Aufgewachsen in LuxemburgD’Antony Harmon über die „Black Lives Matter“-Proteste in Texas: „D’USA sinn einfach verréckt ginn“

Aufgewachsen in Luxemburg / D’Antony Harmon über die „Black Lives Matter“-Proteste in Texas: „D’USA sinn einfach verréckt ginn“
Vom Skatepark im „Péitrussdall“ auf die Straßen von Austin, Texas Foto: D’Antony Harmon

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D’Antony Harmon ist in Luxemburg aufgewachsen und studiert und lebt seit drei Jahren in Austin in den USA. Im Tageblatt-Interview spricht er über die Black-Lives-Matter-Proteste in der texanischen Stadt, über Rassismus in Luxemburg und warum er persönlich auf die Straße geht.

Der Afroamerikaner George Floyd stirbt am 25. Mai nach einem Polizeieinsatz – ein Polizist hat acht Minuten lang auf seinem Hals gekniet. Der Vorfall wird gefilmt und geht in den USA viral. Seitdem sind in mehreren Großstädten der USA Proteste gegen Rassismus und Polizeiarbeit entflammt. Diese haben auch die Hauptstadt des US-Bundesstaates Texas erreicht.

Tageblatt: Was ist aus Ihrer Sicht in den USA und in Austin seit dem Tod von George Floyd passiert?

D’Antony Harmon: Das ganze Land, nicht nur die afroamerikanische Gemeinschaft, hat gesehen, wie ein Polizist einen Menschen umgebracht hat. Und das war gewollt, er kniete acht Minuten lang auf dem Hals des Mannes. „Bei him war et einfach déi Drëps ze vill.“ Es wurden schon vorher viele Menschen umgebracht. Austin ist eigentlich eine friedliche Stadt. Sie wird oft mit Amsterdam verglichen. Vor kurzem hat hier jedoch ein Polizist einen Mexikaner ermordet, vor zwei Wochen wurde ein schwarzer Jogger grundlos getötet – von zwei Weißen, die dachten, er habe etwas „Falsches“ gemacht – und kurz danach ist das mit George Floyd passiert. Seit Jahren suchen wir, afroamerikanische Gemeinschaft, den Dialog und protestieren friedlich. Die USA sind einfach verrückt geworden.

Wann haben Sie zum ersten Mal an den Protesten teilgenommen?

Am Samstagabend. Ich war abends zu Hause und mir wurden Videos zugeschickt, die zeigten, wie Freunde angeschossen wurden. Ich bin kein aggressiver Mensch, aber in dem Moment habe ich eine gewisse Wut verspürt. Ich konnte nicht mehr nur hier sitzen, es hat sich nicht richtig angefühlt. Ich musste raus und meine Stimme hörbar machen. Sonntags war ich dann den ganzen Tag auf der Straße. Leider sind die Proteste von Vandalismus und Plünderungen geprägt – das alles ist natürlich unsinnig.

Wie erklären Sie sich die Ausschreitungen?

Mittags sind teilweise andere Menschen auf den Straßen als abends. Mittags sind wir alle vereint, abends bricht die Wut aus. „Dann koumen déi Wëll eraus.“ Es werden Feuer gelegt, es kommt zu Einbrüchen, Plünderungen und Schlägereien. Die Energie, die momentan auf der Straße vorherrscht, wirkt aggressiv. Doch bisher hat kein anderer Weg zum Ziel geführt. Es ergibt ja auch eigentlich keinen Sinn, lokale Geschäfte zu plündern und zu zerstören. Aber die Aggressivität ist ein Ausdruck der Verzweiflung.

Wie steht die Polizei den Demonstranten gegenüber?

