Jeunesse EschNach 83 Jahren Fan-Dasein: Val Olinger (93) sieht seinen Herzensklub am absoluten Tiefpunkt angekommen

Jeunesse Esch / Nach 83 Jahren Fan-Dasein: Val Olinger (93) sieht seinen Herzensklub am absoluten Tiefpunkt angekommen
Val Olinger auf seiner Terrasse in Esch-Lallingen. Der 93-Jährige ist seit 1936 Fan der Escher Jeunesse und erlebte 27 von 28 Meisterschaftsgewinnen seines Vereins mit. Foto: Philip Michel

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Beim ersten Gewinn der Meisterschaft 1921 war er noch nicht geboren, die weiteren 27 erlebte er alle mit. In offizieller Funktion oder aber als Fan feierte Val Olinger die vielen Höhepunkte in der Vereinsgeschichte der Escher Jeunesse. Mit dem „Verkauf“ an einen griechischen Investor sieht er den einstmals stolzen Rekordmeister am absoluten Tiefpunkt angekommen. Mit 93 Jahren wird Olinger seine Mitgliedskarte abgeben.  

Körperlich ist Val Olinger nicht mehr in allerbester Verfassung, weshalb er nicht mehr zu den Spielen seines Vereins geht und auch nicht bei der Generalversammlung vor zehn Tagen im Escher Theater dabei sein konnte. Im Geist ist der 93-Jährige aber noch glasklar. Er erzählt mit Leidenschaft von den besseren Zeiten des Vereins. Aber auch von den beiden Abstiegen um die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Oder vom Wendepunkt der Vereinsgeschichte 1959, als das Europapokal-Duell gegen Real Madrid aus dem „Hieler“ Arbeiterverein einen über die Landesgrenzen hinaus bekannten Fußballklub machte. Damals war Olinger Kassierer des Klubs, später sogar zwei Jahre Vizepräsident. Heute ist er so etwas wie das lebende Gedächtnis des Vereins. Niemand weiß mehr über die Jeunesse als Val Olinger. 

Tageblatt: Herr Olinger, Sie kennen die Jeunesse wie kein anderer. Der Verein wird seit zehn Tagen als erster Luxemburger Fußballklub von einem ausländischen Investor präsidiert. Wie denken Sie darüber? 

Val Olinger: Unser Stolz, also der Stolz aller Jeunesser, war, dass wir nie eine einzelne Person hatten, die das Sagen hatte. Wir hatten immer einen Pool an Sponsoren und den haben wir immer noch. Wobei ich nicht weiß, ob die anderen Geldgeber jetzt bleiben oder abspringen. Immerhin gibt es warnende Beispiele im Luxemburger Fußball. The National Schifflingen, Hobscheid, Beggen. Als der Geldgeber weg war, ging es steil bergab. Das erleben wir demnächst auch in Düdelingen. Was ist da nach den Becca-Jahren geblieben, an Zuschauern, an lokalen Spielern? Nichts. Als Jeunesse-Anhänger war es trotz aller Dominanz des F91 immer eine große Genugtuung, dass wir eben nicht diesen Weg gehen wollten.

Genau dieser Weg wurde aber jetzt mit dem Einverständnis der Mitglieder eingeschlagen.

Ja, ich frage mich, warum eine solch wichtige Statutenänderung (die Voraussetzung, ein Jahr Klubmitglied zu sein, ehe man ein offizielles Mandat antreten kann, wurde aus dem Reglement gestrichen; d.Red.) nicht in geheimer Abstimmung erfolgte. Die Statuten wurden einst so aufgestellt, dass eben kein Fremder einfach so in den Verein bzw. den Vorstand kommen kann. Doch wie hätte man im Theater zu Corona-Zeiten mit den Abstandsregeln via Stimmzettel abstimmen sollen? Mit einer Wahlkabine? Unmöglich. Präsident Cazzaro hätte meiner Meinung nach weiter in seinem Amt bleiben müssen, bis die Situation der Pandemie einen normalen Generalversammlungsablauf möglich gemacht hätte. Das habe ich ihnen geschrieben, doch sie haben es einfach ignoriert.     

Die Mitglieder haben der Statutenänderung zugestimmt, weil vorne und hinten das Geld fehlt. Sie hatten wohl ganz einfach Angst, dass „ihre“ Jeunesse in zwei Jahren in der 1. Division spielt.

Dieses Argument ist durchaus berechtigt. Aber es wurde vor einigen Monaten ein Trainer verpflichtet, der erst 33 Jahre alt ist und der bekannt dafür ist, auf die Jugend zu setzen. Er sollte eine Mannschaft aufbauen. Ob das ergebnismäßig in die Hose gegangen wäre, weiß niemand. Und jetzt ist plötzlich alles anders. Der neue Präsident redet von fünf Profispielern, die noch verpflichtet werden sollen. Ich wage mal die Prognose, dass der neue Trainer nicht sehr lange bei der Jeunesse sein wird. Und dann noch etwas zur Statutenänderung: Was ist, wenn es Streit im Vorstand gibt? Wenn der Grieche sagt, wir machen das jetzt so und die Jeunesser im Vorstand sind damit nicht einverstanden und treten aus Ärger von ihren Posten zurück? Dann können die Griechen einfach jeden kooptieren. Plötzlich steht eine ganze Mannschaft an der Vereinsspitze, die nichts mehr mit dem Klub zu tun hat. Und das ist dann das Ende „meiner“ Jeunesse.   

Was will er?

