InterviewDP-Fraktionschef Gilles Baum: „Vielleicht kommen wir mit einem dicken blauen Auge davon“

Interview / DP-Fraktionschef Gilles Baum: „Vielleicht kommen wir mit einem dicken blauen Auge davon“
Gilles Baum (47), von Beruf Grundschullehrer, rückte nach den Neuwahlen im Oktober 2013 für Maggy Nagel in die Abgeordnetenkammer nach, als diese Ministerin wurde. 2018 wurde er wiedergewählt. Seit 1999 ist er Mitglied des Gemeinderats Junglinster. Sein Schöffenamt legte er Ende Juni ab, um sich ganz auf die Kammerfraktion konzentrieren zu können.   Foto: Editpress/Claude Lenert

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Kurz nachdem Gilles Baum den Fraktionsvorsitz von seinem verstorbenen Parteikollegen Eugène Berger übernommen hatte, setzte die Corona-Pandemie ein und Premierminister Xavier Bettel rief den Notstand aus. Im Interview erklärt der 47-jährige ausgebildete Grundschullehrer, wie er die ersten sechs Monate als DP-Fraktionschef in der Corona-Krise erlebt hat und wie seine Partei die Wohnungskrise lösen will.

Tageblatt: Am 4. Februar haben Sie das Amt des DP-Fraktionsvorsitzenden übernommen. Nur wenige Wochen später hatte die Corona-Pandemie Luxemburg bereits fest im Griff. Wie haben Sie diesen turbulenten Start in das neue Amt erlebt?

Gilles Baum: Ich hatte tatsächlich nicht viel Zeit, um mich einzuarbeiten. Das war aber nicht so schlimm, weil ich ja kein Politneuling mehr bin. Ich hatte das große Glück, dass ich mich auf die anderen Abgeordneten und die Mitarbeiter in meiner Fraktion verlassen konnte. Selbst wenn der Anfang nicht einfach war, so denke ich doch, dass ich die ersten sechs Monate sauber über die Bühne gebracht habe.

Sechs Wochen nach Ihrem Amtsantritt hat Premierminister Xavier Bettel den Ausnahmezustand ausgerufen, den das Parlament einstimmig um die maximale Dauer von drei Monaten verlängert hat. Der „état de crise“ hat es der Regierung erlaubt, die Freiheiten und Grundrechte massiv einzuschränken. Für den Fraktionsvorsitzenden der Liberalen war dies doch sicherlich keine einfache Entscheidung?

Die freie Entfaltung des Menschen und die freie Gestaltung des Lebens sind die Grundfundamente unseres politischen Denkens und Handelns. Es war natürlich keine einfache Entscheidung, den Leuten sagen zu müssen, dass sie zu Hause bleiben und ihr gesellschaftliches Leben einschränken sollen. Um dem Virus den Riegel vorzuschieben, blieb uns zu dem Zeitpunkt aber keine andere Wahl, als die substanziellen Grundfreiheiten einzuschränken. Die Infektionszahlen sind einfach zu schnell gestiegen. Die Entscheidung, den Ausnahmezustand zu verlängern, war nicht einfach, aber notwendig. Diese Ansicht hat ja das gesamte Parlament geteilt.

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass die Institutionen schnell arbeiten können. Die beiden letzten Covid-19-Gesetze wurden in Rekordzeit von der Regierung deponiert, vom Staatsrat begutachtet und vom Parlament verabschiedet. Hat man rückblickend den „état de crise“ wirklich gebraucht?

Ich bin der festen Überzeugung, dass der Ausnahmezustand, zu dem Zeitpunkt, als er ausgerufen wurde, die einzig richtige Entscheidung war. Das zweite Covid-Gesetz, das Sie ansprechen, war eigentlich nur eine Fusion der ersten beiden Texte. Es umfasste nicht mehr als eine Seite. Es ging lediglich darum, einige Maßnahmen im privaten und öffentlichen Bereich zu lockern und anzupassen. Es musste kein ganz neues Gesetz verfasst werden. Deshalb konnte der Staatsrat auch schnell sein Gutachten abgeben und den Text so vorbereiten, dass das Parlament ihn kurz danach annehmen konnte. Ohne den Notstand, der der Regierung die Möglichkeit gab, über den Weg von großherzoglichen Reglements schnell zu reagieren, hätten wir das nicht hinbekommen.