Am vergangenen Sonntag wollten die Polizisten am Abend – und das hat man sofort gespürt – die Leute einfach nur noch loswerden. Ein falsches Wort oder verspürten die Polizisten etwas zu viel Druck, dann zückten sie die Waffen und schossen mit Gummikugeln auf die Demonstranten. Freunde von mir haben eine solche Kugel genauer untersucht – es ist eigentlich eine kleine Eisenkugel, die mit Gummi ummantelt ist. Es gibt viele Videos, die zeigen, wie Demonstranten mit erhobenen Armen ohne Grund angeschossen werden. Ein 16-Jähriger wurde angeschossen, Rettungssanitäter in Uniform sind zur Hilfe geeilt und wurden ebenfalls beschossen. Bis heute weiß niemand, ob der Junge überlebt hat.

Muss die Polizei aufgrund der Ausschreitungen nicht so durchgreifen?

Die Polizisten sind die Einzigen, die auf Krawall aus sind. In anderen Bundesstaaten marschieren die Polizisten Seite an Seite mit den Demonstranten, hier in Texas marschieren sie gegen uns. Ich habe sie persönlich gebeten, auf unserer Seite zu stehen. Sie haben mir ins Gesicht gelacht. In den Medien sieht das bereits schlimm aus – aber es ist noch einmal etwas anderes, es zu erleben.

Owes koumen dann déi Wëll eraus

D’Antony Harmon, lebt seit 2017 wieder in den USA

Warum gehen Sie persönlich demonstrieren?

Ich habe Rassismus noch nie in dem Maße erlebt wie jetzt in den USA. Ich weiß jetzt für mich, dass jeder, der keine Angst hat, protestieren muss. Als Kind habe ich oft das Sprichwort „Wir selbst müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen“ gehört. Ich habe nie wirklich daran geglaubt, aber ich bin – wie jeder hier – an dem Punkt angekommen, an dem ich sage: Jetzt muss ich etwas unternehmen. Es tut gut, ein Teil davon zu sein. Und das gilt nicht nur für die afroamerikanische Gemeinschaft. Viele Weiße zeigen sich solidarisch mit den Protesten.

Sie tragen bei den Demonstrationen eine schusssichere Weste. Ist das nötig? 

Ich weiß nicht, ob die Weste unbedingt notwendig ist. Es ist für mich vor allem ein Zeichen. Wenn ich schon überlegen muss, ob ich eine schusssichere Weste anziehe oder nicht, dann weiß man, dass es irgendwo ein grundlegendes Problem gibt. Die Weste hatte ich mir ursprünglich für ein Fotoshooting zugelegt. Es fehlt allerdings die kugelsichere Platte. Sollten die Polizisten mit scharfer Munition schießen, wird sie also nichts nützen. Bei Gummigeschossen hoffe ich, den Einschlag etwas abzumildern. 

Wie unterscheidet sich der Rassismus in Luxemburg von dem in den USA?

In Luxemburg gibt es sehr wohl auch Rassismus. Er wird jedoch nicht so offen ausgelebt, er existiert eher hinter verschlossenen Türen. Es werden zum Beispiel rassistische Witze erzählt, ohne dass viel darüber nachgedacht wird. Ich bin ganz normal und unter Freunden aufgewachsen, da war die Hautfarbe egal – da spürt man die paar Witze auch nicht so. Mit der Erfahrung, die ich hier gemacht habe, blicke ich jedoch zurück und frage mich manchmal, warum selbst diese Witze als „normal“ empfunden wurden. Das hat irgendwo auch seine Vorteile.

Weshalb?

Man spürt den Schmerz und die Trauer nicht so stark. Aber andererseits weiß man nie so wirklich: Wie denkt dieser Mensch wirklich, was sagt er hinter meinem Rücken, warum macht er diese Witze? Es erscheint trivial, aber im Großen und Ganzen ist das schon etwas, über das man nachdenken sollte. In den USA wird der Rassismus viel offener zur Schau gestellt, hier stelle ich mir die Frage nicht: Ist dieser Mensch ein Rassist oder nicht? In Luxemburg ist das alles viel subtiler.

Wie wird Donald Trump wahrgenommen?

