BrüsselEU-Ratspräsident Charles Michel legt Kompromissplan im EU-Finanzstreit vor

Brüssel / EU-Ratspräsident Charles Michel legt Kompromissplan im EU-Finanzstreit vor
Der Kompromissplan von EU-Ratspräsident Charles Michel im EU-Finanzstreit stößt vor allem im Europäischen Parlament auf wenig Gegenliebe Foto: AFP/Kenzo Tribouillard

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Der Kompromissplan im EU-Finanzstreit von Ratspräsident Charles Michel ist verhalten aufgenommen worden. Harsche Kritik kam aus dem EU-Parlament, weil Michel hohe Hürden für die Kürzung von EU-Geldern bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit aufstellte.

Die EU-Staats- und Regierungschefs kommen ab kommendem Freitag in Brüssel zusammen, um über das beispiellose Finanzpaket von insgesamt rund 1,8 Billionen Euro zu entscheiden. Dabei geht es um den Aufbauplan gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise und den nächsten Sieben-Jahres-Haushalt für die Zeit von 2021 bis 2027. Nach Michels Vorschlag soll der Aufbaufonds wie von der EU-Kommission vorgeschlagen 750 Milliarden Euro umfassen. Den Haushaltsvorschlag kürzte er auf 1.074 Milliarden Euro. Über beide Vorhaben müssen die 27 Mitgliedstaaten einstimmig entscheiden.

„Es ist Zeit zu handeln“, appellierte Michel an die Staats- und Regierungschefs. Er erwarte beim Gipfel aber weiter „schwierige Gespräche“ und fordert „politischen Mut“, nun Entscheidungen zu treffen. Michel nahm beim Corona-Hilfsfonds auch den Vorschlag der EU-Kommission auf, 500 der 750 Milliarden Euro als Zuschüsse auszuzahlen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Dagegen stemmen sich bislang die „sparsamen Vier“ aus Österreich, Dänemark, Schweden und den Niederlanden. Sie wollen vor allem auf die Vergabe von Krediten setzen.

Ihnen kam Michel mit einer stärkeren Mitsprache des Rates der Mitgliedstaaten bei der Vergabe der Gelder entgegen. Wie von Ländern wie Deutschland gefordert, soll zudem nun bereits 2026 und nicht 2028 mit der Rückzahlung der durch die EU-Kommission als gemeinsame Schulden aufgenommenen Corona-Hilfsgelder begonnen werden.

Die Rückzahlung bis 2058 will Michel durch neue EU-Steuern und Abgaben finanzieren. Er nannte dabei eine Abgabe auf Plastikmüll, die Ausweitung des Emissionshandels etwa auf Luft- und Schifffahrt sowie eine Steuer auf Produkte aus Drittstaaten mit geringeren Umweltauflagen. Damit soll verhindert werden, dass für die Schuldentilgung die Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt erhöht werden müssen.

Rückschlag bei Rechtsstaatlichkeit

Entgegen kam Michel auch Nettozahlerländern, die mehr in den EU-Haushalt einzahlen als sie zurückbekommen. Deutschland als mit Abstand größter EU-Finanzier soll dabei pro Jahr einen Nachlass von fast 3,7 Milliarden Euro bekommen. Teils deutliche Rabatte gibt es auch für die „sparsamen Vier“, was in Brüssel als Versuch gilt, sich die Zustimmung zum Corona-Hilfsfonds „zu erkaufen“.

Neu in Michels Vorschlag ist eine Anhebung des Anteils der Haushaltsgelder, die für den Klimaschutz eingesetzt werden. Er soll von bisher anvisierten 25 auf 30 Prozent steigen. Auch eine „Reserve“ von fünf Milliarden Euro, um den Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt Ende des Jahres abzufedern, war in bisherigen Vorschlägen nicht enthalten.

Bei der Frage, wie EU-Mittel künftig bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt werden können, blieb Michel bei einer relativ hohen Hürde. Solchen von der Kommission empfohlenen Kürzungen müsste der Rat der Mitgliedstaaten demnach mit qualifizierter Mehrheit zustimmen.

Konservative, Sozialdemokraten und Grüne kritisierten, dass Michel den Haushalt unter den Vorschlag der EU-Kommission von 1.100 Milliarden Euro kürzte. Dies könne das Parlament nicht akzeptieren, sagte der konservative Vizepräsident der Volksvertretung, Siegfried Muresan.

Besonders scharf fiel die Kritik aus dem Parlament bei der Frage der Rechtsstaatlichkeit aus. „Der abgeschwächte Rechtsstaatsmechanismus ist eine Kriegserklärung“, erklärte der liberale Abgeordnete Moritz Körner. Der Grüne Daniel Freund warf Michel vor, er mache mit seinem Vorschlag die Nutzung des Rechtsstaatsmechanismus „unbrauchbar“ und erteile Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban und anderen einen „Freifahrtschein (…), ihre autokratische Regierungsführung weiter mit EU-Geldern zu finanzieren“. (AFP)