SpanienEuropas Obstgarten unter Quarantäne

Spanien / Europas Obstgarten unter Quarantäne
In Lleida gehört das Feldlazarett nach einem massiven Coronavirus-Ausbruch wieder zum Stadtbild Foto: AFP/Pau Barrena

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Nach einem Corona-Ausbruch in Spaniens Fruchtindustrie wurde über die Provinzhauptstadt Lleida und Dutzende umliegende katalanische Ortschaften ein neuer Lockdown verhängt. Mehrere europäische Regierungen warnen vor einer Reise in das Sperrgebiet.

Straßensperren an allen Zufahrtswegen. Polizeikontrollen innerhalb des Quarantänegebietes. Ein Feldlazarett vor dem Krankenhaus in der Provinzhauptstadt Lleida. Nach einem massiven Coronavirus-Ausbruch in einem bedeutenden Obstanbaugebiet im Nordosten Spaniens wurden die katalanische Großstadt Lleida und 37 umliegende Ortschaften unter Quarantäne gestellt.

Das Coronavirus grassiert in der Region besonders unter Erntehelfern, die unter fragwürdigen hygienischen Bedingungen auf den Plantagen in der Umgebung Lleidas Äpfel, Birnen, Nektarinen und Pfirsiche pflücken. Ein Großteil der Ernte geht in den Export und landet dann in Supermärkten in ganz Europa. Der von dem Ausbruch betroffene Landkreis Segrià ist einer der wichtigsten Obstgärten Spaniens.

Die rund 210.000 Einwohner des von der neuen Infektionswelle betroffenen Quarantänegebiets, das an der viel befahrenen Autobahn AP-2 zwischen Barcelona und Saragossa liegt, können das Gebiet nicht mehr verlassen. Auch Zehntausende afrikanische Tagelöhner, die derzeit auf den Obstfeldern schuften, sitzen in der Zone fest. Die Quarantäne gilt zunächst für zwei Wochen, wird jedoch angesichts der hohen Infektionszahlen vermutlich verlängert.

Die Einreise in Spaniens neue Corona-Krisenregion ist ebenfalls verboten. Das betrifft auch Touristen. Die Festungsanlage Lleidas, die eine alte Kathedrale und eine mittelalterliche Burg beherbergt, ist ein beliebtes Ausflugsziel. Fernreisende, die auf der Autobahn AP-2 zwischen den Städten Saragossa und Barcelona unterwegs sind, dürfen das Sperrgebiet durchfahren. Das Verlassen der Autobahn ist jedoch untersagt.

Mehrere europäische Länder, darunter die deutsche Regierung, deren Einschätzungen Luxemburg meistens folgt, raten ausdrücklich von Reisen in den neuen spanischen Virus-Hotspot ab. „Wegen einer Fallinzidenz von 140 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen wird der Kreis Segriá in der Provinz Lleida bis auf Weiteres abgeriegelt“, schreibt zum Beispiel das deutsche Außenministerium. „Vor Reisen dorthin wird gewarnt.“

Die miserablen Bedingungen der Tagelöhner

Jetzt im Sommer pflücken annähernd 30.000 Tagelöhner, meist Immigranten aus den nord- und westafrikanischen Ländern, die reifen Früchte. Sie beklagen sich schon länger über schlechte Arbeits- und Hygienebedingungen. Etliche Großbauern würden die Corona-Gesundheitsvorschriften nicht beachten, sagen die Arbeiter.

Vertreter der örtlichen Landarbeitergewerkschaft berichten, dass den Erntehelfern oftmals keine Mund-Nase-Masken zur Verfügung gestellt werden. Wenn Einmalmasken ausgegeben würden, die normalerweise für maximal einen Tag Schutz gewähren, dann müssten diese zuweilen wochenlang getragen werden.

Zudem gebe es bei der Ernte auf den Feldern und bei der späteren Früchteverarbeitung an den Verpackungsfließbändern keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zwischen den Arbeitern, heißt es. Hinzu komme, dass viele dieser afrikanischen Tagelöhner auf engstem Raum und unter katastrophalen Bedingungen in Armutsunterkünften leben müssten.

Die Umstände des Corona-Rückfalls in Lleida ähneln den Virusausbrüchen in der Schlachthofbranche in Deutschland und in anderen europäischen Ländern. Auch dort, so wurde berichtet, sind die meist ausländischen Arbeiter wegen oftmals mangelhafter hygienischer Bedingungen einem erhöhten Corona-Risiko ausgesetzt.

