Kopf des TagesVera Lynn: Trösterin der britischen Kriegsgeneration

Kopf des Tages / Vera Lynn: Trösterin der britischen Kriegsgeneration
 Foto: AFP

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Radiostar Vera Lynn gestorben

Honigsüß sang Vera Lynn gegen das Heimweh und die Albträume der britischen Soldaten im Grauen des Zweiten Weltkriegs an. Eine ganze Generation fand sich in ihren sentimentalen Liedern wieder. Nun ist sie im Alter von 103 Jahren gestorben.

Ab 1941 moderierte die Klempnertochter das nächtliche BBC-Radioprogramm „Sincerely Yours“ und verlas Nachrichten von Familien und Freundinnen an die Soldaten in der Ferne: „Für unsere Männer in Uniform, von dem Mädel daheim, ein persönlicher Brief in Worten und Musik“ war das Motto. Ihre Stimme machte Hoffnung auf ein Ende der Kriegsschrecken. „We’ll meet again“ („Wir werden uns wiedersehen“) wurde zum populärsten Song der Show.

Der Radiostar verkörperte das pflichtbewusste nette Mädchen mit breitem Lächeln und vernünftigen Klamotten, mit dem sich auch die Frauen an der Heimatfront identifizieren konnten: Sie warteten auf ihre Männer, arbeiteten in den Munitionsfabriken, trotzten Hunger und deutschen Bombenangriffen.

Die Show brachte ihr nicht nur den Titel „Sweetheart»“ der Truppen, sondern auch viel Geld ein: Bereits nach einem Jahr verkaufte sie mehr Platten als der amerikanische Superstar Bing Crosby.

Geboren am 20. März 1917 während des Ersten Weltkriegs im Londoner East End, sang sie schon mit sieben Jahren in Freizeitclubs für Arbeiter. In den wilden 1930ern nahm sie mit bekannten Bigbands erste Songs auf. Der Zweite Weltkrieg wurde zum Sprungbrett für ihre Karriere: Sie wurde zum Superstar. Der britische Komiker und Kriegsveteran Harry Secombe sagte nur halb im Scherz über sie: „Nicht Churchill hat die Nazis geschlagen. Vera sang sie zu Tode.“

Wie eine britische Marlene Dietrich reiste sie in die entlegensten Kriegsgebiete. Allein 1944 verbrachte sie drei harte Monate im burmesischen Dschungel, wo Briten gegen Japaner kämpften, während in Europa der Krieg tobte. Damit verdiente sie sich den Respekt „ihrer Jungs“ – bis zu ihrem Tode hielt sie die Verbindung mit den Veteranen dieser „vergessenen Armee“ aufrecht. Noch Jahre nach dem Krieg erzählte sie, wie der faulige Geruch von Wundbrand sie immer noch verfolgte.

1941 heiratete sie den Musiker Harry Lewis; sie waren fast 60 Jahre lang ein Paar. Nach Kriegsende verließ sie die Bühne, um ihre Tochter Virginia aufzuziehen. Doch schon wenige Jahre später inszenierte sie ihr Comeback mit „Auf Wiederseh’n Sweetheart“ und schaffte es damit 1951 als erste Britin an die Spitze der amerikanischen Hitparaden.

In den 60ern und 70ern erhielt sie mehrere Auszeichnungen der Queen, und durfte sich fortan „Dame“ nennen. Doch ihr nostalgisches Repertoire wurde zur künstlerischen Zwangsjacke, der sie zeitlebens nicht mehr entkam. Dem Telegraph sagte sie: „Ich wollte nie eine Judy Garland oder so etwas sein, und nie die Art ändern, wie ich sang.“ Bis 1992 tourte Dame Vera Lynn in Deutschland, Australien, den USA; dann wurden ihr die Reisen zu beschwerlich.

Noch mit 97 Jahren brachte der ehemalige Superstar eine Platte heraus und schaffte es prompt in die britischen Top 20 Charts – weltrekordverdächtig. Anlässlich ihres 100. Geburtstags erschien „Vera Lynn 100“, eine Sammlung ihrer größten Hits, mit Originalaufnahmen ihrer Stimme und neuer Orchesterbegleitung. „Ich hoffe, es verliert dadurch nicht an Gefühl“, sagte sie der BBC. „Die jungen Leute finden es wahrscheinlich ziemlich zahm, aber für uns war es aufregend und bedeutsam.“ Sie singe nicht einmal mehr daheim, verriet sie lachend: „Besser, ich erinnere mich an meine Stimme, wie sie mal war!“ (dpa)