Die DP erscheint als die Partei, in der der Zusammenhalt am größten ist. Das Zusammenspiel zwischen Fraktion und Regierung sowie zwischen den Mandatsträgern in den Gemeinden funktioniert gut.

Gilles Baum, DP-Fraktionsvorsitzender

Aus einer rezent von RTL und Luxemburger Wort veröffentlichten Sonntagsfrage geht die DP als Gewinner hervor. Gegenüber den Wahlen von Oktober 2018 kann Ihre Partei um drei Sitze zulegen. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg bei den Luxemburger Wählern?

Umfragen stellen nur eine Momentaufnahme dar. Bei den Wahlen 2018 haben wir gesehen, wie falsch sie sein können. Abgesehen davon, scheint mir, dass unser Erfolg bei der letzten Sonntagsfrage auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist. Erstens hat die Regierung mit Premierminister Xavier Bettel als Primus inter Pares das Land gut durch die Krise geführt. Zweitens erscheint die DP als die Partei, in der der Zusammenhalt am größten ist. Das Zusammenspiel zwischen Fraktion und Regierung sowie zwischen den Mandatsträgern in den Gemeinden funktioniert gut. Die Partei ist ruhig, die Franzosen würden sagen: „serein“. Das schätzen die Menschen mehr, als die Unruhen, die in anderen Parteien wie beispielsweise der CSV herrschen.

Neben der Corona-Krise hat Luxemburg noch mit anderen Problemen zu kämpfen. Das wichtigste ist wohl die Wohnungskrise, die immer dramatischere Züge annimmt. Von den anderen Regierungsparteien heißt es, dass vor allem die DP Maßnahmen für eine stärkere Regulierung des Wohnungsmarkts blockiert. Betreiben Sie Klientelpolitik?

Absolut nicht. Ich denke auch nicht, dass solche Aussagen, wenn sie denn getätigt wurden, auf uns zutreffen. Nur ein Beispiel: Das Parlament hat sich kürzlich einstimmig dafür ausgesprochen, die Mieten bis Ende des Jahres einzufrieren. Die DP hat sich nicht dagegen gestemmt. Die Politik muss im Wohnungsbau neue Wege gehen. SNHBM und „Fonds du logement“ machen Anstrengungen, um mehr Wohnungen auf den Markt zu bringen. Die Gemeinden müssen noch stärker mit ins Boot genommen werden. Ein Beispiel: In Junglinster, wo ich Mitglied des Gemeinderats bin, hat die Gemeinde Bauland erworben, das nun über Erbpachtvertrag erschlossen und verkauft wird. Auf diese Weise können wir 150 Quadratmeter große Wohnungen für rund 500.000 Euro veräußern. Das Grundstück bleibt im Besitz der Gemeinde. Das Problem sind ja nicht die Baukosten, sondern die Grundstückspreise. Deshalb müssen die Gemeinden ihr Vorverkaufsrecht geltend machen und selber bauen.

Studien des Forschungsinstituts Liser haben gezeigt, dass der größte Teil des Baulandes im Besitz von wenigen Familien und Unternehmen ist. Man könnte schon von oligarchischen Verhältnissen reden. Wäre vor diesem Hintergrund eine Spekulationssteuer nicht angebracht?

Nehmen wir an, ein junges Paar kauft sich ein 4 Ar großes Grundstück. Das Paar hat aber nicht genug Zeit und Geld, um es sofort zu bebauen und lässt das Grundstück drei Jahre brach liegen. Ist das dann Spekulation oder nicht?

Eine Spekulationssteuer wäre nur denkbar in einem ganz klaren Rahmen, der unterscheidet zwischen Leuten, die über hektarweise Land verfügen, und einem „Kleinen“, der sich ein Grundstück kauft, um es irgendwann zu bebauen.

