Drei-Sterne-Koch Massimo Bottura„Erwarte das Unerwartete“

Drei-Sterne-Koch Massimo Bottura / „Erwarte das Unerwartete“
Drei Michelin-Sterne, zweifache Auszeichnung zum „besten Restaurant der Welt“: Der Italiener Massimo Bottura aus Modena muss sich in der Welt der Spitzengastronomie nicht mehr beweisen – im Gegensatz zu seinen Anfängen, als er damit begann, die Tradition neu zu interpretieren und Kritiker ihm Verrat am kulinarischen Erbe seiner Heimat vorwarfen Foto: Callo Albanese e Sueo

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Massimo Bottura hat etwas von Jean Paul Gaultier. Wie der Modedesigner setzt der Italiener aus Modena unangepasst und unerschrocken seit Jahrzehnten der Sterneküche seinen Stempel auf. Drei Michelin-Sterne und zwei Auszeichnungen für seine Osteria Francescana als „bestes Restaurant der Welt“ geben ihm recht. Bottura, der wie ein Künstler auftritt, ist von Leidenschaft durchdrungen – für gute Zutaten, für gutes italienisches Essen, für mehr Menschlichkeit und weniger Verschwendung. Daisy Schengen erlebte den Wirbelwind vor der Webcam in seiner Küche.

„Ich bin Koch und Italiener, geboren und aufgewachsen in Modena. Wie meine Heimat riecht und schmeckt, machte mich zu dem, der ich bin: In meinen Adern fließt Aceto Balsamico und meine Knochen sind aus Parmigiano Reggiano.“ Diese Sätze schrieb Massimo Bottura in einem Essay für die Europäische Investitionsbank (EIB) im Juni 2019.

Rund ein Jahr später steht der mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnete Koch beinahe leibhaftig vor uns. Auf Einladung der „Camera die commercio italo-lussemburghese“ und in Zusammenarbeit mit den italienischen Handelskammern aus Belgien und den Niederlanden erzählt Massimo Bottura, Jahrgang 1962, seine Geschichte vor der Webcam in seiner Küche. Gleichzeitig führt der 57-Jährige in die Welt des „echt italienischen Geschmacks“ ein. Das Online-Seminar mit dem Starkoch ist Teil des Projekts „True Italian Taste“. Es ist eine gemeinsame Initiative der 78 italienischen Handelskammern in Europa, das auf die Schätze der italienischen Küche, auf ihre kulinarische DNA aufmerksam machen will.

Die Hände verschränkt, die Mimik ausdrucksstark – für Starkoch Massimo Bottura ist Kochen eine äußerst emotionale Angelegenheit. Gutes Essen kreieren sei ein magischer Moment – „so, als könnte man den Blitz im Dunklen erwischen“.
Die Hände verschränkt, die Mimik ausdrucksstark – für Starkoch Massimo Bottura ist Kochen eine äußerst emotionale Angelegenheit. Gutes Essen kreieren sei ein magischer Moment – „so, als könnte man den Blitz im Dunklen erwischen“. Foto: Camera di commercio italo-lussemburghese

Starkoch Bottura ist für diese Aufgabe genau der richtige Mann. Im Schwarz-weiß gestreiften Shirt und einem legeren, dunkelblauen Sakko, die silbergrau melierten Locken etwas ungezähmt und durch eine schwarze Hornbrille blickend, nimmt der Chef vor der Kamera Platz. Mitten in seiner privaten Küche, vor einer grau glänzenden Tapete mit Strukturelementen. Die Tapete wird der heimliche Star dieses Nachmittags: Redakteure schreiben im Chat, wie hinreißend sie sei, bevor sie den Chef begrüßen. Massimo Bottura lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und erzählt zwischen Salatschalen, Flaschen und Kräutertöpfen mal raumgreifend mit den Händen, mal laut und begeistert darüber, was ihn als Koch, als Mensch, ausmacht und drückt seine Liebe zur italienischen Küche aus. Die Familie habe für seinen Erfolg offenbar schon immer eine Rolle gespielt. Ein Beispiel ist seine Tochter Alexa, die hinter der Kamera steht und zeitgleich zum Dreh die Fragen der Presse im Chat beantwortet.

