Minimalistisches LebenTammy Schuh lädt zum Besuch in ihrem Tiny House ein

Minimalistisches Leben / Tammy Schuh lädt zum Besuch in ihrem Tiny House ein
Mit wesentlich mehr Platz als erwartet zeigt sich das Tiny House von Tammy Schuh auf dem Camping „Fuussekaul“ in Heiderscheid Foto: Editpress/Julien Garroy

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Vor genau drei Wochen durfte die Biologin Tammy Schuh zum ersten Mal in ihrem neuen Haus auf dem Heiderscheider Camping „Fuussekaul“ schlafen. Das Tiny House ist aktuell noch eine wahre Rarität im Großherzogtum, denn bislang gibt es für die alternative Wohnform in Luxemburg keine legale Basis. Doch das Leben im Miniaturformat zieht immer mehr Menschen in seinen Bann, deshalb hat es sich die 28-Jährige zur Aufgabe gemacht, mithilfe ihres Instagram-Accounts über Minimalismus, Nachhaltigkeit und „Tiny Living“ zu informieren.

Ein bisschen wie eine Mini-Ausgabe von „MTV Cribs“ – der Reality-TV-Show, bei der Anfang der 2000er Stars und Sternchen dem Fernsehpublikum ihr Zuhause präsentierten – fühlt sich der Besuch in Tammy Schuhs kleinem Reich in Heiderscheid an. Seit dem 13. Mai hat die 28-Jährige ihr Lager auf dem Camping „Fuussekaul“ aufgeschlagen, am vergangenen Freitag zog auch Katze Simba bei ihr ein. Das Spezielle: Tammys Haus ist ein sogenanntes Tiny House, also ein Gebäude mit nur wenig Wohnfläche. Winzig ist das mobile Zuhause der gelernten Meeresbiologin allerdings nicht, im Gegenteil: Auf den rund 45 Quadratmetern ist genauso viel Platz wie in jedem herkömmlichen Studio auch. Der einzige wahre Unterschied ist wohl nur der Preis, wie Tammy verrät: „Im Durchschnitt bekommt man Tiny Houses für 20.000 bis 200.000 Euro, meines hat insgesamt um die 150.000 gekostet und ist damit deutlich billiger als jede Wohnung derselben Größe in Luxemburg.“

Neben den offensichtlichen finanziellen Vorteilen – zu dem Budget für das Haus an sich kommen nur etwa 2.000 bis 3.000 Euro Miete für den Campingstandplatz plus Nebenkosten pro Jahr hinzu – ist es aber vor allem der Gedanke eines auf das Wesentliche reduzierten, umweltfreundlichen Lebens, der die Wahl für diese ungewöhnliche Wohnform bestärkt hat. „Alles geht Hand in Hand mit Minimalismus, Vegan-sein und einem generell umweltbewussten Lifestyle, für den ich mich entschieden habe“, erklärt die 28-Jährige. Wie genau sie auf die Idee kam, weiß Tammy nicht mehr so wirklich. An ihre erste Übernachtung in einem Tiny House kann sie sich allerdings noch gut erinnern: „Das war in einem AirBnB in Utah in Amerika. Das Haus war ein gutes Stück kleiner als meines jetzt und mir war sofort klar, dass ich so eines auf keinen Fall haben möchte, da es doch ziemlich unpraktisch für den Alltag war.“

Wie ein mobiler Wohnwagen

Ihr Traumhäuschen auf Rädern hat Tammy schließlich bei der Firma „Timbercraft Tiny Homes“ aus Alabama gefunden. Im Februar letzten Jahres durften die Luxemburgerin und ihr damaliger Partner die Kreationen des Familienunternehmens zum ersten Mal besichtigen, ab da gab es für sie kein Zurück mehr. „Timbercraft ist in der Tiny House Community bekannt und qualitativ sehr hochwertig im Vergleich zu anderen Herstellern. Es wird nicht mit Sperrholz gearbeitet, sondern mit Materialien, die auch lange halten. Das war uns besonders wichtig“, so die 28-Jährige. Vor ihrer Rückkehr nach Luxemburg hat Tammy in Australien gelebt und auch nach Abschluss des Studiums zog es die junge Biologin hinaus in die Welt. Ob sie denn nun sesshaft geworden ist, beantwortet Tammy so: „Ein Tiny House kann man ja zu quasi jedem Moment einfach aufladen und damit irgendwo hinfahren. Fürs Erste bleibe ich aber jetzt mal hier in der ,Fuussekaul‘.“

