SchwimmenRaphaël Stacchiotti: Haus, Hochzeit, Zwillinge und Schwimmen

Schwimmen / Raphaël Stacchiotti: Haus, Hochzeit, Zwillinge und Schwimmen
Der Lagenspezialist wird noch ein Jahr dranhängen: Vor Tokio 2021 muss Raphaël Stacchiotti aber wohl oder übel noch ein paar Windeln wechseln Gerry Schmit

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Raphaël Stacchiotti ist ein Ausnahmeschwimmer. Das zeigte sich bereits in jungen Jahren, als er von Saison zu Saison die Rekordlisten der Altersklassen füllte. Viele haben heute noch Bestand. Noch nie war ein Akteur so vielseitig im Wasser unterwegs. Aktuell stehen noch 14 Landesrekorde auf seinem Konto. In diesem Sommer, nach seiner vierten olympischen Teilnahme, wollte der 28-Jährige einen Schlussstrich unter seine Karriere ziehen. Wollte, denn Covid-19 bescherte „Sir Kingfish“ ein anderes Schicksal.

Ein bestimmtes Datum steht dabei im Mittelpunkt. Am 24. Juli 2019 schwamm der Ettelbrücker die 200 m Lagen bei den Weltmeisterschaften in Gwangju (COR) erstmals unter der 2-Minuten-Barriere. Auf dem 14. Vorlaufplatz schlug er mit einer Zeit von 1‘59“62 um 5/100 unter der A-Norm für Tokio 2020 und 59/100 unter seinem Landesrekord an. Diese Zeit sollte die direkte Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele bedeuten, seine vierte Teilnahme in Folge. Exakt ein Jahr später sollte auch die Eröffnungsfeier in Tokio am 24. Juli 2020 stattfinden.

Wegen der Pandemie wurde Olympia aber auf 2021 verschoben. Das Datum sollte dennoch ein wichtiger Tag im Leben des Raphaël Stacchiotti werden, der stattdessen am besagten 24. Juli seine Freundin Jill Goerens heiratete. Wie im Sport machte der Champion zudem auch im Privaten keine halben Sachen. Neben der Heirat ist Familie Stacchiotti mit dem Bau eines eigenen Heims in Schrondweiler beschäftigt, nebenbei sind Schwangerschaftskurse angesagt. Denn im September sieht das Paar Mutter-/Vaterfreuden entgegen. Auch in diesem Punkt dünkte Raphaël nach mehr: Jill erwartet Zwillinge, zwei Mädchen.

Tageblatt: Ihr Motto für das Jahr 2020 lautete „one last dive“. Wird daraus der vorletzte „dive“?

Raphaël Stacchiotti: Ich werde 2021 in Tokio starten, das ist sicher. Das habe ich gemeinsam mit meiner Frau und meiner Familie entschieden. Sie sagte zu mir: „Du gehst dorthin.“ Natürlich spukte im Hinterkopf die Frage, ob es einen Sinn hat, weil mein Leben mit Jobsuche, Heirat, bald Kinder und Hausbau ausgefüllt ist. Die Antwort stand schnell fest. Meinetwegen kann man das Motto in „one last dive 2.0“ umtaufen.

Statt Eröffnungsfeier stand am 24. Juli Hochzeit auf Ihrem Programm. Ist das nicht schöner als Olympia? 

Die Hochzeit ist der schönste Tag im Leben, sagt man, und das stimmt. Man heiratet nur einmal im Leben und ich habe mich auf diesen Tag mit Jill gefreut. Olympia ist ein anderes Kapitel und ein absoluter Höhepunkt in einem Sportlerleben. Beides kann man nicht vergleichen.

Wie haben Sie Ihr Leben aufgrund der baldigen Geburt Ihrer Töchter umorganisieren müssen?

Es ist alles eine logistische Herausforderung. Im Moment genießen die privaten Angelegenheiten Priorität und im Schwimmen musste ich einen kleinen Gang zurückschalten. Das heißt aber nicht, dass ich den Sport vernachlässige. 

War es richtig, die Spiele 2020 abzusagen? Gehen Sie davon aus, dass Tokio 2021 stattfinden kann? 

