ÄthiopienEin Mord, viele Tote und Streit um den Nil – ein Hort der Hoffnung wird Ort der Spannung

Äthiopien / Ein Mord, viele Tote und Streit um den Nil – ein Hort der Hoffnung wird Ort der Spannung
Ein Bild aus besseren Tagen: Im Januar 2019 wurde Abiy von Kommissionspräsident Juncker empfangen, zwei Wochen später besuchte Asselborn den äthiopischen Hoffnungsträger Foto: AFP/Emmanuel Dunand

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Erst kam der Mord am Sänger Hachalu Hundessa, dann folgten die Proteste der Oromo, die Sicherheitskräfte gingen brutal dazwischen. Eine Woche später sind mehr als 160 Menschen tot, mehr als tausend wurden verhaftet – und Äthiopien hängt weiter im Spannungsfeld seiner Volksgruppen. Doch dieses Mal treten die Risse auf, während der geopolitische Streit mit Ägypten um das Wasser des Nil eskaliert.

Das mit seinen mehr als 100 Millionen Einwohnern zweitbevölkerungsreichste Land Afrikas punktete zuletzt in seiner Außenwirkung. Abiy Ahmed übernahm das Amt des Ministerpräsidenten im April 2018 als Hoffnungsträger. Kaum im Amt ließ Abiy politische Gefangene frei und beschnitt die Macht des Militärs. Ethnische Spannungen sollten der Vergangenheit angehören. Im Sommer desselben Jahres schloss Äthiopien einen Friedensvertrag mit Eritrea. Die Welt dankte es Abiy 2019 mit dem Friedensnobelpreis.

Der Wahl, die Abiy an der Spitze der Einheitspartei ins Amt brachte, waren jahrelange Proteste vorausgegangen. Besonders die Oromo forderten mehr Teilhabe an der Macht. Auf den Straßen sangen sie immer wieder dieselben Lieder – ab 2015 erst „Jirraa“ (Wir sind hier), dann ab 2017 „Maalan jira“ (Was ist meine Existenz?), zwei Songs von Hachalu Hundessa – dessen Leben mehrere Schüsse auf offener Straße nun jäh beendeten und die daraus folgenden Proteste auch Abiy in Bedrängnis bringen, der selber der erste Oromo an der Regierungsspitze des Vielvölkerstaates ist.

Tsedale Lemma, Chefredakteurin des Addis Standard, umschrieb Hachalu auf Facebook „als Gewissen der Oromo-Nation“. Er sei nicht weniger gewesen als „die melodische Begleitung unserer Kämpfe, Träume und Hoffnungen“. Hachalus Songs wurden dabei nicht nur von Oromo gesungen, sondern von allen, die in den blutig niedergeschlagenen Protesten aus den Jahren 2015 bis 2018 für mehr Gerechtigkeit auf die Straße gingen.

In Äthiopien eine Protesthymne: Maalan Jira des Ende Juni erschossenen Sängers Hachalu Hundessa

Dass jetzt bei den Protesten in der Region Oromia nach Angaben der Polizei mindestens 145 Zivilisten und elf Mitglieder der Sicherheitskräfte getötet wurden, weckt Erinnerungen an die staatlichen Repressionen aus dieser Zeit – die Zeit, die mit Abiy als Ministerpräsident eigentlich vorbei sein sollte. Zehn weitere Todesopfer wurden aus der Hauptstadt Addis Abeba gemeldet. Mehr als tausend Menschen wurden festgenommen.

„Wir wissen nicht, warum“

Mittlerweile seien auch mehrere hochrangige Vertreter der Oppositionspartei Oromo-Befreiungsfront (OLF), die für die Unabhängigkeit der Region Oromia eintritt, in Gewahrsam genommen worden, sagte OLF-Chef Dawud Ibsa am Montag der Nachrichtenagentur AFP. „Wir wissen nicht, warum“. Auch andere bekannte Regierungskritiker wie der frühere Medienmogul Jawar Mohammed wurden festgenommen. Was alles weitere Proteste auslöste.