Auch bei der Deko liebt es Tammy eher minimalistisch und setzt auf vereinzelte Pflanzen statt vollgestopften Regalen
Auch bei der Deko liebt es Tammy eher minimalistisch und setzt auf vereinzelte Pflanzen statt vollgestopften Regalen Foto: Editpress/Julien Garroy

Apropos Camping gibt es eine längere Vorgeschichte, denn den richtigen Standort für ihr mobiles Zuhause zu finden, war im Großherzogtum gar nicht so einfach: „Wir haben in den verschiedenen Gemeinden nach einem Bauterrain geschaut. Viele wussten allerdings überhaupt nicht, was ein Tiny House ist, geschweige denn wie man die Genehmigungen für dieses handhaben soll.“ Im Gesetz verankert sind keine Informationen zu den Mini-Wohnungen, juristisch gesehen zählt ein Tiny House zur selben Kategorie wie ein Wohnwagen oder Campingbus und darf so nur einige Monate im Jahr bewohnt werden. „Die einzigen Campingplätze, die das ganze Jahr über geöffnet haben, sind die ‚Fuussekaul‘ und der auf dem Galgenberg in Esch. Einige andere Gemeinden waren zwar auch damit einverstanden, ein Tiny House bei sich aufzunehmen, dort waren die Preise für Grundstücke allerdings viel zu teuer. Andere akzeptieren generell nichts als Haus, was kleiner als 75 Quadratmeter ist, sodass die Wahl für Heiderscheid schnell getroffen war“, erklärt die 28-Jährige.

Koordination zwischen zwei Ländern

Zwischen den Wohnwagen im Naturpark Obersauer fällt das Häuschen nicht weiter auf, denn hier gibt es Behausungen aller Formen und Größen. Direkt neben Tammy hat mittlerweile ebenfalls ein zweites Tiny House seinen Platz gefunden, bislang steht dieses jedoch noch leer. Der Look jedes Mini-Hauses ist dabei einzigartig, wie Tammy verrät: „Die Optik und Inneneinrichtung wurde zusammen mit der Firma individuell gestaltet, wobei es viel Koordination bedurfte, um alles an die europäischen Standards anzupassen.“ Versteckte Stauräume in den Treppenstufen, Rohre aus Amerika, Kabel aus Europa, auf Maß geschneiderte Schränke für Spülmaschine, Kühlschrank und Co. – damit am Ende auch alles klappt, musste zusammengearbeitet werden. Der Transport nach Luxemburg gestaltete sich etwas kniffliger als gedacht. Vom Hafen in Florida aus ging es per Schiff nach Antwerpen, dort fehlte allerdings der richtige Anhänger, um das Tiny House zu bewegen. „Das Ganze hat nicht auf den Lastwagen gepasst, sodass ein längerer aus Paris hergeholt werden musste.“

Nach einigen Strapazen schaffte das Tiny House dann endlich den Weg zu seinem neuen Stellplatz. Das Resultat fast zweijähriger Arbeit ist ein Trailer von 12 Metern Länge, 2,80 Metern Breite im Inneren und einer Höhe von 3,99 Metern. „Alles ab 4 Metern Höhe gilt als ‚transport exceptionnel’ und kostet extra“, so Tammy etwas verschmitzt. Die insgesamt 27 Fenster, die ihr mobiles Zuhause den ganzen Tag über in Licht tauchen, will die Camperin noch per Alarmanlage sichern lassen und auch auf warmes Wasser wartet sie derzeit noch: „Ich fahre jetzt halt zum Duschen nach Hause zu meinen Eltern.“ Zimperlich ist die 28-Jährige nicht, sonst hätte sie den alternativen Lebensstil auch nicht gewählt: „Mich schreiben sehr viele Leute auf meiner Tiny-House-Instagram-Seite an und ich sage immer, dass man das Leben in einem solchen Zuhause erst testen soll, denn es ist nicht etwas für jeden.“ 

