Serie: Rassismus in LuxemburgWo „Luxembourgeois“ draufsteht, ist auch „Luxembourgeois“ drin

Serie: Rassismus in Luxemburg / Wo „Luxembourgeois“ draufsteht, ist auch „Luxembourgeois“ drin
Egal ob in der eigenen Gemeinde, an der Uni oder bei internationalen Jugendkonferenzen: Jana Degrott weiß, in welchem Europa sie leben möchte und will diese Werte auch an ihre Mitmenschen in Luxemburg weitergeben  Kary photography

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Mit 24 Jahren blickt Jana Degrott bereits auf eine langjährige politische Karriere zurück. Schon als Jugendliche setzte sie sich für die Belange Gleichaltriger ein, wurde 2017 zur Gemeinderätin in Steinsel gewählt und ist nun sowohl auf nationaler wie auch europäischer Ebene politisch aktiv. Jana weiß, wie schwer es manchmal sein kann, als schwarze Luxemburgerin im eigenen Land ernst genommen zu werden. Um mit Vorurteilen in Bezug auf Nationalität aufzuräumen, engagiert sich die junge DP-Politikerin international für ein Europa ohne Diskriminierung und spricht genau die Dinge an, die immer wieder für Unbehagen sorgen.

Sie ist jung, sie ist engagiert, sie ist halb weiß, halb schwarz: Jana Degrott kandidierte 2018 bei den nationalen Chamber-Wahlen und scheut sich auch zwei Jahre danach nicht, ihre Stimme immer wieder zu erheben. Ihr selbstbewusstes Auftreten musste sich die 24-Jährige jedoch hart erarbeiten, denn dass sie als Person nun ernst genommen wird, war nicht immer so. „Meine Schulzeit war extrem an Vorurteile gekoppelt. Ich musste mir viele dumme Kommentare anhören und wurde aufgrund meiner Hautfarbe stets unterschätzt“, sagt die junge Jurastudentin. Lange Zeit dachte Jana, sie müsse wohl dumm sein, wenn doch alle dies behaupten. Mittlerweile hat sie ihren Bachelor in der Tasche und arbeitet auf einen Masterabschluss in internationalem und öffentlichem Recht hin – trotz Zweifel ihrer Mitmenschen.

Um es jedoch bis dorthin zu schaffen, musste die junge Luxemburgerin viel einstecken und wechselte im Abiturjahr die Schule – ihre „Première“ wollte sie hier nicht mehr machen. „Ich wurde mit den typischen Aussagen gegenüber Schwarzen konfrontiert, etwa dass das Schulsystem für mich zu schwer sei und ich es auf meiner Sektion im Gymnasium eh nicht schaffen würde. Es war, als wäre ich prädestiniert, etwas zu werden, was die Leute in mir sehen wollten, was ich aber gar nicht selbst gewählt hatte. Also bin ich weggelaufen“, erinnert sich die Studentin. Sie begann zu rebellieren und sich ihren eigenen Platz in der Gesellschaft zu suchen. Schon früh entwickelte Jana so eine Affinität für Politik und all die Themen, mit denen Jugendliche in der heutigen Welt konfrontiert werden. „Ich habe im Jugendparlament angefangen und war viele Jahre Präsidentin der dortigen Bildungskommission. Ich wollte mich einfach dafür einsetzen, dass jeder die Chance bekommt, sich zu verwirklichen.“

Zeit, aktiv zu werden

Ihr eigenes Selbstwertgefühl fand Jana erstmals 2016 bei der Jugendkonferenz des „European Youth Parliament Luxembourg“, bei der sie gemeinsam mit anderen Aktivisten des Landes 150 Jugendliche der ganzen Union versammelte, um über Themen wie Jugendarbeitslosigkeit und -partizipation zu diskutieren. „Ich hatte das Glück, viele Menschen aus anderen Ländern kennenzulernen und diese Erfahrung war für mich extrem bereichernd. Mein ganzes Selbstbild hat sich von da an komplett geändert“, so die 24-Jährige. Als Tochter einer Togolesin und eines Luxemburgers kannte Jana – die in München geboren wurde, aber im Großherzogtum aufwuchs – die Vorurteile, mit denen schwarze Kinder zu kämpfen haben. „Anfangs konnte ich noch kein Luxemburgisch sprechen, deshalb rief mich mein Opa immer, wenn Monica Semedo im Fernsehen auftrat. Mit ihr konnte ich mich identifizieren und das hat mir enorm geholfen, obwohl ich sie persönlich ja nicht kannte.“

