Syvicol / Luxemburgs Kommunen stecken wegen Corona in finanziellen Nöten
Weil der Staat wegen Corona weniger Geld einnimmt, schrumpfen auch die Zuwendungen an die Gemeinden. Das wird unterschiedliche Konsequenzen für die 102 Kommunen des Landes haben, heißt es beim Gemeindesyndikat Syvicol. Besonders jene, die bereits vor der Krise unter finanziellen Nöten litten, würden nun Gefahr laufen, an den Rand der Zahlungsunfähigkeit zu geraten und auf die Hilfe des Staats angewiesen zu sein. Allgemein sei es der Planungssicherheit nicht förderlich, dass nach wie vor nicht bekannt sei, wie viel weniger die Gemeinden bekommen sollen, so Syvicol-Präsident Emile Eicher im Tageblatt-Interview.
Tageblatt: Um im Dienst der Bevölkerung funktionieren zu können, erhalten die Gemeinden Geld vom Staat. Weil dieser Corona-bedingt weniger einnimmt, werden auch die Kommunen zumindest dieses und nächstes Jahr weniger Geld bekommen. Wissen Sie mittlerweile, wie viel weniger?
Emile Eicher: Nein. Das Innenministerium nennt für 2020 ein Minus von 417 Millionen Euro zum Haushaltsplan des laufenden Jahres, der „Conseil national des finances publics“ (CNFP) hingegen hat Mindereinnahmen von rund 713 Millionen errechnet. Als Syvicol hätten wir gerne Klarheit. Was erklärt das Minus allgemein und woher rühren diese unterschiedlichen Zahlen? Ich habe auch nicht für alles eine Erklärung. Deshalb haben wir um ein Treffen mit dem Premierminister, dem Finanzminister und der Innenministerin gebeten. Gerade in der Krise brauchen wir klare Angaben. Und vor allem ein Instrument, das verlässliche Zahlen liefert und uns einen Blick in die Zukunft erlaubt. Planungssicherheit hat oberstes Gebot.
Weniger Geld wird es aber auf jeden Fall sein. Welche Konsequenzen hat dies?
Das wird unterschiedliche Konsequenzen für die 102 Gemeinden des Landes haben. Es gibt welche, die relativ hohe Reserven haben, an erster Stelle die Stadt Luxemburg, und dann gibt es solche, vor allem die kleineren, die sich bereits in der Vergangenheit keine großen Sprünge erlauben konnten, die nicht oder kaum über ein Finanzpolster verfügen. Besonders Letztere machen sich jetzt natürlich Gedanken über ihre Zukunft. Diese Gemeinden wissen, dass sie ihre laufenden Kosten weiter stemmen müssen, vor allem die Gehälter der Mitarbeiter, aber auch nötige Reparaturen sowie Instandsetzungsarbeiten. Dann haben nicht wenige Kommunen sich zu Investitionen verpflichtet, die sie nicht mehr rückgängig machen können und demzufolge einhalten müssen.
Laut Innenministerium gibt es fünf Gemeinden, deren finanzielle Lage kritisch ist. Welche sind das?
Das wurde uns nicht mitgeteilt.
Die wären wohl auch nicht froh, wenn sie in der Öffentlichkeit erwähnt würden. Aber was heißt „kritische Situation“?
Das bedeutet, dass das in Normalzeiten ohnehin knappe Budget dieser Gemeinden nicht mehr ausreichen wird, wenn sie alle Ausgaben wie geplant tätigen, sie also aus eigener Kasse nicht mehr alles zahlen können. Es gibt aber laut Innenministerium noch weitere 20 Kommunen, deren Finanzdecke ebenfalls ziemlich dünn ist und bei denen es jetzt nicht gewährleistet ist, ob sie alle geplanten Investitionen durchführen können. Vielleicht verschafft es jenen Gemeinden etwas Erleichterung, dass aufgrund des Lockdowns nicht gearbeitet wurde, sich alles zeitlich verschoben hat und dadurch zumindest Teile der Investitionskosten erst das Budget vom nächsten Jahr belasten werden. Diesen Spielraum gibt es im ordentlichen Haushalt einer Gemeinde nicht. Dort laufen die Kosten wie gehabt weiter.
Und was nun?
Wir haben der Innenministerin mitgeteilt, dass es wichtig ist, die gefährdeten Gemeinden im Auge zu behalten und sich Gedanken zu machen, in welcher Form geholfen werden kann. Falls es dann wirklich ernst wird.
Kann eine Kommune eigentlich pleitegehen?
Im Prinzip kann das nicht eintreten, weil die Gemeinden ja unter der Aufsichtspflicht („tutelle“) des Innenministeriums stehen. Spätestens wenn es zum Worst-Case-Szenario käme, würde das Ministerium die Notbremse ziehen und einspringen, also zahlen.
Bürger müssen also nicht um ihren Wohnort fürchten. Gut. Bevor die Notbremse gezogen werden muss, gibt es aber eine Reihe an Möglichkeiten, die die Innenministerin im Mai angekündigt hat. Also auf Reserven zurückgreifen. Beim Innenministerium eine Anhebung der Kreditlinie beantragen oder auf eine Anleihe zurückgreifen. Das sind ja durchaus Hilfen?