Kochen ist eine Kollision zwischen Ideen, Techniken und Kulturen. Es ist nicht mathematisch, es ist emotional.”

Massimo Bottura, Drei-Sterne-Koch, Inhaber der Osteria Francescana

Die Geschichte des Drei-Sterne-Kochs begann in Modena, in der norditalienischen Region Emilia Romagna. Dort, wo der berühmte Aceto Balsamico, der würzige Parmigiano Reggiano und Enzo Ferraris Erbe zu Hause sind. Aber begann sie unter dem Küchentisch der Familie, als Massimo Bottura als kleiner Junge seiner Mutter und Großmutter zuschaute, wie sie Tortellini selber machten. „Wenn sie nicht hinschauten, stibitzte ich einige davon und kaute den Teig so lange, bis ich den Geschmack ganz in mich aufgesogen hatte. Seit damals weiß ich, was Appetit ist“, erzählte er in einem Gastbeitrag für die EIB im Juni 2019.

Dieses Erlebnis sei nicht nur für ihn kulinarisch prägend gewesen, sondern für viele ItalienerInnen seiner Generation, schrieb Bottura damals. Und so macht sich der junge Massimo auf, Koch zu werden. Sein Ziel: Tradition mit Innovation zu verbinden. Für seinen Traum kehrt er dem Familienunternehmen, einem Großhändler für Mineralölprodukte den Rücken, und beginnt bei einer Meisterin der traditionellen italienischen Küche in der Emilia Romagna, einer Rezdora, die „Tradition in Perfektion“ zu erlernen. Die (technischen) Raffinessen der französischen Kochkunst bringen ihm Georges Coigny aus Frankreich und der Meister persönlich, Alain Ducasse, in seinem Restaurant in Monaco bei.

Nach einer Weiterbildung in New York kehrt Bottura nach Modena zurück. Voller Energie und Eindrücke aus seiner Lehrzeit eröffnet er 1995 seine inzwischen preisgekrönten Osteria Francescana. Doch der Erfolg lässt zunächst auf sich warten: Mit seiner Philosophie „Traditionsbetrachtung aus zehn Kilometern Entfernung“ auf Italiens Küche macht sich Bottura zu dieser Zeit keine Freunde. Viele empfinden seine Art zu kochen als Verrat an die traditionelle italienische Küche. Es dauert, bis Kritiker und Fachleute seine Kochphilosophie akzeptieren.

„Den Blitz im Dunkeln erwischen“

Denn Massimo Bottura will zuerst beide Seiten seines Genusscredos miteinander verschmelzen lassen, bevor er sie mit Einflüssen aus Musik, Kunst, Natur, Humor und Poesie verwebt. Die Osteria Francescana, deren Namen so viel wie „Franziskaner Schenke“ bedeutet, war schon seit Beginn ihrer Existenz mehr ein Labor als ein Lokal. „Unsere Küche ist einerseits eine Demonstration des technisch Möglichen. Sie ist aber auch eine Erzählung über Italiens Landschaft. Kochen ist eine Kollision zwischen Ideen, Techniken und Kulturen. Es ist nicht mathematisch, es ist emotional“, sagt der Starkoch.

Beim Kochen will Bottura seinen höchsten Ansprüchen gerecht werden, das Streben nach der besten Komposition eines Gerichts vergleicht er mit „einen Blitz im Dunkeln zu erwischen“. „Das passiert nur einmal“, erzählt er im Seminar und scheint sich gerade der Tragweite seiner Worte bewusst zu werden. Für einen kurzen Moment wirkt der Drei-Sterne-Koch nachdenklich. Als er Sekunden später in Kamera blickt, sitzt ihm schon der Schalk im Nacken: „Erwarte das Unerwartete“, fügt er schmunzelt hinzu.