Ihr Selbstbewusstsein hat sich Jana über ihren Austausch mit Jugendlichen aus anderen Ländern aufgebaut, denn in Luxemburg traf sie während ihrer Schulzeit meist auf Skepsis statt Zuspruch
Ihr Selbstbewusstsein hat sich Jana über ihren Austausch mit Jugendlichen aus anderen Ländern aufgebaut, denn in Luxemburg traf sie während ihrer Schulzeit meist auf Skepsis statt Zuspruch Foto: Kary Photography

Das Thema Rassismus begleitet die Studentin schon seit ihrer Jugend. „Ich beschäftige mich nonstop damit auf europäischer Ebene, wollte dies allerdings in Luxemburg nie so offen ansprechen. Vielleicht, weil ich mich hier wohlfühlen und nicht zu viel an der Oberfläche des Luxemburger Bildes kratzen wollte, um manches einfach nicht sehen zu müssen.“ In der aktuellen Debatte hat Jana hingegen gelernt, dass es Zeit ist, aktiv zu werden – auch wenn dies oft schwerfällt. „Die letzten Wochen und Monate waren für mich eine extrem traumatische Episode in meinem Leben. Ich habe abgenommen, permanent Kommentare gelesen, musste mich rechtfertigen und erhielt haufenweise Nachrichten, die nicht alle immer schön zu lesen waren.“

Vorurteile in der Politik

Selbst sieht Jana sich nicht unbedingt als Referenz für andere Menschen mit dunkler Hautfarbe, schließlich besitzt sie einen luxemburgischen Namen und ist im Vergleich zu anderen relativ hellhäutig. Doch genau aufgrund all dieser Privilegien will Jana ihre Position nutzen, um sich für andere starkzumachen: „Jeder lebt seine eigene Geschichte und jede davon ist legitim. Durch die Politik habe ich persönlich an Kredibilität gewonnen, das Glück haben andere allerdings nicht.“ 

Wir leben in einer globalisierten Welt, in der man überall hinreisen kann und Liebe keine Grenzen kennt. Warum also wird Nationalität immer noch einer bestimmten Hautfarbe zugeordnet?

Jana Degrott, Rechtsstudentin und politische Aktivistin

Nach ihrer Kandidatur bei den Gemeindewahlen von 2017, bei denen Jana zur Gemeinderätin in Steinsel gewählt wurde, kandidierte die junge Luxemburgerin ebenfalls bei den Chamber-Wahlen im darauffolgenden Jahr für die DP. Hier wurde ihr bewusst, wie tief die Vorurteile gegenüber schwarzen Mitbürgern teilweise sitzen: „Meine Partei hat mich in allem unterstützt, von anderen wurde mir jedoch gesagt, es sei normal, dass sie mich mit auf die Liste gesetzt hätten, da die Einbindung Schwarzer nun ja ein Trend sei.“

Von Unbewusstem über Hasskommentare

Das Gefühl, sich für vieles doppelt erklären und rechtfertigen zu müssen, kannte Jana bereits aus zahlreichen anderen Situationen. „Ich sehe nicht aus, als ob ich Mathe liebe, mich für europäische Politik interessiere oder Ambitionen in der Diplomatie habe. Genau das ist es, was ich meine: Anhand deines Aussehens wird bereits bestimmt, was du sein darfst.“ Oftmals gilt bereits vor dem ersten direkten Kontakt die Annahme, dass Schwarze Ausländer sind und demnach auch die Sprache Luxemburgs nicht beherrschen. Und auch der soziale Status gehört zu den Dingen, die oft unter die Kategorie „Vorurteil“ fallen. „Es wird automatisch angenommen, dass du arm bist. Es ist wichtig, mit diesen Vorurteilen aufzuräumen und zu erklären, weshalb manche Annahmen und Aussagen nicht okay sind, sogar wenn sie manchmal gar nicht böse gemeint sind“, sagt Jana.

