PandemieBrüssel warnt vor zweiter Corona-Welle

Pandemie / Brüssel warnt vor zweiter Corona-Welle
EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides warnt vor einem Cocktail aus Grippeviren und Covid-19 Foto: AFP/Francisco Seco

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Die EU-Kommission fordert die nationalen Regierungen zu mehr Wachsamkeit auf. Doch das hat schon zu Beginn der Pandemie nicht funktioniert, wie ein Investigativ-Bericht zeigt. Europa hat auf vielen Ebenen versagt.

Die Europäische Union ist nicht hinreichend auf eine mögliche zweite Welle der Corona-Pandemie vorbereitet – und sie hat auch noch nicht alle Konsequenzen aus der verheerenden ersten Welle im Frühjahr gezogen. Dies geht aus zwei Berichten hervor, die am Mittwoch unabhängig voneinander in Brüssel und London veröffentlicht wurden.

Der erste, offizielle Bericht kommt von der EU-Kommission. Sie hat zwar kaum eigene Kompetenzen in der Gesundheitspolitik, bemüht sich aber um eine EU-weite Koordinierung. Die 27 Mitgliedstaaten müssten mehr tun, um „künftige Covid-19-Ausbrüche“ einzudämmen, forderte die Brüsseler Behörde in einer (unverbindlichen) Mitteilung.

Im Herbst und Winter könnten sich Covid-19 und Grippeviren zu einem gefährlichen „Cocktail“ mischen, sagte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Sie fordert eine massive Ausweitung der Grippeschutzimpfungen, die im Oktober beginnen. „Jetzt ist nicht die Zeit, in unserer Wachsamkeit nachzulassen“, so Kyriakides.

Brüssel forderte die Mitgliedsländer auch auf, die Corona-Tests auszuweiten und die Kontaktverfolgung bei Infektionen, etwa durch Warn-Apps, zu verbessern. Es müsse verhindert werden, dass sich lokale Hotspots zu Brandherden entwickelten. Zu aktuellen Fällen wollte man sich aber nicht äußern.

Kyriakides vermied es auch, auf die Kritik einzugehen, die in einem Bericht des Londoner Büros für investigativen Journalismus (TBIJ) zur ersten Corona-Welle im Frühjahr enthalten ist. Unter dem Titel „Crisis in the Commission“ hat ein internationales Reporter-Team die EU-Reaktion auf die Pandemie aufgearbeitet. Die Bilanz ist vernichtend: Es ging so ungefähr alles schief, was schiefgehen konnte. Nicht nur die Mitgliedstaaten haben versagt, auch die EU-Kommission wurde ihrer Rolle nicht gerecht. Sogar die Präventionsagentur ECDC, die für die Pandemie-Bekämpfung zuständig ist, war der Krise nicht gewachsen.

So haben die ECDC-Experten nicht nur erste Alarmsignale aus dem österreichischen Skiort Ischgl ignoriert. Sie waren nach dem TBIJ-Bericht bis Mitte Februar auch nicht in der Lage, aktuelle Empfehlungen für das Vorgehen an den europäischen Grenzen zu geben. Die letzten Empfehlungen datierten noch von der Vogelgrippe 2010. Die Folge: hektische, in nationalen Alleingängen verhängte Grenzschließungen und ein Beinahe-Zusammenbruch des Binnenmarkts.

Berlin und Paris haben Probleme vergrößert

Auch die EU-Kommission, die über den Binnenmarkt wacht, konnte dies nicht verhindern. Die Brüsseler Behörde habe zu spät und zaghaft auf die Pandemie reagiert, heißt es in dem Bericht. So habe der für Krisenfälle zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic zunächst wenig Aktivität entfaltet. Noch im Januar hätten Lenarcics Experten die meisten Sitzungen des eigens einberufenen „Health Security Committee“ geschwänzt. Gleichzeitig stellte Brüssel allen Beteiligten ein gutes Zeugnis aus: Es gebe einen „hohen Grad an Vorbereitung“.

Doch in Wahrheit war fast nichts vorbereitet. Als größtes Problem erwies sich der Mangel an Masken und anderer Schutzausrüstung, der durch zeitweise Exportverbote in Deutschland und Frankreich noch vergrößert wurde. Doch selbst als sich die Knappheit schon abzeichnete, lieferte die EU noch Ausrüstung nach China, so der TBIJ-Bericht.

Insgesamt ergibt sich ein Bild kollektiven Versagens auf vielen Ebenen. Die Aufarbeitung lässt jedoch auf sich warten. Zwar wurden in einzelnen Ländern nationale Untersuchungen eingeleitet. Doch auf EU-Ebene tut sich wenig. Das Europaparlament hat einen Sonderausschuss zum Kampf gegen den Krebs eingerichtet, nicht aber zu Covid-19.

Auch die EU-Kommission sieht keinen Grund für eine kritische Nachbetrachtung. Sie habe „sehr früh vor der Gefährlichkeit des Coronavirus gewarnt, noch vor der WHO“, heißt es in Brüssel. Entsprechend gehandelt hat die EU jedoch nicht; kurz nach den ersten Warnungen entwickelte sich Europa zum Epizentrum der Pandemie.