Abiy hatte zuvor „orchestrierte Versuche“ zur Destabilisierung seines Landes angeprangert. Bei seiner vom Staatsfernsehen übertragenen Ansprache vergangenen Freitag machte der Ministerpräsident „interne und externe Kräfte“ für die Ausschreitungen verantwortlich. Für die Fernsehbilder hatte sich der Ministerpräsident eine Militäruniform angezogen. Beteiligte und deren „Hintermänner“ würden zur Rechenschaft gezogen, drohte Abiy und spielte auch auf die derzeitigen Spannungen mit Ägypten im Zusammenhang mit einem gigantischen Staudamm-Projekt am Nil an.

Steine des Anstoßes: Der „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ macht Äthiopien Hoffnung und Ägypten Angst
Steine des Anstoßes: Der „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ macht Äthiopien Hoffnung und Ägypten Angst Foto: AFP/Eduardo Soteras

In der Tat ist mit Äthiopiens neuem Megastaudamm, dem GERD abgekürzten „Grand Ethiopian Renaissance Dam“, der Streit um das Wasser, seitdem in den vergangenen Wochen der Pegel im Reservoir des Jahrhundertbauwerks steigt, um ein Neues eskaliert. Äthiopien freut sich auf das mächtigste Wasserkraftwerk ganz Afrikas, Ägypten fürchtet trotz Beschwichtigungen aus Äthiopien um sein Wasser und beruft sich auf ein Abkommen aus der Kolonialzeit. Auch der dritte Nil-Staat Sudan hat eigene Interessen und ist besorgt. Die USA versuchten sich unlängst an einer Vermittlung. Ägypten wandte sich an den UN-Weltsicherheitsrat. Sudan tat das Gleiche. Inzwischen wird wieder verhandelt, dieses Mal unter den Augen der Afrikanischen Union.

Schwierige Lage

Mitten in diese sich zuspitzende geopolitische Krise hinein fallen die Schüsse auf Hachalu und die darauf folgende chaotische Woche. All das wenige Tage vor dem 9. Juli. An diesem Donnerstag jährt sich der nach 20-jährigem Krieg geschlossene Friedensvertrag mit Eritrea zum zweiten Mal. Doch die Grenzen sind seit einem Jahr wieder geschlossen, Zusammenarbeit gibt es kaum, der Friedensprozess stockt. Die Wirtschaft entwickelt sich zwar, aber nicht schnell genug, um die sehr junge Bevölkerung auffangen zu können. Die Spannungen zwischen den rund 80 Ethnien haben unter Abiy zugenommen. Laut den Vereinten Nationen sind drei Millionen Menschen innerhalb Äthiopiens auf der Flucht, die höchste Zahl von Binnenflüchtlingen weltweit. Auch hätten demnächst Wahlen stattfinden sollen. Wegen Corona waren diese verschoben worden – auf 2021, ohne ein genaues Datum zu nennen. Der Urnengang gilt als erste freie Wahl seit Jahrzehnten.

Äthiopien spielt für die Europäer auch in Migrationsfragen eine wichtige Rolle. Die gesamte Region ist ein Zentrum massiver Flucht- und Migrationsbewegungen, die sich zwar zum größten Teil vor Ort abspielen, aber auch nach Europa führen. Mit Abiy verband sich die Hoffnung, das Land werde zum Hort der Stabilität unter seinen Nachbarn Eritrea, Dschibuti, Kenia, Somalia, Sudan und Südsudan. Zahlreiche europäische Politiker, darunter auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, besuchten den neuen Ministerpräsidenten in den Jahren 2018 und 2019. Inzwischen haben sowohl Äthiopien als auch Ägypten wegen des Megastaudamms eine Kriegsgefahr beschworen. 

J.Scholer
8. Juli 2020 - 9.20

Wer mit westlicher Denkweise versucht die Probleme dieser Länder zu lösen , hat nichts verstanden. Wir müssen es beenden, anderen Völkern unsere Denkweise, Gesellschaftsform unsere Kultur aufzudrängen. Toleranz ist auch , dies zu akzeptieren.