Was für viele wie Kleinigkeiten wirken mag, ist für Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe jedoch oftmals alles andere als eine Lappalie. „Mit 17 war ich im Parlament, um meine Position vorzustellen. Zu Beginn schütteln einem die Deputierten die Hand, um dich zu begrüßen. Bei jedem anderen fiel das Wort ‚Moien‘, nur ich erhielt ein ‚Bonjour‘. Das klingt vielleicht nicht schlimm, beweist aber, wie fest manche Vorurteile in den Köpfen der Menschen verankert sind und sie dies nicht einmal mehr bemerken.“ Aber auch direktere Angriffe hat die 24-Jährige bereits erlebt: „Als ich während meiner Kampagne einmal abends in der Stadt alleine zu meinem Auto ging, folgte mir eine vierköpfige Gruppe betrunkener junger Männer und rief mir hinterher: ‚Scheiß Ausländer, ihr nehmt uns unsere Arbeitsplätze weg!‘“

Die Trennung von „wir“ und „ihr“

Auf Fragen nach ihrer „wahren“ Herkunft reagiert Jana wegen solcher Erlebnisse mittlerweile gereizt: „Es wird einem immer wieder ein Spiegel vorgehalten oder noch mal extra nachgehakt, und das ist einfach extrem frustrierend und tut weh. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der man überall hinreisen kann und Liebe keine Grenzen kennt. Warum also wird Nationalität immer noch einer bestimmten Hautfarbe zugeordnet?“ Nationalität sei schließlich ein legaler Status und kein Aussehen, keine Sprache und auch kein Gefühl – wenn im Pass „Luxembourgeois“ steht, dann sei dem auch so. Punkt. Doch auch in der aktuellen Debatte bemerkt die junge Politikerin, dass immer noch eine Trennlinie zwischen dem „wir“ und „ihr“ gezogen wird: „Mir wird oft von anderen gesagt: ‚Stell dir vor, uns Luxemburgern wird Rassismus vorgeworfen!‘ Aber ich gehöre auch zur Gruppe, ich bin auch Luxemburgerin.“

Genau aus diesem Grund überlegt die 24-Jährige, eine Plattform zu gründen, auf der mit vorurteilslastigen Aussagen und ihrer Bedeutung für andere aufgeräumt wird. „Viele wissen zum Beispiel nicht, ob sie das Wort ‚schwarz‘ benutzen dürfen, da es negativ konnotiert ist. Von klein auf werden wir gelehrt, dass alles Weiße unschuldig und schön ist. Das beste Beispiel sind Engel. Schwarze Katzen hingegen bringen Unglück, wir spielen ‚Wie fäert de schwaarze Mann?‘ im Pausenhof und auch der ,Houseker‘, der unartige Kinder bestraft, ist schwarz“, sagt Jana. Beweise für diese Symbolik hat sie selbst bereits live erlebt, so etwa, als einmal an der Bushaltestelle eine Frau zu den anwesenden Kindern meinte, sie sollen aufpassen, da wäre ein schwarzer Mann. „Es war ihr nicht einmal bewusst, was sie damit andeutet und dass sie damit auch mich trifft“, so Jana.

Ein Europa für alle, die dort leben

Auch Floskeln wie „Ich sehe keine Farben“ sieht die junge Politikerin als problematisch: „Es gibt nun mal eben Hautfarben und wer eine solche Aussage macht, der sagt indirekt, dass er uns nicht sieht. Er sagt, dass er all unsere Schwierigkeiten nicht sieht.“ Diese sind aber real, auch wenn sie sich vielerorts eher subtil zeigen – bei der skeptischen Nachfrage zur Nationalität beim Aufzeigen des Personalausweises im Stuttgarter Biergarten, beim erstaunten Schweigen der Klasse beim Eintritt einer schwarzen Lehrkraft, oder aber beim unaufgeforderten Anfassen eines Afros. „Man kann ja neugierig sein, aber sogar bei einem Hund fragt man, ob man ihn streicheln darf“, meint Jana.

Bei ihrer eigenen Generation sieht Jana jedoch ein positives Umdenken: „Unter jungen Aktivisten sind die meisten gewohnt, zu reisen. Sie sind weltoffen und sehen sich als europäisch. Für sie ist die Welt nicht durch Grenzen unterteilt.“ Genau dieses Selbstbild soll auch eines ihrer jüngsten Projekte weitervermittelt. Mit „We Belong Europe“ hat Jana gemeinsam mit anderen Jugendvertretern eine Plattform geschaffen, die durch Podcasts und Kampagnen auf subtile Formen der Diskriminierung hinweisen soll. Die Botschaft: Europa gehört all jenen, die dort leben. „Das Projekt soll zeigen, dass Europäer nicht immer weiß mit blauen Augen und blonden Haaren sind. Es ist ein Gefühl, deine Geschichte“, so Jana. „Ich denke, es ist wichtig die Menschen daran zu erinnern, weshalb die Europäische Union gegründet wurde und für welche Werte ihre Gründer damals gekämpft haben.“