In den Straßen erklingt neben den Sprüchen „Fuck the police“ oder „No justice, no peace“ auch immer wieder „Fuck Donald Trump“. Das gehört mittlerweile für viele einfach zusammen. Er hält ja auch das Militär bereit, um in die Städte einzumarschieren. Es kursiert ein Video, in dem er „Civil forces“ aufruft, für Ordnung zu sorgen. Für viele klingt das so, als würde er den Ku-Klux-Klan aufrufen, Schwarze zu ermorden. Dazu muss ich allerdings auch sagen: Ich informiere mich vor allem übers Internet. Ich nehme das auf, was mir vor allem in den sozialen Medien wie Facebook oder Instagram gezeigt wird. Ich bin mir deswegen nicht zu 100 Prozent sicher, ob das so richtig ist. Auch deswegen habe ich mich den Protesten angeschlossen: Ich wollte sehen, was richtig und was falsch ist.

Trump bezeichnete Teile der Demonstranten als „Thugs“ oder „Human scum“ – wie sehen Sie das?

Natürlich gibt es wie immer ein paar Leute, die von den Unruhen momentan profitieren. Das macht allerdings nicht die Mehrheit von uns aus. Deshalb ist es auch wichtig, im November zu wählen. Viele junge Amerikaner sind desillusioniert und der Meinung, dass das eh nichts bringt. Das ist falsch. Wir müssen wählen gehen.

Erwägen Sie, wegen der aktuellen Entwicklungen zurück nach Luxemburg zu kommen?

Nein, das denke ich nicht, dafür habe ich zu viele Opfer gebracht. Als ich meine Koffer gepackt habe, habe ich auch mein Leben eingepackt und nach Amerika verschickt. Ich habe Freunde und Familie zurückgelassen, das will ich nicht umsonst getan haben. Wenn das Chaos hier vorbei ist, will ich wieder Musik machen. Ich weiß, dass das klappen wird und das will ich nicht aufgeben. Wenn ich es schaffe, inspiriert das vielleicht andere, es ebenfalls zu versuchen. Sollten die Probleme größer werden, weiß ich allerdings, dass ich zu jeder Zeit nach Luxemburg zurückkehren kann. 

Denken Sie, dass die Gewalt eskalieren kann?

Ich bin grundsätzlich gegen jede Art von Gewalt, ich war immer gegen Waffen. Ich werde allerdings noch diese Woche einen Waffenschein beantragen. Ich weiß nicht, was noch alles passieren wird. Wenn wir Afroamerikaner aber tatsächlich wieder verfolgt werden und Leute zu Hause aufgesucht werden … Und ich bin mit diesen Gedanken nicht alleine: Viele Leute, die immer gegen Waffen waren, haben jetzt die gleiche Überlegung wie ich. Sie wollen sich und ihre Familien schützen. Wenn wir Schwarze so viele legale Waffen hätten wie die Weißen, würde der Waffenbesitz auch schnell verboten werden.

Was passiert, wenn die Armee tatsächlich eingreift?

Dann wird geschossen.

Zur Person: D’Antony Harmon

D’Antony Harmon ist in Little Rock im US-Staat Arkansas geboren. Im Alter von fünf Jahren zieht seine Mutter mit ihm nach Luxemburg, mit 24 kehrt er wieder in die USA zurück, um zu studieren. Er beginnt sein „Audioproduction“-Studium 2017 in der texanischen Hauptstadt Austin. Sein Traum: mit einer Musikkarriere durchstarten zu können. Am Freitag sollte eigentlich seine neue Single erscheinen – das versucht der Rapper allerdings zu verschieben: „Momentan ist nicht der Zeitpunkt dafür, es gibt wichtigere Dinge.“

Nomi
4. Juni 2020 - 16.32

De President ass e Spigelbild vun der Gesellschaft dei' heen wiehlt !

Norbert
4. Juni 2020 - 15.12

„D’USA sinn einfach verréckt ginn“ Nee, si waren dat nach ëmmer.