ItalienSalvini muss Wahlkampf nach zwei Minuten wegen Pfiffen abbrechen

Italien / Salvini muss Wahlkampf nach zwei Minuten wegen Pfiffen abbrechen
Salvini wollte Stimmung  gegen Ausländer machen – mit breiter Ablehnung hatte er nicht gerechnet Foto: AFP/Filippo Monteforte

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Ex-Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini wollte im kampanischen Mondragone eine Wahlkampfveranstaltung abhalten. Doch andauernde Proteste in dem sozialen Brennpunkt in der Provinz Caserta, einem Hauptaktionsgebiet der Camorra, führten zum Abbruch der Politshow. Seit Tagen gibt es nach einem neuen Corona-Hotspot heftige Auseinandersetzungen in dem Küstenort, die sich vor den Regionalwahlen Luft machen. In Italien kehrt der politische Alltag zurück.

Es war wohl die kürzeste Wahlkampfveranstaltung, die Lega-Chef Matteo Salvini je im Lande abgehalten hatte. Bereits nach zwei Minuten wurde sie abgebrochen und Salvini zu seinem Auto zurückbegleitet. Aufgebrachte Bürger des kampanischen Küstenortes Mondragone hatten die Rede des Ex-Innenministers mit Pfiffen und Protestrufen unterbrochen, Wasserflaschen flogen durch die Luft und durchtränkten den rechtspopulistischen Politiker und seine Begleitung.

Bereits im Vorfeld ließen Banner und Transparente wissen: „Salvini unerwünscht“, „Salvini: Hau ab“ und „Wir brauchen dich hier nicht“. Die Botschaft war eindeutig – der Wahlkampfzug der Lega in den Süden war zumindest hier an der Küste kein Triumphmarsch. Eine zweite Veranstaltung am selben Tag sagte der Lega-Chef ab. Über soziale Medien wie auch über Presse, Funk und Fernsehen klagte Matteo Salvini die „üblichen Beschuldigten“ an: Linke wie Sozialeinrichtungen seien generell gegen ihn und seine Politik und würden sogar „illegale Methoden“ nicht scheuen, um seine Auftritte zu stören.

Salvini versprach seinen Anhängern in der Region jedoch, wiederzukommen und der Lega auch in Kampanien zum Sieg zu verhelfen. Ob das gelingen wird, ist noch zweifelhaft. Zwar liegt die Rechtspartei in der gesamtnationalen Wählergunst mit 26 Prozent noch überraschend vorn, doch von Woche zu Woche sinken die Sympathiezahlen. Hingegen wächst die Zustimmung zur Sozialdemokratie inzwischen auf 20 Prozent.

Kein Rezept für soziale Brennpunkte

Noch vor wenigen Jahren beschimpfte Salvini – wie auch alle Lega-Spitzen vor ihm – die Menschen des italienischen Südens als „faule Terroni“. Die würden nur Sozialleistungen aus dem industriellen Norden abschöpfen, selbst hingegen nichts zum italienischen Bruttoinlandsprodukt beitragen. Industriell ist der Mezzogiorno in der Tat unterentwickelt.

Jede Regierung in Rom kündigte von jeher zwar an, die südlichen Regionen entwickeln zu wollen, doch bislang wurde keiner dieser Pläne umgesetzt oder flossen die Gelder für die wirtschaftliche Entwicklung des Südens in dunkle Kanäle, häufig in die des organisierten Verbrechens. Die Mafias von Camorra bis ’Ndrangheta beherrschen die dort ansässige Landwirtschaft. Vom Anbau von Obst und Gemüse über den Transport bis hin zur Vermarktung: Die Clans bestimmen die Löhne der Landarbeiter, sie holen legale und illegale Saisonkräfte ins Land.

So eben auch in Mondragone. Dort werden bulgarische Landarbeiter, aber auch Ukrainer und Rumänen zur Ernte von Tomaten, Bohnen und Melonen der Region angeheuert. Nahezu jeder Erntearbeiter, so die Einschätzung der Gewerkschaft CGIL, kommt aus Osteuropa. Italiener sind nicht bereit, für die Hungerlöhne auf die Felder zu gehen.

Nun jedoch hat die Corona-Epidemie die ohnehin schon dramatischen Zustände ans Licht der Öffentlichkeit gebracht: In den Wohnquartieren der Bulgaren, einer desolaten Hochhaussiedlung aus den vergangenen Siebzigerjahren, hat sich ein Corona-Hotspot entwickelt, innerhalb eines Tages wurden 43 Fälle gemeldet. Der Gouverneur von Kampanien, Vincenzo De Luca (Partito democratico, PD), sah sich veranlasst, das Quartier zur „roten Zone“ zu erklären.

Militante Proteste der Bulgaren, die nun nicht auf die Felder zur Arbeit konnten, folgten ebenso wie Auseinandersetzungen mit den dort ansässigen Italienern, die den Gastarbeitern die Schuld am Ausbruch der Krankheit gaben. Polizei und Militär mussten einschreiten. Und gerade diesen Moment wollte Matteo Salvini ausnutzen, um den sozialdemokratischen Amtsinhaber für die im September bevorstehenden Wahlen herauszufordern.

Corona-Ausbruch bei bulgarischen Landarbeitern

Was wolle Salvini wirklich in Mondragone? Diese Frage stellte in einer wütenden Kritik der Anti-Mafia-Schriftsteller Roberto Saviano. Etwa an der Tür eines Bulgaren klingeln und fragen: Sind Sie Corona-positiv? Ähnlich hatte er vor Monaten einen in Italien lebenden Tunesier befragt, ob er Drogenhändler sei …

Salvinis Besuch in Kampanien sei eine Verhöhnung der Zustände. Das Virus verbreitet sich gleichermaßen unter zu eng arbeitenden Industriearbeitern wie auch unter den modernen Sklaven, die für zwei Euro Stundenlohn auf den Feldern schuften müssen und dann – um überhaupt noch Geld für sich übrig zu behalten – unter zu engen und katastrophalen Bedingungen unterkommen. Ähnliche Bilder kennt man aus der deutschen Fleischindustrie.

Die aktuellen Spannungen in dem kampanischen Küstenort werden derzeit wohl so lange anhalten, wie die Epidemie bedingten Sperren aufrechterhalten bleiben. Die Lage insgesamt wird sich jedoch nur bessern, wenn Arbeits- und Menschenrechte in der Region respektiert werden. Das jedoch gelingt nur durch Eindämmen der Macht der Clans. Ob dafür ausgerechnet Salvinis Lega die richtige Partei ist, ist eher zweifelhaft – als Innenminister hat Matteo Salvini jedenfalls keine großen Aktivitäten gegen die organisierte Kriminalität Italiens unternommen.