Die Erntehelfer in Lleida berichteten zum Beispiel, dass sie zusammengepfercht in verfallenen landwirtschaftlichen Gebäuden, in Garagen oder sogar unter freiem Himmel nächtigen müssen. Oftmals würde ihnen sogar für das Elendsquartier noch Geld abgeknöpft. „Wir werden“, klagt einer der Erntehelfer in einer Lokalzeitung, „schlechter als Tiere behandelt.“

Bei Reisen in andere Regionen des Urlaubslandes Spanien gibt es derzeit keine Probleme. Flug- und Fährreisende unterliegen aber einer Registrierungspflicht: Sie müssen spätestens 48 Stunden vor Reisebeginn online eine Gesundheitserklärung abgeben. 

Weltweit neue Lockdowns

Das Coronavirus ist hartnäckiger als viele sich das erhofft haben. Weltweit gibt es neue Ausbrüche oder weitere Steigungen der Infektionszahlen. In Spanien sind seit Samstag mehr als 200.000 Menschen in und um die katalanische Stadt Lleida einem Lockdown unterworfen (siehe auch Text oben). Das Sperrgebiet darf weder betreten noch verlassen werden, Zusammenkünfte wurden wieder auf zehn Personen beschränkt, Besuche in Altersheimen untersagt. Auch die Region Galizien im Nordwesten des Landes verfügte gestern wieder schärfere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für rund 70.000 Menschen. In Portugal sind seit dem 1. Juli in der Hauptstadt Lissabon wieder rund 700.000 Menschen im Lockdown. Die Maßnahme soll mindestens zwei Wochen dauern. Bereits seit dem 23. Juni sind in Deutschland in den beiden Landkreisen Gütersloh und Warendorf in Nordrhein-Westfalen mehr als 600.000 Menschen im erneuten Lockdown. Am 30. Juni wurde in Großbritannien die Stadt Leicester wegen explodierender Infektionszahlen abgeriegelt. Die Sperrung ist erst einmal auf zwei Wochen ausgelegt. Nicht der Lebenserhaltung dienende Geschäfte müssen so lange geschlossen bleiben. Am 22. Juni wurden in Italien im Ort Mondragone, 60 Kilometer nördlich von Neapel gelegen, rund 700 Menschen in vier Wohnblöcken unter Quarantäne gestellt. In China wurde der Lockdown über der Stadt Wuhan Anfang April aufgehoben – es dauerte aber nicht lange, bis über 70 Nachbarschaften wieder Restriktionen verhängt wurden. In Indien hat der südliche Bundesstaat Tamil Nadu neue Auflagen in seiner Hauptstadt Chennai und umliegenden Bezirken verhängt. Diese Maßnahmen wurden am 19. Juni verhängt und betreffen rund 15 Millionen Menschen. Aserbaidschan hat seinen zuerst aufgehobenen Lockdown am 22. Juni wieder in Kraft gesetzt. Diese Bestimmungen sollen bis zum 1. August gelten. Mehrere Bundesstaaten in den USA haben ihre Pläne, die Ausgangssperren und Umgangsregeln zu lockern, nach hinten verschoben. In Kalifornien, Texas und Florida haben Bars wieder geschlossen, in Kalifornien und Florida sind auch die Strände erneut gesperrt. Der Bürgermeister von Floridas größer Stadt Miami verhängte vor dem Unabhängigkeitstag eine nächtliche Ausgangssperre zwischen zehn Uhr abends und sechs Uhr morgens. Diese gilt bis auf weiteres. Argentinien hat für seine Hauptstadt Buenos Aires und ihre Umgebung die Regeln des Lockdowns verschärft. Die Maßnahmen sollen mindestens bis zum 17. Juli in Kraft bleiben. Bereits zuvor hatte mit Cordoba die zweitgrößte Stadt des südamerikanischen Staates einen Rückzug von den in Aussicht gestellten Lockerungen verkündet. In Panama ging man in der Hauptstadt und ihrer Umgebung am 8. Juni zurück in den Lockdown. Im Libanon erhofften sich die Autoritäten Hilfe durch einen zweiten, kürzeren Lockdown, der vom 13. bis zum 18. Mai galt. Seit Samstag sind in Australien in Melbourne Tausende Bewohner großer Wohnhäuser in einen mindestens fünf Tage geltenden Lockdown geschickt worden. (AFP/A.B.)