AnalyseIn Luxemburg steigen die Staatsschulden weiter – in guten wie in schlechten Zeiten

Analyse / In Luxemburg steigen die Staatsschulden weiter – in guten wie in schlechten Zeiten
Luxemburgs Finanzen sind nach wie vor sehr solide – in den vergangenen Jahren haben sie sich jedoch verschlechtert Foto: Editpress/François Aussems

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Aus manchen Fehlern, die während der vergangenen Krisen begangen wurden, hat Europa gelernt. So herrscht heute Einigkeit darüber, dass Staaten aktuell tief in die Tasche greifen müssen. Sparen würde die Konjunktur nur zusätzlich abwürgen und noch mehr Leid schaffen. Die meisten Länder Europas haben die wirtschaftlich besseren Jahre jedoch nicht genutzt, um sich finanziell auf eine neue Krise vorzubereiten. Nun werden die Schulden auf neue Rekordhöhen hochschnellen.

In der Corona-Krise geriet kein Land der Währungsunion in Finanzengpässe. Obwohl beispielsweise Italien heute höher verschuldet ist als Griechenland zu Beginn der Schuldenkrise (im Verhältnis zum BIP), sind die Märkte ruhig geblieben. Europas Zentralbank hat dafür gesorgt. Italien erhält Kredit. Die zu zahlenden Zinssätze sind nicht explodiert.

Aus anderen Erfahrungen wurde jedoch kaum gelernt. Dass das Anhäufen vieler Schulden gefährlich ist, hat in der Geschichte nicht nur die rezente Schuldenkrise gezeigt. Doch Europas Schulden entwickeln sich ungebrochen in nur eine Richtung. In den letzten zehn Jahren (2009-2019) ist die Summe der geliehenen Milliarden um stolze 35 Prozent angestiegen. Verglichen mit vor 20 Jahren haben sich die Schulden mehr als verdoppelt. Das geht aus den Zahlen von Eurostat hervor.

Trotz Hilfsmaßnahmen der Zentralbank (Anleihekäufe und Niedrigzinsumfeld) und einer positiven Weltkonjunktur hatte Ende 2019 kein einziges EU-Land weniger Schulden als vor zehn Jahren. Die Kosten der letzten Krisen (Finanz- und Schuldenkrise; 2008 bis 2011) darf wohl die nächste Generation bezahlen.

Luxemburg zählt nicht zu den guten Schülern

Erst in den letzten fünf Jahren hat eine Minderheit europäischer Staaten damit begonnen, das gute Umfeld zu nutzen, um die eigenen Finanzen wieder fit für kommende Krisen zu machen. So hatten zu Beginn der Corona-Krise nur Deutschland, die Niederlande, Schweden und Dänemark weniger Schulden als Ende 2014.

Vergleicht man 2019 nicht mit 2014, sondern mit dem Vorjahr 2018, dann haben insgesamt neun Länder (darunter auch Österreich) Schulden zurückbezahlt. Die Mehrheit jedoch, 18 Länder, nahmen zusätzliche Schulden auf.

Luxemburg zählt nicht zu den guten Schülern. In den letzten zehn Jahren haben sich die Schulden des Landes mehr als verdoppelt. Seit 2006 haben sie sich vervierfacht. Hintergrund des schnellen Anstiegs waren erst die niedrige Ausgangsbasis (Schuldenstand im Verhältnis zum BIP von rund acht Prozent) und dann die Bankenrettungen. Doch auch in den Jahren nach der Krise wurden in Luxemburg keine Schulden abgebaut. In den letzten fünf Jahren sind die Schulden Luxemburgs um 24 Prozent (auf 14 Milliarden Euro) gewachsen.

In eine Schuldenkrise zu geraten, riskiert Luxemburg dennoch nicht. Die Verschuldungsquote (in Bezug zum BIP) lag auch 2019 immer noch bei gesunden 22,1 Prozent. In der Eurozone waren es im Schnitt deutlich höhere 84,2 Prozent.

Jedoch geht der Trend hierzulande in die falsche Richtung. In der Zeit 2011 bis 2019 ist im Euroraum die Summe der Schulden gestiegen – die Verschuldungsquote jedoch gefallen: von 87,7 Prozent des BIP auf 84,2 Prozent Ende 2019. In Luxemburg sind Schulden und Verschuldungsquote trotz Wirtschaftswachstum gestiegen. Ende 2011 lag die Quote hierzulande erst bei 19 Prozent. Im Jahr 2013 hatte Luxemburg erstmals neue Schulden aufgenommen, um alte Schulden zu refinanzieren.

Bei der Vorstellung der Zahlen von 2019 hob Eurostat hervor, dass im Vergleich zu 2018 vier Mitgliedstaaten einen Anstieg ihrer Verschuldungsquote aufwiesen, während 21 einen Rückgang registrierten und die Quoten in zwei Ländern unverändert blieben. Zu den vier Ländern, bei denen ein Anstieg der Schulden festgestellt wurde, zählte Luxemburg.