Inspirationen für seine Gerichte findet er auf der ganzen Welt. Musik und Kunst sind oft Ideengeber, aber auch Slow Food und schnelle Autos lassen den Maestro seine berühmten Gerichte kreieren. Die meisten von ihnen tragen Namen, die Situationen aus dem Alltagsleben entlehnt sind: „Der Aal, der den Fluss Po hinaufschwimmt“ oder „Ups, mir ist der Zitronenkuchen heruntergefallen“.

Emotional und voller Leidenschaft ist auch Massimo Botturas Einsatz für gute Produkte. Für seine Ausnahmegerichte greift der Meister auf ausgezeichnete und herkunftsgeschützte Lebensmittel aus seiner Heimat zurück – ob Parmigiano Reggiano AOP, Aceto Balsamico Tradizionale di Modena AOP oder Prosciutto di Parma AOP – den Schätzen der Emilia Romagna zollt Bottura in seiner Küche den höchsten Respekt. Inzwischen ist er auch unter die Hersteller des berühmten Aceto Balsamico gegangen. In einem ehemaligen traditionellen Anwesen, der Villa Manodori, stellt der Drei-Sterne-Koch die Spezialität neben kalt gepresstem Olivenöl aus Taggiasca-Oliven, einer höchst aromatischen Sorte, her.

„Gegen Verschwendung, für mehr Menschlichkeit“

Einfache Zutaten in bester Qualität – die Wertschätzung von Lebensmitteln und ihrer Herkunft ist für den Chef essenziell. Aber auch die faire Bezahlung der Hersteller liegen ihm sehr am Herzen: „Wer Produkte unter Wert verkauft, betrügt“, sagt Bottura sichtlich aufgebracht vor der Kamera. Um das kulinarische Erbe seiner Heimat und die Arbeit der Landwirte vor Ort zu schützen, setzt er sich für das Projekt „Italian Sounding“ ein. Hinter dem Namen steht ein gemeinnütziger Verein, der 2015 durch den italienischen Landwirtschaftsverband und zwei italienische Handelskammern in Deutschland gegründet wurde, um den „Verkauf und Vertrieb ,falscher‘ italienischen Lebensmittel zu unterbinden“.

Lara Gilmore und ihr Ehemann blicken in den Garten der Casa Maria Luigia. Gemeinsam mit seiner Frau und Muse hat der Spitzenkoch 2019 ein besonderes Gästehaus geschaffen, das den Besuchern das Gefühl von Zuhause vermitteln will .
Lara Gilmore und ihr Ehemann blicken in den Garten der Casa Maria Luigia. Gemeinsam mit seiner Frau und Muse hat der Spitzenkoch 2019 ein besonderes Gästehaus geschaffen, das den Besuchern das Gefühl von Zuhause vermitteln will . Foto: Marco Poderi

Nur zu gerne würde der Maestro auch Lebensmittelverschwendung und gesellschaftliche Ausgrenzung von Bedürftigen weltweit unterbinden. Gemeinsam mit seiner Frau Lara Gilmore hat er die Stiftung „Food for Soul“ gegründet. „Kochen ist ein Aufruf zum Handeln“, sagt Bottura. „Ich bin meiner Leidenschaft rund 30 Jahren gefolgt, um meine Berufung zu finden. Ich habe diese Zeit gebraucht, um das Unsichtbare sichtbar zu machen.“ Dazu gehören Lebensmittelverschwendung und Menschen, die nicht im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen. „Rund ein Drittel unseres Essens wird verschwendet“, ärgert sich der Koch. Dank der 2016 gegründeten Stiftung landen Lebensmittel aus Supermärkten nicht auf den Müll, sondern werden von (hochrangigen) Chefköchen als kunstvolle Mahlzeiten verarbeitet und in sogenannten Reffetorios bzw. „Social Cantines“ an Bedürftige gereicht. „Sie können sich nicht vorstellen, wie schwer es anfangs war, die Profis, die daran gewöhnt sind, mit erstklassiger Ware zu kochen, davon zu überzeugen, Restware aus dem Supermarkt zu verarbeiten“, sagt Bottura rückblickend. Aber er gab nicht auf und durch seine mitreißende Art überzeugte er seine Kollegen davon, ihm zu folgen.