Gilles Baum, DP-Fraktionsvorsitzender

Die Vorschläge, die manche Parteien und Gewerkschaften eingebracht haben, zielen auf große Besitzer ab, die Bauland bewusst zu Spekulationszwecken anhäufen.

Wir müssen das Baulückenprogramm weiterdenken, damit wir erst einmal innerhalb des Bauperimeters verdichten, ohne Erweiterungen vornehmen zu müssen. Allein dadurch können wir noch ganz viel bauen. Allgemein überdenken müssen wir die Grundsteuer. Eine Spekulationssteuer wäre nur denkbar in einem ganz klaren Rahmen, der unterscheidet zwischen Leuten, die über hektarweise Land verfügen, und einem „Kleinen“, der sich ein Grundstück kauft, um es irgendwann zu bebauen.

Wenn es um die Corona-Krise geht, scheint die DP kein Problem mit Interventionismus zu haben. Wenn es um die Lösung der Wohnungskrise geht, kommen aber Vorbehalte auf. Wie ist dieser mutmaßliche Widerspruch zu erklären?

Ich bin nicht für eine interventionistische Politik, in dem Sinn, dass der Staat in den Markt eingreift. Ich bin aber dafür, dass der Staat und die Gemeinden im Wohnungsbau aktiv werden. Die öffentliche Hand muss an Grundstücke kommen und selber bauen. Aber ich finde es extrem gefährlich, in großem Stil in den Markt einzugreifen.

Das passiert doch gerade in der Corona-Krise. Der Staat greift massiv in den Markt ein und fördert, neben allgemeinen Wirtschaftshilfen, selektiv Unternehmen, zum Beispiel solche, die bereit sind, ihre Produktion nach ökologischen und nachhaltigen Kriterien umzustellen.

Es kann nur lobenswert sein, dass der Staat Betriebe unterstützt, die auf Telearbeit und Ökologie setzen. Die Klimakrise ist durch das Coronavirus etwas in den Hintergrund gerückt, doch sie ist längst nicht vorbei. Der diesjährige Sommer ist ganz anders als die beiden davor. Ob das damit zusammenhängt, dass zwei Monate lang viel weniger Autos und Flugzeuge unterwegs waren, kann ich nicht beurteilen. Aber der Klimaschutz und die finanzielle Förderung von nachhaltigen Initiativen, sei es bei Industriebetrieben oder in Privathaushalten, wird auch in den nächsten Jahren sehr wichtig bleiben.

Die Ausgaben des Staats liegen bereits jetzt mehr als 2 Milliarden Euro über denen von 2019, bei den Einnahmen ist ein großer Einbruch zu verzeichnen. Die Regierung rechnet für 2020 mit einem Staatsdefizit von über 5 Milliarden Euro. Irgendwie muss dieses Geld ja wieder eingenommen werden. Wie soll das nach Vorstellung der DP gehen?

Wir haben ja mehrere Kredite aufgenommen. Für uns ist jedenfalls klar, dass Steuererhöhungen zu diesem Zeitpunkt nicht infrage kommen. Steuererhöhungen wären Gift für die Kaufkraft der Leute, für unsere Wirtschaft und für unsere Betriebe. Unsere Verschuldung liegt aktuell bei 25,4% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Dreierkoalition hatte festgehalten, dass wir unter 30% bleiben würden. Es bleibt demnach noch etwas Luft nach oben. Dank unseres AAA können wir weiterhin Geld auf den internationalen Märkten leihen, zurzeit sogar zu Negativzinsen. Vieles hängt natürlich vom wirtschaftlichen Wiederaufschwung ab. Nachdem wir das erste Halbjahr mit einem Defizit von 6 bis 7% des BIP abgeschlossen haben, bin ich für das zweite Halbjahr vorsichtig optimistisch. Persönlich glaube ich, dass in diesem Sommer viele Menschen ihr Geld in Luxemburg ausgeben werden. Klarheit werden wir aber erst nach Abrechnung des dritten Trimesters erhalten. Vielleicht kommen wir mit einem dicken blauen Auge davon, doch vieles hängt davon ab, wie lange die Krise noch dauert. Klar ist aber jetzt schon, dass Luxemburg einen zweiten Lockdown nicht verkraften würde.

