Die Probleme im BahnhofsviertelGemeinderat streitet über adäquate Maßnahmen

Die Probleme im Bahnhofsviertel / Gemeinderat streitet über adäquate Maßnahmen
Im hauptstädtischen Bahnhofsviertel hat die Polizei alle Hände voll zu tun  Foto: Editpress-Archiv

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Der Gemeinderat befasste sich am Montag u.a. mit den Problemen rund um das Bahnhofsviertel. Während die Mehrheit sowohl mehr repressive als auch mehr soziale Maßnahmen wünscht, fordert die Opposition von „déi Lénk“ und ADR eine radikale Kehrtwende, um den dortigen Drogenhandel zu bekämpfen, nämlich eine Legalisierung aller Drogen.

Schon am 16. März sollte sich der Gemeinderat mit den Problemen Drogenhandel und Prostitution rund um das Bahnhofsviertel beschäftigen. Wegen der Covid-19-Krise fand die damalige Sitzung jedoch nicht statt.

In einer Motion forderte die CSV weitere Maßnahmen, um die Sicherheit im Bahnhofsviertel zu garantieren. Claudine Konsbrück (CSV) befürwortete einen Ausbau der Videoüberwachung, u.a. weil das zu einem erhöhten Sicherheitsgefühl der Einwohner beitrage. Die versprochene Ausweitung der Videoüberwachung auf Bonneweg lasse bis heute auf sich warten, bedauerte die CSV-Vetreterin. Konsbrück verwies aber auf verschiedene rechtlich existierende Mittel, um Vergehen wie Drogenhandel und Prostitution zu bekämpfen. Oft hätten die Dealer keine legalen Papiere, also könnten sie ausgewiesen werden. Auch in Sachen Menschenhandel gebe es Gesetze, die eingehalten werden müssen. Diese legalen Mittel müssten auch in der Praxis angewendet werden.

Die Polizei könnte sich besser auf ihre Aufgaben konzentrieren, wenn sei von kleineren administrativen Aufgaben befreit wäre. Nicht ausreichend oder überholt seien einige soziale Maßnahmen. Das Projekt „Abrigado“ sei Opfer seines eigenen Erfolgs, zwischen 700 und 800 Spritzen verteile die „Drogenhilfsstelle“ täglich. Das Konzept entspreche nicht mehr den aktuellen Bedürfnissen, es sei dringend ein Audit des Zentrums nötig. Zudem müsse das Angebot an solchen Zentren dezentralisiert werden.

Für Héloise Bock (DP) ist es unverständlich, warum noch eine Analyse der Situation vorgenommen werden solle, es müsse endlich gehandelt werden. Die Polizei müsse z.B. mehr Drogenhunde erhalten, diese kosteten zwar 40.000 Euro pro Tier, doch das sei ja auch nicht die Welt.

Die Opposition sah die von der Mehrheit geforderte stärkere Videoüberwachung naturgemäß etwas anders. Christa Brömmel („déi gréng“) wies darauf hin, dass eine solche lediglich zu einer Verlagerung des Problems führe. Nein, antwortetet ihr Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) später, die Videoüberwachung leiste den Polizisten wertvolle Hilfe bei ihrer Arbeit. Auch sie befürwortete eine härtere Gangart. Wenn der Rechtsstaat bei Vergehen nicht eingreife, verliere er jede Glaubwürdigkeit. Der Frust der Anwohner sei durchaus verständlich. Es sei allerdings schon einiges geschehen; in den letzten zwei Jahren seien 30 weitere Polizisten im Viertel hinzugekommen. Sie äußerte die Hoffnung, dass bis zum Ende des Jahres noch weitere Maßnahmen von der Regierung getroffen würden.

Nationale Maßnahmen 

Es gab aber auch Kritik an der Regierung von Seiten der Mehrheit. Claude Radoux (DP) sah die Situation im „Garer“ Viertel als totalen Fehlschlag der Politik der vergangenen Jahre, denn es würden nationale Maßnahmen gebraucht. Die Staatsanwaltschaft sei zu lange der Meinung gewesen, es gebe eben Sachen, die zu einem Bahnhofsviertel dazugehören. „Ich wünsche mir deutliche Aussagen des Justizministers und der Staatsanwaltschaft darüber, was im öffentlichen Raum als öffentliche Belästigung“ tragbar sei.

Was Hilfszentren wie das „Abrigado“ angehe, sprach sich auch Radoux für kleinere Strukturen aus, und es sollten nur Bürger aus der Stadt unterstützt werden – ein Wunsch, der aber wenig später vom zuständigen Schöffen Maurice Bauer (DP) einen Dämpfer erhielt: Das „Abrigado“ nur Hauptstadtbewohnern vorzubehalten, sei nicht möglich.

