UngarnTräume von Großungarn: Wie Orban sich mit altem Trauma neue Stimmen sichert

Ungarn / Träume von Großungarn: Wie Orban sich mit altem Trauma neue Stimmen sichert
Budapest am 4. Juni 2016: Ungarische rechtsextreme Nationalisten demonstrieren zum Andenken an Großungarn, das Reich vor dem Vertrag von Trianon von 1920. Der Mann auf dem Foto hat sich die Karte Großungarns auf den Rücken tätowieren lassen. Foto: Patrick Galbats

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Orban hält sich auch dank des Trianon-Traumas und seiner Großungarn-Träumereien an der Macht. Ungarische Minderheiten in Rumänien, Slowakei und Ukraine gelten ihm als Stimmenreservoir. Jetzt wurden 100 Jahre des Vertrages begangen – damals hat Ungarn zwei Drittel seines Staatsgebietes verloren.

Die 100 Meter lange Rampe führt nach unten zum ewigen Feuer, sie führt nicht bergan. Das ist symbolisch, denn das fast 15 Millionen Euro teure Budapester Trianon-Denkmal gilt im ungarischen Verständnis einer nationalen Tragödie. Es wurde zum 100. Jahrestag des Vertrags im Versailler „Grand Palace de Trianon“ errichtet, der das Ende des Ersten Weltkrieges für das bisherige Doppel-Königreich Österreich-Ungarn besiegelte. Ungarn verlor dabei zwei Drittel seines bisherigen Gebietes an die neu erstandenen Staatenbünde Tschechoslowakei und Jugoslawien und Rumänien sowie etwas Land an die neue Republik Österreich.

Die Gedenkfeiern daran waren von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban groß angelegt worden, doch am Donnerstag wurde wegen der Corona-Pandemie nicht einmal das neue Trianon-Denkmal eingeweiht. Einzig das Parlament hielt eine Sondersession ab. Dort wurde der den Kriegsverlierern von den Achsenmächten diktierte Friedensvertrag als „ungerecht“ bezeichnet und die oft verletzten Minderheitenrechte der Ungarn in den heutigen Nachbarländern kritisiert. Die Abgeordneten der Regierungspartei Fidesz folgten dabei Orbans Diktion von 2019. „Der Trianon-Vertrag war ungerecht und bleibt ungerecht bis in alle Ewigkeit“, sagte Orban damals. „Wunden können heilen, Amputationen nicht“, klagte er.

In den Tagen vor der abgesagten Gedenkfeier hatte Orban sich wieder einmal betont nationalistisch gegeben, als er in einem Interview mit Radio Kossuth meinte: „Wenn ich also die Regierungsarbeit verrichte, möchte ich als Endziel erreichen, dass jeder Ungar das Gefühl haben soll, dass wir zusammengehören, wir eine Nation sind, und dass dies eine große Nation ist. Deshalb können wir stolz darauf sein, dass wir Ungarn sind.“

Der schmale Grat zum Revisionismus

In der Aussage schwingt das für Orban typische Gemisch zwischen Nationalismus, Opfermythos und Integration mit jenen Nachbarländern mit, die vor 1920 zum Königreich Ungarn gehörten. So hat sich Orbans Fidesz-Partei zum Fürsprecher so ziemlich aller ungarischer Minderheitenparteien in der heutigen Slowakei, Rumäniens, Serbiens, Sloweniens, Kroatiens und auch der Ukraine gemacht. Letztere zählt im südwest-ukrainischen Oblast (Gebiet) Transkarpatien seit der Einverleibung der Ost-Tschechoslowakei in die Sowjetunion von 1945 eine starke ungarische Minderheit, die seit Orbans Wahlsieg 2010 immer wieder für Irritationen auf der Linie Kiew-Budapest sorgt.

Insgesamt leben heute rund drei Millionen Ungarn in den Nachbarländern. Ihnen allen hat Orban bereits 2010 eine erleichterte Einbürgerung angeboten. Vor allem die Ungarn im heute zu Rumänien gehörenden Transsilvanien gelten als wichtiges Wählerreservoir für den national-konservativen Fidesz. Dies wird jedes Mal am ungarischen Nationalfeiertag vom 15. März deutlich, wenn die Volkstrachten tragenden Minderheitenverbände mit ihren Regionalflaggen aus Siebenbürgen (Transsilvanien), der Wojwodina (heute Serbien) und Transkarpatien (heute Ukraine) vor dem Budapester Parlament eifrig Orbans Kampfreden gegen EU, Georges Soros und andere angebliche Feinde des christlichen Abendlandes lauschen.