Vor drei Wochen hatten Sie im Parlament sinngemäß erklärt, dass Sie, wie viele andere Menschen auch, während des Lockdowns wieder mehr Zeit für die wichtigen Dinge des Lebens wie zum Beispiel Ihre Familie gefunden hätten. Sie hatten verkündet, dass Sie diese neue Wertschätzung auch über die Krise hinaus retten wollen. Das klingt gut, aber ist es auch realistisch? Die Menschen müssen ja schließlich weiter arbeiten, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Die ganze Arbeitswelt hat sich innerhalb weniger Tage umgestellt. Telearbeit war auf einmal ganz normal und viele haben es als schöne Erfahrung empfunden. Die Telearbeit ermöglicht es vielen Familien, sich zu Hause besser zu organisieren. Man muss aber aufpassen, dass die sozialen Kontakte nicht darunter leiden. Der Austausch mit Berufskollegen ist wichtig. Die erste Priorität ist deshalb, einen gesetzlichen Rahmen für die Telearbeit zu schaffen und Abkommen mit den Nachbarländern zu finden, damit auch die Pendler davon profitieren können.

Werden Sie sich trotz Corona-Krise in diesem Jahr eine Auszeit gönnen?

Ich genieße die Zeit zu Hause, um mal mit Freunden essen zu gehen und Geld in Luxemburg auszugeben. Ich möchte aber nicht verheimlichen, dass ich mit meiner Familie Ende August nach Sardinien fahren werde, wenn es machbar ist. Dieser Urlaub war bereits lange vor Beginn der Pandemie gebucht. Bislang haben weder das Hotel noch die Fluggesellschaft abgesagt.

Sputnik
2. August 2020 - 19.17

Luxemburg 2025: “Papi,warum wohnen wir in einer Hölle?“ “Ach weißt du ,bei den letzten Wahlen waren wir der Meinung, wir müssten Grün wählen ....“ Stellt euch vor, ein Dorfpolizist wird mit 50 ohne Umschulung plötzlich Landschaftsgärtner . So ungefähr wird man bei den Grünen Minister ....

luc jung
2. August 2020 - 16.19

Auch Frau Nagel (blo) wollte schon die Wohnungskrise lösen. Das blaue Geschwätz geht weiter. Es geschieht dasselbe wie vor Gambia. Nichts.

Elo awer
2. August 2020 - 13.44

Und am Ende sind sie Schwarz, liebe Joelle???, und mir ist das alles ziemlich egal solange die Grünen nicht diktieren können wie es wollen

Joëlle
2. August 2020 - 12.09

@Elo awer '“Mit einem Blauen Auge davon“. Wer, die DP? Aber nicht wenn ihr den Grünen das regieren überlässt.' Blaue Augen werden immer nach einiger Zeit grün.

de spëtzbouf
1. August 2020 - 16.27

Ja, Herr Baum, langer Rede kurzer Sinn: die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht kommen wir/ Sie oder wer auch immer mit zwei blauen Augen statt mit einem dicken blauen Auge davonn. Und damit es niemand merkt, setzen wir/Sie oder wer auch immer eine Sonnenbrille auf. :)

Elo awer
1. August 2020 - 13.58

“Mit einem Blauen Auge davon“. Wer, die DP? Aber nicht wenn ihr den Grünen das regieren überlässt. So sieht es nämlich aus von Unten gesehen, liebe Grillpartei

Grober J-P.
1. August 2020 - 11.53

Wohl dem der sich jetzt noch einen Urlaub leisten kann! "Die Menschen müssen ja schliesslich weiterarbeiten". Wenn keine Arbeit da ist? Der Herr kennt die Arbeitslosenzahlen bestimmt nicht, oder ?