Gesundheitsberufe„Moralische Verpflichtung“: Zwei Physiotherapeuten über ihre Arbeit in der Krise

Gesundheitsberufe / „Moralische Verpflichtung“: Zwei Physiotherapeuten über ihre Arbeit in der Krise
Maurice Goebel (r.) und sein junger Kollege Cédric Vieira Laranjeira  Foto: René Hoffmann

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Maurice Goebel (50) und Cédric Vieira Laranjeira (27) sind Physiotherapeuten aus Leidenschaft. Für sie steht der Patient immer im Mittelpunkt, auch in Krisenzeiten. Sie erzählen uns, wie sie die letzten drei Monate erlebt haben.

Cédric Vieira Laranjeira ist portugiesischer Staatsbürger, wurde in Belgien geboren und hat dort bisher sein ganzes  Leben verbracht. Der 27-Jährige studierte Physiotherapie in Lüttich und arbeitete dann in einem medizinischen Zentrum in der Nähe der „Cité ardente“. Bei einer Weiterbildung traf er auf Maurice Goebel. Der gebürtige Belgier betreibt eine Physiotherapiepraxis in Pratz. Beide Männer verstanden sich auf Anhieb gut und beschlossen vor einiger Zeit, Partner zu werden. Seit August 2019 arbeitet Cédric Vieira Laranjeira nun ebenfalls in Pratz. „Ich bereue meine Entscheidung, in Luxemburg zu arbeiten, nicht. Die Weltoffenheit und das Multikulti hier sind toll. Der lange Anfahrtsweg stört mich nicht“, so der junge Mann. 

Während des Lockdowns blieb Cédric jedoch zu Hause in Belgien. „Ich behandele eher nicht akute und chronische Fälle. Ich hätte die Erlaubnis gehabt, in Luxemburg weiterzuarbeiten. Es ergab aber keinen Sinn, den langen Weg nach Luxemburg auf mich zu nehmen, nur um ein oder zwei Patienten zu betreuen. Außerdem bin ich gerade dabei, ein Haus in Belgien zu renovieren. Ich hatte also genug zu tun.“ Bis das neue Zuhause bezugsfertig ist, lebt er bei seinen Eltern. Dort zog im März seine Großmutter ein. „Da sie eine Risikopatientin ist, mussten wir alle extrem aufpassen, dass ihr nichts passiert. Das war nicht einfach. Wenn ich gearbeitet hätte, wäre es noch schwieriger gewesen“, so der Enkel. Der junge Physiotherapeut hatte sich am Anfang des Lockdowns hierzulande in die Reserveliste der Gesundheitsberufe eingetragen. Wären „Kinés“ gebraucht worden, wäre er sofort in die Bresche gesprungen. „Es wurden aber nur wenige von uns benötigt.“ Alle Personen, die auf der Liste standen, erhielten eine finanzielle Entschädigung. In den zwei Monaten des Lockdowns hatte Cédric insgesamt 4.000 Euro netto zur Verfügung. „Da ich keine außergewöhnlichen Ausgaben habe, reichte es, aber wenn man Leasingkosten für medizinisches Material hat und Miete für die Praxis zahlen muss, wird es eng.“ Der 27-Jährige erinnert daran, dass die unabhängigen Berufe und die Gesundheitsberufe kein Anrecht auf Kurzarbeit hatten.

Notfall, oder nicht?

Während seiner „Auszeit“ stand Cédric in permanentem Kontakt mit seinem Geschäftspartner. Maurice Goebel stammt aus Gouvy (B), ist verheiratet, Vater von vier Söhnen und seit 2004 Physiotherapeut. Seine Ausbildung absolvierte er im belgischen Libramont. Seit 2007 arbeitet er in Luxemburg und seit 2010 betreibt er eine eigene Praxis. Neben seiner Aktivität als Physiotherapeut ist er als Systemcoach tätig. Zwischen 2012 und 2015 war Goebel zudem Pflegedirektor im „Parc du 3e âge“ in Bartringen. Vor ein paar Jahren eröffnete er seine Praxis in Pratz.

Im Lockdown arbeitete Goebel weiter. „Es war für mich eine moralische Verpflichtung, weiterzumachen“, so Goebel. Er durfte jedoch quasi nur Notfälle behandeln. „Die Kommunikation der ALK („Association luxembourgeoise des kinésithérapeutes“) ließ aber zu wünschen übrig“, moniert der 50-Jährige. Vieles sei unklar gewesen. „Es wurde zum Beispiel von Notfällen gesprochen. Letzten Endes ist es aber der Arzt, der entscheidet, was ein Notfall ist und was nicht. Dieser stellt dann ein Rezept aus, nicht der Physiotherapeut“, sagt Goebel. Auch mussten Patienten nach einem chirurgischen Eingriff behandelt werden. Auf der einen Seite riet die ALK, die Anzahl der Patienten aus Sicherheitsgründen drastisch zu reduzieren, auf der anderen Seite stellte das Gesundheitsministerium den Physiotherapeuten aber viel Material zur Verfügung, um Patienten betreuen zu können. Das sei irgendwie unlogisch gewesen. Etwa die Hälfte der Kunden, vor allem jene, bei welchen keine Dringlichkeit bestand, hatten in den ersten Tagen nach dem Lockdown ihre Termine abgesagt. Das verschaffte den Physiotherapeuten Zeit, sich um die akuten Fälle zu kümmern. Maurice Goebel hatte in diesem Zusammenhang den Ärzten aus der Region mitgeteilt, dass er verfügbar sei. Die Mediziner wussten das zu schätzen und schickten ihm viele ihrer Patienten. „Es gab genug zu tun. Das Motto lautete: Krankenhausaufenthalte vermeiden“, so Goebel. 

Eine Frage des Vertrauens

Bei der Behandlung der Patienten wurde minutiös auf die Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen geachtet. Masken, Schutzbrillen, Handschuhe, Desinfektionsmittel, sogar Schutzkittel seien ihm zur Verfügung gestellt worden, sagt Goebel. Nach jedem Patienten sei das Behandlungszimmer gelüftet und einer gründlichen Reinigung unterzogen worden. Während des Lockdowns behandelte Goebel bis zu acht Patienten am Tag. In normalen Zeiten seien es etwa 20. „Hausbesuche allerdings waren nur bei Patienten möglich, die vollstes Vertrauen in mich hatten, denn viele waren Risikopatienten.“ 

Schade finden es beide Physiotherapeuten, dass in dieser Phase die Video-Konsultationen nicht weiter gefördert wurden. „In Frankreich und Belgien war das der Fall. Korrekturen der Haltung, Rehamaßnahmen oder Gesundheitsratschläge hätten auf diese Weise auch hier thematisiert werden können“, sagt Cédric. An Arbeit fehlt es den zwei „Kinés“ definitiv nicht, denn beide betreuen die Fußballmannschaften von Préizerdaul/Redingen und Useldingen. Cédric ist zudem Masseur des belgischen Nachwuchshandballteams. Und Zukunftsprojekte haben beide auch noch: In der nahegelegenen rue de la Grotte in Pratz wollen sie demnächst ein Zentrum für Sportphysiotherapie und Sportrehabilitation eröffnen. Hier wird dann ein Osteopath das Zweierteam verstärken. Das gebe es in der Region noch nicht.