Corona / Zu viele Fälle, zu viele Tote – Nachbarn grenzen Schweden aus
Schwedens Sonderweg könnte dazu führen, dass Dänemark, Norwegen und Finnland ihre Grenzen nun nicht öffnen wollen. Zumindest nicht jene nach Schweden. In Stockholm fühlen sich Regierung und Staatsepidemiologe falsch verstanden.
„Das ist ein Problem, dass andere Länder nicht das richtige Bild haben“, mühte sich Schwedens Außenministerin Anne Lind, das angeschlagene Ansehen ihres Landes etwas zurechtzurücken. Mit den anderen Ländern sind vor allem die Nachbarn Norwegen, Dänemark und Finnland gemeint. Diese wollen ihre Grenzen vermutlich bald öffnen, jedoch nicht für die Schweden – Schuld ist der Sonderweg des Landes in der Covid-19-Pandemie.
Das Land mit zehn Millionen Einwohnern hat keinen Lockdown veranlasst und mit seinen offenen Kindergärten, Schulen und Restaurants erst für internationale Aufmerksamkeit gesorgt – mit seinen mehr als 3.900 Toten dann allerdings auch viel Kritik geerntet. Die drei Nachbarländer Schwedens hatten im März einen strikten Lockdown beschlossen und diskutieren nun über den Ausstieg, dazu gehört auch das Öffnen der Grenzen.
Die finnische Innenministerin Maria Ohihalso hat darum diese Woche angekündigt, Schweden bei einer künftigen Grenzöffnung auszugrenzen, Dänen und Norweger jedoch hineinzulassen. Mika Salminen, der Chef des finnischen Gesundheitsamts, unterstützt diesen Weg. „Der faktische Unterschied in der Ausbreitung der Infektion ist nun mal eine Tatsache“, erklärt er. Auch hat Schweden siebenmal mehr Todesfälle pro Kopf als das östliche Nachbarland. Frode Forland, Chef des norwegischen Gesundheitsamts, denkt genau wie sein Amtskollege in Finnland.
Warnungen und wütende Reaktionen
In Dänemark soll das Parlament bis zum 29. Mai eine Strategie für den „gesundheitsförderlichen Sommertourismus“ festlegen. Das Gros der Parteien ist für einen Ausschluss der Schweden, jedoch für eine Öffnung für Gäste des ebenfalls stark betroffenen Deutschlands. „Eine unfaire Diskriminierung“ sei dies, so Anna Hallberg, schwedische Ministerin für „Handel und Skandinavische Angelegenheiten“, die Dänemark schon im Vorfeld für die Debatte kritisierte.
Dänemarks nationale Gesundheitsexperten hingegen haben vor dem Risiko neuer Corona-Infektionen im Falle einer Öffnung der dänischen Grenzen gewarnt. Ein solcher Schritt könne nach sich ziehen, dass Erkrankte ins Land einreisten und dadurch neue Infektionsketten entstehen könnten, schrieb das staatliche Gesundheitsinstitut SSI nach Angaben der Nachrichtenagentur Ritzau am Mittwoch in einem neuen Bericht. Dies könne sich auf die Infektionszahlen in Dänemark auswirken. Zudem kämen dadurch mehr Menschen in Urlaubsgebiete, was das Risiko einer Ausbreitung bereits bestehender Fälle steigere.
Schwedens Regierung weist darauf hin, dass die südwestliche Provinz Schonen, die in normalen Zeiten über die Öresund-Brücke von Dänemark aus zu erreichen ist, weit weniger von dem Virus betroffen sei als die dänische Insel Seeland, auf der sich die Hauptstadt Kopenhagen befindet. Auch Anders Tegnell, Schwedens Pandemie-Stratege, will die Befürchtungen der Nachbarländer nicht gelten lassen. „Im Sommer kann es sein, dass wir viele immune Schweden haben, sodass es sicherer sein kann, wenn Schweden dorthin reisen, als wenn irgendjemand anderes das tut“, meinte der Staatsepidemiologe gegenüber der schwedischen Nachrichtenagentur TT selbstbewusst.
Der 64-jährige Tegnell gilt als Befürworter der Herdenimmunität, die nach Berechnungen eines Stockholmer Mathematikers bereits bei 40 bis 45 Prozent erreicht werden könne. Aber auch innerhalb Schwedens gibt es Ängste um den Tourismus. Zum einen fürchten viele Unternehmen die Pleite, sollten die inländischen Urlauber weiterhin ausbleiben, wie auf der Ferieninsel Gotland. Auf der anderen Seite sind gerade Regionen wie die beliebte Insel (gerade mal 68 Infizierte) und andere klassische ländliche Urlaubsziele von der Epidemie nicht so stark betroffen. Urlauber aus Stockholm sind darum auch gefürchtet. Denn von den rund 33.000 Infizierten findet sich ein knappes Drittel im Raum der Hauptstadt.
In einer Woche vom Findel aus erreichbar
Eine Tourismusbeauftragte der Stadt Norrköping antwortete darum am Freitag im „Sveriges Radio“ auf die Frage, ob denn auch Bewohner aus Stockholm willkommen seien, mit einem langen Zögern: „Ja, wenn sie gesund sind.“
Im Svenska Dagbladet hieß es vor wenigen Tagen in einer für Schweden selten vehement vorgetragenen Kritik am Sonderweg: „Auf kurze Sicht ist es der Regierung gelungen, große Eingriffe in die individuelle Freiheit zu vermeiden. Aber das ist kein Gewinn, wenn sich zeigt, dass unser Ruf so zerfetzt wurde und unsere Todeszahlen so hoch sind, dass wir ausgesperrt werden, wenn der Rest Europas wieder öffnet.“ Die schwedische Corona-Strategie wird vom Kommentator für „so undeutlich und schwammig“ gehalten, dass Schwedens Außenministerin bei der EU-Minister-Videokonferenz „ihre Verhandlungen damit beginnen musste, allen zu erklären, dass wir eben nicht auf Herdenimmunität setzen und die Ausbreitung genauso unten halten wollen wie andere Länder“.
Während sich Norwegen, Dänemark und Finnland zögerlich zeigen mit Grenzöffnungen zum bevölkerungsreichsten skandinavischen Land und auch den gegenseitigen Tourismus noch skeptisch betrachten, lässt sich Schweden ab dem 29. Mai zumindest von Luxemburg aus wieder anfliegen. Der erste Flug der Luxair nach der Zwangspause durch die Coronakrise wird vom Findel aus am Freitag kommender Woche Richtung Stockholm abheben. (Jens Mattern, Armand Back)
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Recht haben sie, die Nachbarn!
Schweden hat immer noch nicht bemerkt auf welcher Spur sie eigentlich fahren: „Ein Geisterfahrer? Nein, hunderte!“
Aber die Luxair fliegt nach Stockholm und zurück ab dem 29. Mai? Werden die Fluggäste dann in Quarantäne müssen bei Ihrer Rückkehr nach Luxemburg?
Möglicherweise wollen die Nachbarländer nicht zugeben dass Schwedens Sonderweg vielleicht der richtige war …?