch ein Teil der Elite und viele Gewinnler seiner sowjetnostalgischen Herrschaftsform von ihm abgewendet.

Statt einen eigenen Wahlkampf zu führen, hat Dauerherrscher Lukaschenko im Sommer nach einer Phase des Tauwetters und einer Annäherung an die EU und die USA wieder auf seine bewährten Methoden Repression und Angst zurückgegriffen. Rund 1.100 Bürgeraktivisten und Demonstrierende ließ er so in den letzten Wochen festnehmen und viele davon für 14 Tage einsperren.

Als auch dies die erbosten Bürger nicht mehr davon abhielt, gegen die Verharmlosung der Pandemie und andere Missstände zu protestieren, zauberten die Sicherheitskräfte eine Verschwörung aus dem Hut: Ende Juli wurden in einem Sanatorium vor Minsk 33 angebliche Söldner der Kreml-nahen russischen Privatarmee „Wagner“ verhaftet. Laut Moskauer Angaben sollen sie via Istanbul in ein Drittland unterwegs gewesen sein, Lukaschenko indes wirft ihnen die Vorbereitung einer farbigen Revolution im Stil des Kiewer Maidan von 2014 vor.

Nachwahlproteste zu erwarten

Am gestrigen Freitag behauptete Lukaschenko nun, neben den 33 Russen seien auch US-Bürger in ähnlicher Mission verhaftet worden. In einem Telefongespräch mit Putin will er sich auf eine Aufklärung geeinigt haben. Der Kreml hatte zuvor mit ernsthaften Konsequenzen im bereits angespannten Verhältnis gewarnt. Moskau hatte Minsk 2019 ultimativ dazu aufgefordert, sich gemäß eines nie umgesetzten Vertrages von 1999 in Russland zu integrieren. Lukaschenko wehrt sich dagegen mit Händen und Füßen, denn dies würde ihn seiner Herrschaft über zehn Millionen Weißrussen entledigen.

Inzwischen hat am Dienstag die traditionelle vorzeitige Stimmabgabe begonnen, Lukaschenkos bestes Wahlfälschungsmittel. Laut seiner Zentralen Wahlkommissionsleiterin Lydia Jermoschina sollen in den ersten drei Tagen 22,5 Prozent der Weißrussen bereits gewählt haben. Unabhängige Beobachter dieses umstrittenen Prozesses wurden auch gestern wieder wie in den Vortagen zu Dutzenden festgenommen. Die OSZE wird diesmal wegen zu später Einladung keine Beobachtermission nach Minsk schicken. Das alles macht es Lukaschenko leichter, zum sechsten Mal im Amt bestätigt zu werden. Völlig unklar ist indes, ob sich die Weißrussen in diesem speziellen Corona-Jahr das üble Spiel noch einmal gefallen lassen werden. Tichanowskajas Wählermeetings lassen die alte politische Opposition auf Zehntausende von Demonstranten auch bei ihren traditionellen Nachwahlprotesten hoffen.

Gerges Jean
9. August 2020 - 14.08

@Kater carlo Das ist nicht zum Lachen:Um an der Macht zubleiben, hat Lukaschenko sämmliche Oppositionelle Kandidaten von der Bildfläche vrschwinden lassen,deshalb stehen Ihre Frauen an vorderster Front um dem Diktator die Stirn zu bieten.Ob sie was bewirken sehen wir am Montag.Es währe zuhoffen,andernfalls riskieren die Frauen auch im Gefängniss zu landen,das ist die Methode Lukaschenkos. Gerges Jang

Kater carlo
8. August 2020 - 12.38

Und mit „unerfahrenen hausfrauen“ will diese belarussische. „ opposition“ ein land regieren. Dass ich nicht lache !