Das IOC musste gezwungenermaßen auf die Einschränkungen wegen des Virus reagieren. Es galt abzuwägen, ob man Olympische Spiele ohne Zuschauer austragen soll oder ob so eine Veranstaltung überhaupt Substanz hat. Es kommen Sportler aus der ganzen Welt zusammen. Deren Gesundheit muss gewährleistet sein. Es bleibt auch ungewiss, ob wirklich alle Athleten hätten teilnehmen können. Ich hatte natürlich bis zuletzt gehofft, dass ich nach all den Vorbereitungen hätte starten dürfen. Am Ende muss man sagen, dass die Entscheidung richtig war. Auch wenn der Sommer damit für mich nicht so wie erwartet verlief, hat sich alles zum Guten gewendet und ich durfte und darf bei der Schwangerschaft dabei sein. Ich bin glücklich, dass alles so gelaufen ist. Ob der Wettbewerb im nächsten Jahr ausgetragen werden darf, kann niemand voraussehen. Ich hoffe sehr darauf. Die Pandemie hat uns weltweit im Griff und sie ist schwer zu fassen. Der menschliche Aspekt wiegt nun mal schwerer als die sportliche Leidenschaft. 

Ist 2021 sicher Schluss?

Nächstes Jahr werde ich meine internationale Karriere endgültig beenden, so oder so. Paris 2024 ist zwar um ein Jahr näher gerückt, ist aber drei Jahre entfernt. Ich freue mich auf meine vierte olympische Teilnahme. Ich werde sie genießen und Spaß haben. 

Wie schwer hat der Lockdown die Schwimmwelt getroffen und wie sieht es mit Ihrer Vorbereitung auf Tokio 2021 aus? 

Wie alle Sportler hat es uns hart getroffen. Uns stand zwar genügend Material zu Verfügung, um uns zu Hause in Form zu halten, aber für sieben Wochen hat uns das Wasser gefehlt. Trockentraining ist schön und gut, aber die Arbeit im Becken ist nicht zu ersetzen. Glücklicherweise haben wir die Auszeit gut überbrückt und seit dem 4. Mai stehen die Sportstätten den Kaderathleten wieder offen. Ich persönlich musste mein Training den neuen Gegebenheiten anpassen. Ich habe gleich am Anfang Vollgas gegeben und mir mit einem Powertraining eine sehr gute Grundform angeeignet. Ich war zehnmal pro Woche im Becken, hinzu kam noch das Krafttraining. Eine Pause habe ich mir nicht gegönnt. Momentan und für die nächsten Wochen sieht mein Stundenplan reduzierter aus. Ich muss Familie, Hausbau und Training unter einen Hut bringen. Das entscheidet sich von Tag zu Tag. Es ist ein ganz anderes Leben, aber die Vorfreude auf das, was uns erwartet, ist riesig.

Stehen auch Wettkämpfe auf dem Stundenplan? 

Die sind nicht vorgesehen. Ich werde wohl frühestens im Januar beim „Euro Meet“ wieder in den Wettkampfmodus schalten. Mit viel Glück kann ich bei den Wintermeisterschaften antreten. Falls diese beiden Veranstaltungen ausgetragen werden können … Ich will mich nicht mit Zeiten beschäftigen. Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr für mich, auch weil viele Unbekannte auf mich zukommen. Ich bin aber überzeugt, dass ich, falls wir im nächsten Sommer in Tokio schwimmen dürfen, eine gute Zeit präsentieren kann. 

Haben Sie sich bereits Gedanken über die Zukunft gemacht? 

Ich werde dem Schwimmsport auf jeden Fall treu bleiben und auch vereinzelt noch Meetings bestreiten. Alles darüber hinaus ist Zukunftsmusik. Im Moment verfolge ich andere Prioritäten. An erster Stelle steht, dass meine Frau und die Kinder die Geburt gesund überstehen. Der Hausbau nimmt auch viel Zeit in Anspruch. Wir freuen uns aber auf unser neues gemeinsames Heim, wo wir mit unseren Zwillingen leben können. Ein weiteres Zukunftsprogramm ist die Suche nach einer Arbeit. Ich habe Mathematik, Statistik und Wirtschaft studiert und ich bin auch im Sport nicht unwissend. Ich bin für alles offen. Es wird also nie langweilig im Hause Stacchiotti.

Steckbrief

Raphaël Stacchiotti
Geboren am 9. März 1992 in Luxemburg
Größe und Gewicht: 1,83 m, 78 kg
Verein: SCD Ettelbrück
Beruf: Sportsoldat
Größte Erfolge: Olympiateilnehmer 2008, 2012 und 2016, 10 WM- und 11 EM-Teilnahmen, Junioren-Europameister 2009 und 2010, Platz 6 bei der EM 2016 in London, Platz 16 bei der WM 2019 in Gwangju, 17/17 Titel bei den Wintermeisterschaften 2017
Aktuelle Landesrekorde: 19 (4x 50-m-Becken, 10x 25-m-Becken, 5x Staffel)
Nächstes Ziel: Olympische Spiele 2021 in Tokio