EU-GipfelDie Wirtschaft schrumpft, der Druck auf Merkel steigt

EU-Gipfel / Die Wirtschaft schrumpft, der Druck auf Merkel steigt
Auf der deutschen Kanzlerin Angela Merkel liegen viele Erwartungen, was das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs kommende Woche anbelangt  Foto: Wolfgang Kumm/dpa

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Vor einem Mini-Gipfel in Brüssel hat die EU-Kommission alarmierende Zahlen zur Corona-Krise präsentiert. Die Wirtschaft schrumpft noch stärker als erwartet. Doch eine Einigung zum Wiederaufbau ist nicht in Sicht.

Vier Monate ist Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr in Brüssel gewesen, wegen Corona sind alle EU-Termine geplatzt. Nun kommt sie ins Europaparlament, um das Programm des deutschen Ratsvorsitzes vorzustellen. Doch was als Höflichkeitsbesuch geplant war, erscheint plötzlich in einem anderen, grellen Licht: Merkel muss Feuerwehr spielen.

Die europäische Wirtschaft stürzt noch schneller ab als befürchtet, die Corona-Krise ist noch tiefer: Dies prognostizierte die EU-Kommission einen Tag vor dem Merkel-Besuch am heutigen Mittwoch. Statt – wie bisher erwartet – um 7,7 werde die Eurozone in diesem Jahr um 8,7 Prozent schrumpfen, warnte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.

Deutschland kommt zwar mit einem blauen Auge davon. Im größten EU-Land soll der Einbruch „nur“ 6,3 Prozent betragen. Doch Italien, Spanien und Frankreich müssen mit einer Rezession im zweistelligen Bereich rechnen. Die Folgen des Lockdowns seien noch schlimmer als befürchtet, sagte Gentiloni, der selbst aus Italien kommt. Damit steigt der Erwartungsdruck auf Merkel. Es sei „wichtig, eine rasche Einigung über den von der Kommission vorgeschlagenen Aufbauplan zu erzielen“, mahnt Gentiloni. Die Kanzlerin soll es möglich machen.

Doch diese schnelle Einigung ist nicht in Sicht. Merkel will ihren Besuch in Brüssel zwar zu einem Mini-Gipfel nutzen. Sie trifft sich nicht nur mit Parlamentspräsident David Sassoli und führenden Europaabgeordneten, sondern auch mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen und dem ständigen Ratspräsidenten Charles Michel.

Ein Durchbruch zeichnet sich jedoch nicht ab. Denn die Fronten sind verhärtet. Die „sparsamen vier“ – die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden – sind weiter nicht bereit, den Wiederaufbau durch EU-Schulden zu finanzieren, wie von der Leyen vorgeschlagen hatte. Die Nordländer wollen EU-Hilfen auch nicht als Zuschüsse vergeben, sondern nur als rückzahlbare Kredite. Sogar die Höhe des Wiederaufbaufonds ist umstritten: Sollen es nun 750 Milliarden Euro sein, wie von der Leyen fordert, oder nur 500 Milliarden, wie im deutsch-französischen Vorschlag von Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron?

Widerstand kommt aber auch aus Südeuropa. So hat sich Italien dagegen verwahrt, dass Merkel dem Land Ratschläge erteilt – etwa bei der Nutzung des Euro-Rettungsfonds ESM. Und Griechenland sträubt sich gegen verbindliche Auflagen aus Brüssel, an die die EU-Hilfen gebunden werden könnten. Athen fürchtet eine Rückkehr der Troika.

Dem Europaparlament hingegen gehen die Pläne noch nicht weit genug. Es fordert mehr Geld für den Wiederaufbau, aber auch mehr demokratische Mitsprache bei der Verwendung der Mittel. Wie Merkel diese kaum vereinbaren Forderungen in einen einstimmigen EU-Beschluss überführen will, weiß sie wohl selbst noch nicht.

Die Niederlande stehen auf der Bremse

Denn auch Deutschland will Nachbesserungen. Der Berechnungsschlüssel für die Aufteilung der EU-Hilfen an die 27 Mitgliedsländer müsse geändert werden, die Datenbasis stimme nicht, erklärte Merkel beim letzten Video-Gipfel vor zwei Wochen. Zudem will sie den – durch den Brexit eigentlich überflüssigen – deutschen EU-Rabatt retten.

Wie es weitergeht, muss nun der Mini-Gipfel in Brüssel zeigen. Merkel soll einen Weg weisen, zumindest einige Ideen vorstellen. Von der Leyen will ihr dabei helfen – die weibliche deutsche Doppelspitze muss sich zum ersten Mal beweisen. „Wir schaffen das“, gaben sich die beiden CDU-Politikerinnen vor dem Treffen optimistisch. Aber auch Ratspräsident Michel ist gefordert: Er soll einen Kompromiss für das künftige EU-Budget vorlegen, in das auch der Wiederaufbaufonds eingebettet ist. Mit diesem Papier soll es dann in den nächsten regulären EU-Gipfel seit der Corona-Krise in zehn Tagen gehen.

Eine Einigung ist allerdings auch dann noch nicht sicher. Ausgerechnet der niederländische Premier Mark Rutte, einer der engsten Partner Deutschlands, steht auf der Bremse. Rutte kommt morgen nach Berlin – erst danach dürfte sich zeigen, wie die Chancen auf eine Einigung wirklich stehen.

HTK
7. Juli 2020 - 23.26

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