Leben im Mini-Format

Denn „Tiny Living“ hat auch seine Nachteile, wie Tammy verrät: „Anders als bei Immobilien steigt der Wert eines Tiny House nicht über die Jahre. Man steckt also nur Geld hinein und bekommt nachher nichts heraus, dessen muss man sich bewusst sein.“ Und auch beim Thema Strom gibt es Tücken, denn dieser ist bei Wohnmobilen doppelt so teuer wie herkömmliche Elektrizität in normalen Häusern. „Dafür verbraucht ein Tiny House aber wesentlich weniger, sodass sich das normalerweise wieder ausgleicht“, so die 28-Jährige. Die größte Hürde befindet sich allerdings auf offizieller Seite und in den Augen der Gesellschaft: „In Amerika, wo das Leben im Trailerpark ganz normal ist, gibt es immer noch Staaten, in denen man keine Tiny Houses aufrichten darf. Hier befindet man sich noch in einer Grauzone, eine legale Basis gibt es bis dato nicht.“ Doch Tammy ist sich sicher, dass künftig immer mehr auf alternative Wohnformen zurückgegriffen werden wird. Bis es allerdings so weit ist, bleibt sie bei ihren Eltern angemeldet und nutzt ihr Tiny House wie ein Wochenendhäuschen.

Um die Räumlichkeiten ihres neuen Heims hell und gemütlich zu gestalten, hat Tammy insgesamt 27 Fenster einbauen lassen
Um die Räumlichkeiten ihres neuen Heims hell und gemütlich zu gestalten, hat Tammy insgesamt 27 Fenster einbauen lassen Foto: Editpress/Julien Garroy

Zu Hause fühlt sie sich in ihren 45 Quadratmetern aber jetzt schon. „Der Vorteil ist, dass ich hier fast genauso viel Stauraum besitze wie in einer anderen Wohnung auch. Nur bei der Deko halte ich es eher minimalistisch. Das ist simpler fürs Auge und ich mag es generell nicht, wenn viel herumsteht. Deshalb besitze ich Teller, Gläser und Geschirr immer nur sechsmal. Wenn mehr Leute zu Besuch kommen, müssen sie halt ihr eigenes Besteck mitbringen“, meint die 28-Jährige lachend. Um sich ihre kleine Oase noch gemütlicher zu gestalten, steht demnächst der Bau einer Terrasse mit Garten auf dem Programm. Und ein Komposthaufen, denn auch hier gilt die Devise: je nachhaltiger, desto besser. „Meine Toilette ist ebenfalls ein Kompost-WC, bei dem Flüssiges und Festes getrennt werden und sich schon im Behälter zersetzen.“

Eine Plattform für andere

Über Nachhaltigkeit und die Tiny-House-Bewegung will Tammy auch ihre Mitmenschen informieren, weshalb sie zu Beginn ihrer eigenen Mini-Haus-Reise zusammen mit ihrem damaligen Partner den Instagram-Account  „Tiny Living Luxembourg“ gestartet hat. „Ich höre selbst sehr viele Podcasts zu diesen Themen und will anderen einen Anhaltspunkt geben, falls sie dazu Fragen haben.“ Interesse an den kleinen Heimen gibt es mittlerweile nämlich auch in Luxemburg zur Genüge, wie die Gründung der „Tiny House Community Luxembourg“ vor knapp drei Jahren zeigt. Immer mehr Menschen sind auf der Suche nach Alternativen, denn leben im Großherzogtum ist bekannterweise nichts für Sparfüchse. „Viele können sich ein teures Grundstück nicht leisten oder sind nicht gewollt, 40 Jahre ihres Lebens ein Darlehen zurückzuzahlen. Und diese Rechnung geht auch nur dann auf, wenn dazwischen nichts schiefläuft“, meint Tammy. Mit ihrem Tiny House hat die 28-Jährige einen Kompromiss gefunden, der zu ihrer Lebensphilosophie passt. Denn „tiny“ bedeutet zwar winzig, Platz für das Gefühl, Zuhause zu sein, ist hier aber allemal.