Ja. Wichtig ist auch die angebotene Finanzberatung. Alle betroffenen Gemeinden sind bereits kontaktiert worden, um auszuloten, was in ihrem Fall die besten Möglichkeiten sind und wie sie sich kurzfristig selber helfen können. Trotzdem sollte man bedenken, dass nicht alle Gemeinden eine Reserve haben oder garantieren können, dass sie ihre Schulden zurückzahlen können, wenn sie jetzt schon kaum noch über die Runden kommen. Das Problem ist also, dass, selbst wenn sie sich an die Ratschläge halten, einige meines Erachtens trotzdem in Schwierigkeiten geraten werden. Spätestens am Ende des Jahres, wenn kein Geld mehr in der Kasse ist. Dann sieht es auch für nächstes Jahr nicht gut aus. Man muss das Problem also strukturell angehen, wenn man verhindern möchte, dass das konjunkturelle Tief eine zerstörerische Eigendynamik entwickelt.
Wie zum Beispiel?
Man kann vorbeugen und die Hebel beispielsweise beim Haushaltsentwurf für 2021 ansetzen, damit diese Gemeinden auch im kommenden Jahr ein Minimum an Investitionen tätigen können. Das ist es ja, was der Staat gerne von den Gemeinden hätte, nämlich dass aktiv investiert wird, um die Wirtschaft anzukurbeln und sie so am Leben zu erhalten. Ein Schritt in diese Richtung, wenn auch ein kleiner, ist, dass das Innenministerium den Prozentsatz seiner Subsidien von 35 auf 40 Prozent angehoben hat.
Wie könnte das gehen?
Als Syvicol verlangen wir, dass die staatlichen Zuwendungen bei kommunalen Projekten nach oben angepasst werden. Viele sind das seit 2001 nicht mehr. Bei den „Maison relais“ gab es vor 19 Jahren bereits 10.000 Euro Unterstützung pro Kind. Bis heute hat sich das nicht geändert. Dabei ist in den vergangenen Jahren alles teurer geworden. Zudem sind die Auflagen gewachsen und strenger geworden, was Zeit und auch Geld kostet. Deshalb hätten wir gerne, dass, auf Basis der wirklichen Investitionskosten, das Ministerium seinen Beitrag erhöht.
Wie wäre es mit einer anderen Form der Partnerschaft zwischen Gemeinden und Staat oder einer anderen Form der Solidarität zwischen den Kommunen?
Wir als Syvicol sind offen für alle Diskussionen. Klar ist, dass die Gemeindeautonomie gewahrt bleiben muss. Wir können keine Kommune gegen ihren Willen dazu bringen, in irgendein System einzusteigen. Der Staat kann aber sicherlich durch eine andere Gestaltung seiner Beihilfen und seiner Subventionspolitik verhindern, dass es bei den Gemeinden eine Durststrecke gibt und sie dadurch nicht mehr zur Belebung der Wirtschaft beitragen können. Er kann einen Anreiz schaffen und sagen, wo er Prioritäten setzen möchte in Sachen kommunale Investitionen. Wichtig ist jetzt jedoch vor allem, dass wir uns einen genauen Überblick darüber verschaffen, wie sich die Krise auf die verschiedenen Gemeinden ausgewirkt hat.
Wird im Herbst immer noch Bilanz darüber gezogen, wie sich die Reform der Gemeindefinanzen ausgewirkt hat?
Das ist in der Tat für September geplant. Die Zentralbank wird uns eine von ihr durchgeführte Bewertung der Reform vorstellen. Die Zeitspanne reicht bis vor Corona, umfasst also den Zeitraum vor der Krise. Anschließend geht es aber darum, zu untersuchen, wie sich die Krise jetzt ausgewirkt hat und wie sie es in mindestens den nächsten zwei Jahren noch tun wird.
Macht die Auswertung nur der guten Zeit denn eigentlich Sinn?
Ja. Man wird nämlich sehen, ob und wie die Umverteilung der finanziellen Mittel seit 2017 funktioniert hat. Wo den schwachen Gemeinden wirklich geholfen wurde und wo sie sich nach wie vor auf dünnem Eis bewegen. Daraus lassen sich durchaus Schlüsse für die Zukunft ziehen.
Die Krise ist nicht vorbei. Was schlagen Sie noch vor, um die Finanzen in den Griff zu bekommen?
Vor allem sollte man alle Auflagen, Prozeduren und Richtlinien hinsichtlich ihrer Kosten und Notwendigkeit überprüfen. Nicht alles ist zweckmäßig. Es ist höchste Eisenbahn, hier die Hebel anzusetzen.
Beispiele bitte?
Es sind viele Kleinigkeiten, bei denen man sich ernsthaft fragen muss, ob sie wirklich sinnvoll sind. Angefangen bei sanitären Einrichtungen über die vorgeschriebene Höhe und Breite von Türen bis hin zur Dauer der Feuerfestigkeit bei einem Gebäude aus Beton. Dann haben wir mit zwei Behörden zu tun, mit der Gewerbeaufsicht (ITM) und der „Securité dans la fonction publique“. Wenn beide die Köpfe zusammenstecken würden, könnte auch da jede Menge Zeit und vor allem Geld gespart werden. Im Allgemeinen geht es uns um Vereinfachung, dort, wo sie möglich ist, aber nicht auf Kosten der Qualität und der Sicherheit. Mit dem Innenministerium sind wir in dieser Hinsicht jedenfalls auf dem richtigen Weg.
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