Mehr noch: Die Reffetorios sind keine kahlen Tafeln. Das durch Designer und Künstler gestaltete Ambiente soll den Menschen ihre Würde ein Stück weit zurückgeben. „Das Projekt soll ermahnen, gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen, aber auch für soziale Inklusion und Wertschätzung des Einzelnen stehen“, erklärt Bottura. Wer an den Tischen Platz nimmt, fühlt sich weniger allein, sagt Christina Rani, Verantwortliche für die Stiftung, in einem Vorstellungsvideo. „Was wir eigentlich mit diesem Projekt wollen, ist ein Umdenken zu bewirken: gegen Lebensmittelverschwendung und für mehr Menschlichkeit.“ Die Stiftung ist mittlerweile auch in den USA, Mexiko, Kanada, Frankreich und England tätig.

Trotz des weltweiten Erfolgs ist Massimo Bottura bodenständig geblieben. „Tortellini mit Parmesansoße oder Hühnerbrühe“ sei auch heute noch sein Lieblingsgericht, verrät er dem Tageblatt. Spätestens dann kommt der kleine Junge wieder zum Vorschein, der auszog, um die Schätze der Emilia Romagna in der Welt berühmt zu machen und es in seiner Küche mehr als ein Mal geschafft hat, „den Blitz im Dunkeln zu erwischen“.


Den „echten Geschmack Italiens“ vermitteln: Das lässt sich Sternekoch Massimo Bottura nicht nehmen. Im Online-Seminar zaubert er in wenigen Minuten und mit nur wenigen Zutaten ein Pasta-Gericht hervor, dessen Rezept er unseren Lesern hier verrät. Viel Spaß beim Nachkochen! 

„Pasta al pesto con briciole di pane“

Zutaten für vier Personen:

400 g handgemachte, luftgetrocknete Pasta von Gragnano PGI (Fusilli)   

1 geschälte Knoblauchzehe

100 g frisches Basilikum

10 g Minzblätter

10 g Petersilienblätter

50 g Brotkrümmel

1 g Salz

150 g geriebener Parmigiano Reggiano PDO (24 oder 36 Monate gereift)

70 g extra natives Olivenöl (Villa Manodori), vorzugsweise drei Stunden in einer Karaffe ohne Deckel „geruht“

30 g kaltes Wasser

->Tipp: Etwas Nudelwasser nach dem Kochen auffangen und bei Bedarf, beispielsweise um das Gericht noch cremiger zu machen, beiseitestellen. 

Zubereitung: 

1. Die Knoblauchzehe mit einem Messer zerdrücken, Brotkrümmel, Basilikum, Minze, Petersilie und den Parmigiano Reggiano (6 Esslöffel vom Käse für später beiseitestellen) in einem Mixbecher zusammenfügen. Olivenöl und kaltes Wasser dazugeben. Das Ganze zu einer cremig-samtigen Soße mixen.   

2. Jetzt die Nudeln laut Packungsanleitung zubereiten und in sprudelnd kochendes und gesalzenes Wasser geben.

3. Nach der Garzeit die Pasta abseihen, ohne sie abzuschrecken. Pesto in eine Schüssel geben oder in den Topf, in dem die Nudeln gekocht wurden. Die Pasta zum Pesto hinzufügen und gut miteinander vermischen. Sollten die Nudeln etwas zu trocken sein, können Sie etwas von dem beiseitegestellten Kochwasser (siehe Tipp) dazugeben, um eine cremige Konsistenz zu erhalten.

4. Zum Schluss den restlichen Parmesan (ca. 6 EL) darüberstreuen und je nach Vorliebe eine geriebene Zitronenschale dazugeben. Warm servieren.