Mit einigen vor allem ebenso autoritär regierten Nachbarländern wie etwa Serbien pflegt Orban inzwischen ein inniges Verhältnis, mit anderen sind die Beziehungen gerade wegen der oft vom Fidesz aufgestachelten ungarischen Minderheit allerdings sehr angespannt. Wobei Orban auf einem schmalen Grat zwischen Sorge um Minderheiten und Revisionismus geht, ohne in Letzteren abzudriften.

Auch ein Facebook-Post im Mai, das Großungarn bis zur Adria zeigte, war von Orban durchaus zweideutig gehalten. Es sollte an die einstige Größe Ungarns gemahnen, diese aber nicht für heute zurückfordern. Dennoch sprachen die Präsidenten Sloweniens und Kroatiens sofort von einer „Provokation“. „In unseren Archiven finden sich auch unzählige Karten, die Kroatien größer als heute zeigen“, postete der kroatische Präsident Zoran Milanovic seinen Landsleuten zu. „Aber teilt sie nicht und setzt sie auch nicht auf euer Facebook-Profil: Sie sind nicht mehr aktuell – und sorgen nur für endlose Irritationen der Nachbarn“, ermahnte Milanovic.

Weit ruppiger geht es indes zwischen Bukarest und Budapest zu. Im Vorjahr hatte der eigentlich als besonnen geltende rumänische Präsident Klaus Johannis Alarm geschlagen, die damals regierenden Post-Kommunisten würden die heimliche Abtretung Transsilvaniens an Ungarn planen. Ein Gesetz, das den Ungarn in Siebenbürgern eine gewisse Autonomie gewährt hätte, scheiterte danach prompt im Parlament, was natürlich wieder neues Wasser auf Orbans Mühlen leitete.

Rumäniens Nationalisten zündeln mit

Am Donnerstag nun hat Rumänien den Jahrestag des Friedensvertrags von Trianon vom 4. Juni 1920 erstmals als nationaler Feiertag begangen. Gefeiert wurde dabei von Bukarest bis Timisoara der Tag der Einverleibung Siebenbürgens zu Rumänien. Dies alleine ist für Budapest natürlich eine Provokation. Doch Nationalisten auf beiden Seiten liegt offenbar am Hochschaukeln der Konflikte, zumal in Rumänien Ende des Jahres wieder einmal ein neues Parlament gewählt wird.

Hoffnungsfrohe Zeichen der Entspannung sind dagegen zwischen Kiew und Budapest zu vermelden. Vor Wochenfrist reiste der neue ukrainische Außenminister Dmirto Kuleba auf seiner ersten Post-Corona-Reise zu seinem ungarischen Amtskollegen Peter Szijjarto nach Budapest.

„Es ist Zeit, ein neues Kapitel bilateraler Beziehungen aufzuschlagen und gute Lösungen für beide Seiten zu finden“, sagte Kuleba und stellte den Ungarn indirekt eine Revision des umstrittenen Bildungsgesetzes in Aussicht. Das Gesetz aus Zeiten von Ex-Staatspräsident Petro Poroschenko beschneidet Minderheitenrechte in Bildungsfragen und hatte den sich gerne pro-russisch gebenden Orban bisher dazu verleitet, eine weitere Annäherung der Ukraine an die NATO mit einem ungarischen Veto zu blockieren. 

Das Foto, der Fotograf

Der Fotograf, Patrick Galbats, lebt zwischen Luxemburg und Brüssel. Zusammen mit dem Düdelinger CNA veröffentlichte er 2018 seine Arbeit „Hit Me One More Time“ im gleichnamigen Buch bei Pepperoni Books in Berlin. Mit seinen Bildern schildert er seine Eindrücke aus dem Land, das sein Großvater am Ende des Zweiten Weltkriegs verlassen musste. Die politische Situation in Ungarn und der Bau eines neuen Grenzzauns haben ihn ab 2015 dazu bewegt, eine Arbeit über den Nationalismus und dessen Auswirkung auf die Landschaft und die dortigen Menschen zu schreiben.
Für Bestellungen: www.patrickgalbats.com.

Vonner
7. Juni 2020 - 16.03

Minderheitsrechte ist ein heikles Thema für Brüssel, und damit möglichst zu vermeiden. Dafür ist scheinheilige blabla über Menschenrechte in Drittstaaten irgendwo in der Welt jede Menge da. Ungarische Minderheit dürfte in Rumänien zuvor gewissene begrenzte Autonomie haben, jetzt aber nicht. Schlimmer in EU, als in der kommunistischen Zeit war.

HTK
7. Juni 2020 - 11.02

Ach wären diese Glatzköpfe 1940-45 doch nur dabei gewesen. Oder wären sie des Lesens mächtig und könnten sich in Geschichte bilden.