Die Tiny House Community in Luxemburg

Im vergangenen Januar organisierte das „ministère du Logement“ zusammen mit dem „Luxembourg Center for Architecture“ (LUCA) eine Konferenz zum Thema Tiny Houses, an der ebenfalls Minister Henri Kox („déi gréng“) sowie einige Mitglieder der nationalen Tiny House Community teilnahmen. „Die ‚Commission du logement‘ hat bereits nach unserem Dossier für unser geplantes Tiny-House-Dorf gefragt und auch der Minister war von dem Konzept relativ begeistert. Das Interesse seitens der Politik ist also da, auch wenn diesbezüglich noch nichts geregelt ist“, verrät Nickie Lippert, die selbst plant, mit ihrer Familie in ein Mini-Haus zu ziehen. Aktuell gibt es für die Anschaffung eines Tiny House nur zwei Optionen: es entweder auf ein Privatgrundstück stellen oder, wie im Fall von Tammy, eine Gemeinde finden, die das Projekt unterstützt. In beiden Fällen muss der Trailer an die Adresse eines regulären Gebäudes gekoppelt sein – sich in einer Baut ohne Fundament anmelden geht bis dato nicht. Eine offizielle Stellungnahme des Ministeriums für Wohnungsbau hat die Community bislang noch nicht erhalten, dies liegt aber vor allem daran, dass aktuell nur etwa vier Tiny Houses in Luxemburg bekannt sind und die Anfrage für ein Dorf noch nicht an die Politik weitergeleitet wurde. Was genau als Mini-Haus angesehen wird, erklärt Lippert wie folgt: „Wir haben intern in einem Workshop unsere Richtlinien festgelegt, eine konkrete Definition von Tiny Houses gibt es nämlich nicht. In unseren Augen ist es nicht unbedingt wichtig, ob es auf Rädern steht, sondern es geht viel mehr um die Größe. Alles unter 50 Quadratmetern Wohnfläche sehen wir als Tiny House, ab da sind wir flexibel.“ Egal ob mit oder ohne Schafhaarisolation oder Trockentoilette, solange der ökologische Fußabdruck kleiner ist als bei einem normalen Gebäude, passt das mobile Zuhause ins Schema. Die Gründe für die Wahl, auf reduzierter Fläche zu leben, variieren auch innerhalb der Community: „Quellen zufolge soll die Idee für Tiny Houses in den USA aufgrund der vielen Hurricanes zustande gekommen sein. Die Menschen dort hatten oft kein Geld, um ihre Häuser nach den Stürmen wieder aufzurichten, und die Trailer boten ihnen so eine bezahlbare Alternative.“ Lippert selbst will durch die beim „Tiny Living“ entstehenden Ersparnisse ihre berufliche Tätigkeit reduzieren können, um mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen, andere Tiny-House-Anhänger sind aus ideologischen Gründen gegen einen übermäßigen Konsum oder aber können sich wie im Fall von Amerika kein herkömmliches Zuhause in Luxemburg leisten. „Jeder hat seine Gründe, aber man sieht deutlich, dass auch immer mehr politische Parteien auf alternative Wohnformen setzen. Wir als Gemeinschaft sind nicht der Ansicht, dass Tiny Houses die Lösung für all unsere Probleme sind, aber sie sind definitiv eine von vielen, die helfen können, Fragen zu Wohnraum, Umweltschutz oder Sozialleben zu beantworten“, so Lippert. 

Mangini
16. April 2021 - 14.02

Moien keint ech mat der Madam Schuh a verbindung gesaat gin, ech haett e puer Froen zum Tiny House an D Regelungen am Land Merci

lucilinburhuc
5. Juni 2020 - 12.39

"geplantes Tiny-House-Dorf" mit lauter Happy People die nicht übermässig viele Schulden haben :) Da lässt es sich gut leben und die Nachbarn sind auch netter weil sie einem nicht ständig nerven mit noch grössere Autos und Neid :) Wer weis ist dies der Nährboden auf dem der Spirit der 60/70er Jahren zur Wiedergeburt gelangen?

Collé
5. Juni 2020 - 12.25

Schön geschriebener Artikel tolle Alternative gegenüber unserem teueren Immobilienmarkt.