Offenheit als Voraussetzung für Verständnis

Zu Wort kommen in den Podcasts junge Frauen aller möglichen Hautfarben, Nationalitäten und Religionen – auch schwarze Mitbürger. „Es geht darum, ebenfalls Bürger mit einer dunkleren Hautfarbe zu den Entscheidungsträgern zu bringen. Ich bin durch meine Position privilegiert, aber jene, die sonst nie gefragt werden, sollen rauf aufs Podium und endlich gehört werden“, meint die 24-Jährige. Es sei essenziell, jungen „Janas“ Vorbilder zu geben, denn selbst kannte die Politikerin lange Zeit keine.

Doch trotz Hürden und anfänglicher Unsicherheiten hat Jana ihren Weg gefunden und will sich mit ihrem Einsatz für andere starkmachen. Sie hat Verständnis dafür, dass an vielen Ecken noch stark zu feilen ist, fordert aber Entwicklung statt Stillstand in alten Verhaltensmustern: „Es ist okay, wenn man bisher noch nichts verstanden hat. Ich mache auch Fehler, aber man muss einfach offen dafür sein, zu lernen und seine Mitmenschen zu verstehen.“

Die 24-jährige Politikerin weiß heute genau, wer sie ist und lässt sich von niemandem mehr sagen, dass sie etwas aufgrund ihrer Hautfarbe nicht schaffen kann
Die 24-jährige Politikerin weiß heute genau, wer sie ist und lässt sich von niemandem mehr sagen, dass sie etwas aufgrund ihrer Hautfarbe nicht schaffen kann Foto: privat

Wichtiger Einsatz weißer Mitbürger

Dass die Diskussion um die Thematik vermehrt für Aufregung und Wut sorgt, erklärt sich die 24-Jährige so: „Ich glaube, dass viele in Luxemburg gar nicht wirklich wissen, was Rassismus und Diskriminierung eigentlich ist. Sie denken, es handele sich hierbei immer nur um frontale Angriffe durch Wörter, aber ich rede hier von Möglichkeiten, Chancen auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt und davon, dass alle denselben Zutritt zu diesen verdient haben. Dem ist aber leider immer noch nicht so.“ Es sei für den Fortschritt wichtig, dass sich auch weiße Mitmenschen engagieren. „Initiativen wie das #breakingthesilence-Projekt von Andy Schammo sind deshalb von enormer Bedeutung, da sie eine Verbundenheit schaffen zwischen Schwarzen und Weißen, die gemeinsam gegen Rassismus kämpfen“, meint die Politikerin.

Und auch wenn die vielen negativen Kommentare unter den Artikeln in den sozialen Medien schmerzhaft sind, will Jana jedoch ein offenes Ohr für all ihre Mitmenschen behalten: „Ich kann die Reaktion von vielen nachvollziehen. Sie denken, durch die Tatsache, dass in Luxemburg 50 Prozent Ausländer leben, würde es hier keinen Rassismus geben. Aber das eine hat nichts mit dem anderen zu tun.“ Man brauche mehr Bildung, die koloniale Vergangenheit Europas müsse bereits im Kindesalter thematisiert werden. „Dann versteht man auch, woher Dinge wie struktureller Rassismus herkommen.“ Jana selbst will ihren Weg durch die Konferenzen und politischen Treffen Europas weitergehen und lässt sich auch von Skeptikern und Kritikern nicht davon abbringen: „Ich liefere ab, sonst wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Ich habe Inhalt, aber auch ich werde immer noch vielerorts auf mein Äußeres reduziert.“

Serie: Rassismus in Luxemburg

Durch die „Black Lives Matter“-Bewegung aus den USA ist auch in Europa die Thematik des Rassismus wieder in den Mittelpunkt gerückt. Das Tageblatt wirft in einer Porträt-Reihe einen Blick auf die Problematik und spricht mit Schwarzen unterschiedlichen Alters, Berufsstandes und Hintergrundes über ihre persönlichen Erlebnisse mit Diskriminierung.