Die oppositionellen LSAP, „déi Lénk“ und ADR sahen die Problematik unter einen gänzlich anderen Gesichtspunkt. Der Drogenhandel müsse unter seinem kommerziellen Aspekt betrachtet werden. Drogenhändler würden dort ihre Ware anbieten, wo es viele potenzielle Kunden gibt, und das sei eben in dem belebten Bahnhofsviertel, meinte Gabriel Boisante (LSAP).

Für eine Legalisierung

David Wagner („déi Lénk“) ging in seiner Analyse noch weiter. Die Drogenproblematik zu lösen, sei eine nationale Aufgabe, die Möglichkeiten einer Gemeinde seien begrenzt. Er warnte vor der Illusion einer drogenfreien Gesellschaft, die habe es nie gegeben. Drogen – ob legale oder illegale – würden immer konsumiert. Es sei der Drogenkonsum an sich, der thematisiert werden müsse, wie z.B. der hohe Anstieg des Kokains, ohne den der Finanzplatz vielleicht nicht so brummen würde. Die Drogenhändler auf der Straße seien nur das Fußvolk des Drogenhandels, und bei Abschiebung könne es ohne weiteres ersetzt werden. Genau wie Prostituierte befänden sie sich in einem Sklavenverhältnis. Mehr Repression und Überwachung seien nicht die Lösung, es sei besser, alles zu legalisieren, das würde zwar nicht alle Probleme lösen, doch der Straßenhandel würde stark zurückgehen. Auch Wagner wünscht sich eine Dezentralisierung des Angebots von Drogenhilfszentren: „Wer den Bürgermeister von Ettelbrück kennt, ‘dee soll deen emol e bësse rëselen’.“

Unterstützung für eine komplette Legalisierung erhielt Wagner sogar von Roy Reding (ADR): Wenn ein Drogenabhängiger seine Drogen auf Rezept seines Arztes kaufen könne, würde damit „der Sumpf der Dealer und die, die damit ihr Geld verdienen, ausgetrocknet“. Eine Legalisierung fordert Reding ebenfalls für die Prostitution: Das sei besser für jeden Beteiligten an diesem Geschäft. 

In Kürze 

– Der Gemeinderat hieß einstimmig den Vorschlag des Kulturministeriums gut, das Haus Nummer 61a in der rue de Trèves als nationales Denkmal einzustufen. Dort befindet sich momentan der Sitz der „Association des Girl Guides luxembourgeoises“ und der „Fédération nationale des Eclaireurs et Eclaireuses du Luxembourg“.

– Eine Premiere gab es am Montag in Sachen Schulpolitik: Zum ersten Mal musste der Gemeinderat vom Recht Gebrauch machen, den Verantwortlichen einer Schule kommissarisch zu ernennen. Unter den 46 Lehrern der Grundschule in Gasperich wollte niemand den Posten des Schulpräsidenten übernehmen, und so benannte die Gemeinde den Angestellten des Gemeindedienstes Technolink, Patrick Ries, für den Posten. 

– Der Gemeinderat hieß die Organisation des Konservatoriums für das Schuljahr 2020/2021 gut. In dem Zusammenhang teilte die Bürgermeisterin mit, dass sich bis dato schon 2.400 „alte“ Schüler über die neue Online-Plattform für das neue Schuljahr eingeschrieben haben.

– Per Konvention mit der Organisation Inter Actions unterstützt die Gemeinde das Projekt „A vos côtés“ für das Bahnhofsviertel. Jugendliche stehen dabei Menschen aus dem Viertel zur Verfügung, wenn Hilfe gebraucht wird.

– Unterstützt wird die Erweiterung des Projekts „Etappe 21“ der „Wunnengshëllef a.s.b.l.“, einer Struktur für junge obdachlose Menschen zwischen 18 und 26 Jahren. Die Kapazität des Projekts, das fortan auf dem Limpertsberg beheimatet ist, wird von sechs auf 22 Wohneinheiten erhöht.

luc jung
14. Juli 2020 - 15.34

Bekämpfung des Drogenhandels : Pro 5 Gramm = 6 Monate Haft. Keine Steuergelder für Drogenabhängige.

urth
14. Juli 2020 - 11.31

"doch der Straßenhandel würde stark zurückgehen. " Da kaufen doch bloß die Ärmsten der Armen. Die anderen werden zu hause beliefert.