Sie scheinen nicht viel von den Investoren zu halten …

Sie sind schon bei anderen Vereinen gescheitert und es gibt keine Garantie, dass es bei der Jeunesse besser laufen wird. Und schlussendlich ist die Frage eine ganz einfache: Warum investiert jemand in einen Klub, wo er doch weiß, dass mit ihm kein Geld zu verdienen ist? Was will er? Er kann also nur außersportliche Ziele verfolgen, doch die verrät er uns nicht. Wenn es schiefgeht, und das hoffe ich, dann geht er einfach wieder. Aus meiner Sicht wäre dies das Beste, was der Jeunesse geschehen könnte. 

Alter und neuer Präsident: Jean Cazzaro (l.) und Manthos Poulinakis
Alter und neuer Präsident: Jean Cazzaro (l.) und Manthos Poulinakis Foto: Editpress/Marcel Nickels

Geld regiert aber die Fußballwelt. Auch in Luxemburg. Ex-Präsident Cazzaro wurde zuletzt nicht müde zu betonen, dass die Ambitionen einer Jeunesse nun mal die sind, oben mitzuspielen. Und dafür braucht man Geld. Teilen Sie die Meinung? 

Das ist ein Argument. Das andere ist das sportliche Argument. Und das hat mit der Geschichte des Vereins zu tun. Es gab diese mageren Zeiten immer wieder. Damals ist das Geld auf sportlichem Weg verdient worden. Man hatte Erfolg, also hatte man Geld. Jetzt ist das zum Teil anders, okay. Aber wer sagt denn, dass man nicht einen anderen Weg hätte gehen können, andere Sponsoren hätte finden können oder die existierenden Sponsoren auf andere Weise hätte einbinden können? In eine langfristige Vereinspolitik zum Beispiel und nicht unbedingt an den Posten des Präsidenten gekoppelt, wie Jean Cazzaro das immer wollte. Bis jetzt weiß jedenfalls noch kein Mensch, wie viel Geld nun überhaupt kommt. In den letzten 20 Jahren gab es keine Initiativen der Vereinsspitze, neue Wege zu gehen. Und mit Wegen meine ich Luxemburger Wege, Escher Wege. Ich möchte Claude Conter (als Vizepräsident quasi der ranghöchste Gegenpol zu den neuen Jeunesse-Investoren im Vorstand; d.Red.) nicht zu nahe treten, doch auch er steht sinnbildlich für diese lange Zeit der Stagnation, der fehlenden Ideen. Dabei braucht es Leute, die etwas bewegen. Doch die sind alle in den letzten Jahren aus dem Vorstand zurückgetreten.    

Ich wage mal die Prognose, dass der neue Trainer nicht sehr lange bei der Jeunesse sein wird

Sie klingen verbittert, haben Sie mit der Jeunesse abgeschlossen? 

Ja, ich betrachte mich jetzt schon als raus. Wenn demnächst die Dauerkarte (bei der Jeunesse gleichzeitig Mitgliedskarte; d.Red.) für die Tribüne mit der Post kommt, dann werde ich sie nicht bezahlen. Ich werde sie erst bezahlen, wenn ein Umschwung kommt. Bis dahin bin ich raus.   

Wie könnte ein solcher Umschwung aussehen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Scuto, Barboni oder Lamborelle und all die anderen Spieler, die die Jeunesse im Herzen trugen und auch noch tragen, keine Gedanken über die aktuelle Situation machen. Die haben schließlich ihre Knochen für diesen Klub hingehalten. Und sie sind ganz sicher nicht glücklich wegen dem, was jetzt passiert ist. 

Kann man nach so langer Zeit in einem Verein einfach so abschließen? 

Ehrlich, ich muss nicht unbedingt im Klub bleiben. Aber natürlich leide ich. Schließlich bin ich schon seit 83 Jahren Anhänger und seit 69 Jahren Mitglied.  

Also betrachten Sie die momentane Lage als absoluten Tiefpunkt?

Ja, hier sind Wege eingeschlagen worden, die vielleicht in der ganzen Fußballwelt gegangen werden. Nur eine Jeunesse war noch nie die ganze Fußballwelt. Was ich damit sagen will: Die Jeunesse wurde geboren aus einem „Quartiersveräin“, der sich sportlich hochgearbeitet hat, nicht mit Geld. Jahrzehntelang sind nur einige wenige Spieler verpflichtet worden, es war für jeden Spieler des Landes ein Ziel, das schwarz-weiße Trikot tragen zu dürfen. Und das, obwohl damals schon anderswo mehr bezahlt wurde. Heute spielen 95% der Fußballer dort, wo sie am meisten verdienen. Aber so etwas kann man auch eingrenzen. Mit Rückbesinnung auf die Tradition, mit dem Stadion, mit Mannschaftsgeist, mit Zusammenhalt und ähnlichem. Mir ist schon bewusst, dass ich mit solchen Aussagen als Ewiggestriger abgetan werde. Aber Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen, der A… bleibt immer hinten.  

Claude Hulten
7. Oktober 2020 - 9.03

Als Ex-Noper vum Val kann ech soen: Du wars denger Zäit och mat iwwer 90 viraus wéi d'Geschicht elo gewisen huet. Respekt. Allez di richteg Jeunesse!!!

Künsch Fern.
1. August 2020 - 11.54

Hallo Val, Mat flotten Erënnerungen un déi vill Conveniater soen ech Dir vill Gréiss an nach schéin Joeren. Ech hun ëmmer geduergt Du wärs méi jonk wéi ech. Elo gesin ech dass Du nach e Joer weider hues. Alles Gutts an frëndlech Gréiss fern. k.