Hinzurechnen zur theoretischen Verschuldung von Europas Staaten müssten Analysten ab bald theoretisch auch das gewünschte 750-Milliarden-Paket der EU-Kommission. Diese Summe will Brüssel sich an den Märkten leihen und als Corona-Wiederaufbauhilfen verteilen. Zurückzahlen müssten die Wirtschaften der Mitgliedstaaten in den Jahren 2028 bis 2058. Für Luxemburg könnte das zusätzliche Schulden von schätzungsweise drei Milliarden Euro bedeuten (der Luxemburger Anteil an Europas Wirtschaftsleistung beträgt rund 0,4 Prozent).

Solide Staatsfinanzen lohnen sich

Im Jahr 2020 werden Schulden und Verschuldung nun krisenbedingt weiter in die Höhe springen. Die Regierung hatte sich zu Beginn ihres Mandats zwar vorgenommen, die Verschuldung nicht über die Marke von 30 Prozent des BIP steigen zu lassen. Der Beobachter darf gespannt sein. Milliardenschwere Maßnahmen sind unterwegs. Eine ganze Reihe zusätzlicher Milliarden wird Luxemburg dennoch dieses Jahr wohl an den Finanzmärkten einsammeln.

Ein Anfang wurde bereits im April gemacht: Neue Staatsanleihen im Wert von 2,5 Milliarden Euro wurden verkauft. Dank des Niedrigzinsumfelds und der guten Kreditwürdigkeit des Landes und seines AAA-Ratings wird Luxemburg von den Investoren dafür bezahlt. Der durchschnittliche Zinssatz beträgt -0,035 Prozent. Laufende Kosten verursachen die neuen Schulden damit nur wenig. Trotzdem müssten sie irgendwann zurückgezahlt werden. Länder, die das nicht tun, verlieren früher oder später an Kreditwürdigkeit und müssen dann höhere Zinsen für neue Kredite zahlen.

Wegen seiner niedrigen Verschuldungsquote wird Luxemburg die aktuelle Situation viel einfacher meistern können als andere Länder. Man denke beispielsweise an Italien: Ende 2019 lag die Quote bereits bei 134,9 Prozent des BIP. Wenn die Wirtschaft dieses Jahr schrumpft, steigt der Schuldenberg rein rechnerisch an. Wenn parallel noch Steuereinnahmen wegbrechen und neue Schulden aufgenommen werden, ist eine Quote von 150 Prozent nicht mehr weit entfernt. Ohne EZB und europäische Partner ist eine derartige Verschuldung nicht mehr zu stemmen.

Hoch verschuldet sind auch andere Länder. So hatte beispielsweise Frankreich Ende 2019 eine Staatsverschuldung von 98,4 Prozent im Verhältnis zum BIP erreicht. Belgien lag bei 98,6 Prozent. 84,2 Prozent waren es im Schnitt in der Eurozone. Und Ende 2020 werden all diese Quoten höher liegen. Ein Großteil der neuen Staatsanleihen wird nach und nach bei der EZB landen. Sie will allein in diesem Jahr Anleihen im Wert von mehr als 1,35 Billionen Euro kaufen. Früher wäre das „Gelddrucken“ genannt worden und wäre verpönt gewesen. Heute erscheint es als alternativlos.

Laut Schulbuch müssten die Preise steigen

Ohne Folgen dürften solche Geldmengen jedoch nicht bleiben. Laut Schulbuch müsste das Drucken von Geld in einer höheren Inflation enden – also in einer Entwertung des Geldes, in steigenden Preisen für die Verbraucher. Eine moderate Inflation wäre wohl auch der einfachste Weg, einen Schuldenberg zu senken, ohne Geld zurückzuzahlen. Verliert das Geld an Wert, so hat der Staat es auch geschafft, die Verschuldung zu senken. Auch über zusätzliches Wachstum wäre solch ein Abbau der Schuldenquote möglich, doch das funktioniert nicht immer. Viele Länder haben die Schulden der letzten Wachstumsprogramme noch nicht zurückbezahlt.

Ob jedoch tatsächlich eine höhere Inflationsrate eintreten wird, ist unter Experten umstritten. Während die einen auf die steigende Geldmenge verweisen, argumentieren andere mit einem preisdämpfenden Konjunktureinbruch. Statec rechnet für kommendes Jahr nur mit einer Inflationsrate von 1,6 (Prognose für 2020: 0,6 Prozent). Europas Zentralbank erwartet für dieses Jahr lediglich eine durchschnittliche Teuerungsrate von 0,3 Prozent. Auch im kommenden Jahr soll sie weiter bei unter einem Prozent bleiben. 

Derzeit jedenfalls fallen steigende Preise für Lebensmittel und neue Kosten für Corona-Sicherheitsmaßnahmen noch nicht ins Gewicht. Der Rückgang des Ölpreises überwiegt. Und sollte sich die Inflationsrate doch stärker zurückmelden, dann können sich Luxemburgs Arbeitnehmer glücklich schätzen. Der Index schützt sie vor Kaufkraftverlust.