Schlag gegen CybercrimeBetreiber von Darknet-Zentrum in Rheinland-Pfalz angeklagt

Schlag gegen Cybercrime / Betreiber von Darknet-Zentrum in Rheinland-Pfalz angeklagt
Rheinland-Pfalz, Traben-Trarbach: Polizisten sichern das Gelände eines ehemaligen Bundeswehr-Bunkers. Dort wurde ein Rechenzentrum für illegale Geschäfte im Darknet ausgehoben. Foto: Thomas Frey/dpa

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Die Schaltstelle für kriminelle Geschäfte im Darknet flog im September in einem Ex-Bunker auf. Jetzt sind die Betreiber des „Cyberbunkers“ wegen Beihilfe in mehr als 1,5 Millionen Fällen angeklagt. Und das ist erst der Anfang.

Auch nach der bundesweit ersten Anklage gegen die Betreiber eines riesigen Darknet-Cyberbunkers an der Mosel laufen die Ermittlungen weiter auf Hochtouren. Acht Tatverdächtige sollen in einen Ex-Bunker in Traben-Trarbach Server zur Verfügung gestellt haben, über die Kriminelle aus aller Welt millionenschwere illegale Geschäfte abwickelten, fasste der Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, Jürgen Brauer, am Dienstag die Anklage zusammen. Hauptakteur sei ein 60-jähriger Niederländer sein, der den «Cyberbunker» Ende 2013 erworben und nach und nach aufgebaut habe. Das unterirdische digitale Versteck für Cyberkriminelle war Ende September 2019 zerschlagen worden.

Das Rechenzentrum war laut Ermittlungen eine Schaltstelle für zahlreiche Verbrechen. Mehr als eine halbe Million Fälle von Drogenhandel, Datenhehlerei in gut 500 Fällen, Falschgeld-Deals, Verbreitung von Kinderpornos sowie Computersabotage in mehr als einer Million Fälle, Mordaufträge, Cyberangriffe – all das soll über die dortigen Server gelaufen sein. Die Angeschuldigten hätten diese Taten nicht selbst begangen, aber sie durch die Bereitstellung der Server «maßgeblich unterstützt und gefördert», sagte Brauer. Und davon gewusst – sind sich die Ermittler sicher. Daher lautet die Anklage auf Beihilfe.

Die bei dem Zugriff sichergestellte Datenmenge unter anderem auf 886 physischen und virtuellen Servern umfasse zwei Millionen Gigabyte: «Auf CD gebrannt wären das 2,6 Millionen CDs, die aufeinander gestapelt eine Höhe von 8000 Meter ergäben», sagte Kriminalhauptkommissar Patrick Fata vom Landeskriminalamt (LKA) Rheinland-Pfalz. Die Auswertung werde noch bis zu einem Jahr dauern. Oberstaatsanwalt Jörg Angerer sagte: «Die eigentliche Auswertung der Server-Inhalte fängt jetzt erst an.»

700 Polizisten im Einsatz

Zudem müssten sich die vier Niederländer, drei Deutschen und ein Bulgare im Alter von 20 bis 60 Jahren wegen Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verantworten. Der beschuldigte 60-Jährige soll «der Kopf der Gruppe» gewesen sein, der alle geschäftlichen Entscheidungen traf. Ein weiterer Niederländer (50) soll den Angaben zufolge als «Art Manager» fungiert haben, eine Deutsche (52) war die «Buchhalterin». Die übrigen im Team seien als Administratoren für die technischen Dinge und IT zuständig gewesen.

Das Rechenzentrum war Ende September 2019 in einer großen Aktion mit rund 700 Polizisten nach rund fünf Jahren Vorarbeit ausgehoben worden. Sieben Personen kamen in Haft. Es war ein besonderer Schlag gegen Cyberkriminalität: Erstmals wurde ein «Bulletproof-Hoster» (kugelsicherer Hoster) getroffen, der das Ziel verfolgte, mit höchsten Sicherheitsstandards kriminelle Kunden vor dem Zugriff staatlicher Organe zu bewahren – also quasi ein digitales Versteck für Cyberkriminelle bietet.

Das Verfahren werde zunächst auf sieben Tatkomplexe beschränkt, um die Anklage zu beschleunigen, teilte die Behörde mit. Zu den illegalen Plattformen und Foren, die ihre Straftaten über die Server in dem Ex-Bunker laufen ließen, gehörte der weltweit zweitgrößte Darknet-Marktplatz für verbotene Güter, «Wall Street Market», den Ermittler im Frühjahr 2019 zerschlagen hatten. Über diese Plattform gingen gut 234 000 Deals mit Betäubungsmitteln im Wert von gut 36 Millionen Euro über die Bühne.

Geschätzter Schaden: Zwei Millionen Euro

Auch der Angriff auf 1,25 Millionen Telekom-Router Ende November 2016 wurde laut Generalstaatsanwaltschaft über einen der Server im «Cyberbunker» gesteuert. Geschätzter Schaden: zwei Millionen Euro. Zum Kundenstamm zählte laut Staatsanwaltschaft auch der Marktplatz «Cannabis Road» mit knapp 4000 Einzelverkäufen von Cannabisprodukten – und das Untergrundforum «Fraudsters», über das Daten, Falschgeld, Ausweise und Drogen gehandelt wurden.

Gehostet haben sollen die Beschuldigten zudem den schwedischen Darknet-Marktplatz «Flugsvamp» für den Handel mit Betäubungs- und Arzneimitteln: Umsatz 30 bis 40 Millionen Euro. Zudem sollen sie die Plattformen «orangechemicals», «acechemstore» und «lifestylepharma» für synthetische Drogen gehostet haben.

Die Ermittler hätten bei der Auswertung der Server bisher «keine einzige legale Webseite oder legalen Service gefunden», teilte die Generalstaatsanwaltschaft mit. Wegen des Hostings von weiteren kriminellen Seiten soll möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt eine weitere Anklage erhoben werden. Es gebe noch drei physische und 31 virtuelle Server, die «voll verschlüsselt» seien: «Zum Inhalt dieser Server kann man noch keine Angaben machen», sagte Fata.

Soko „Lux“ kümmert sich um Auswertung

Außerdem sei damit zu rechnen, dass gegen die Betreiber der Seiten noch Verfahren eingeleitet werden, sagte Angerer. Teils werde die Koblenzer Behörde diese selbst führen. «Wir werden aber auch andere Staatsanwaltschaften und Zentralstellen der Bundesrepublik um Hilfe bitten, weil wir von der Vielzahl der Verfahren überfordert wären.» Beim LKA ist eine 20-köpfige Soko mit Namen «Lux» (Licht) für die «zeitintensive Auswertung» gebildet worden.

Die Angeschuldigten sollen in wechselnder Beteiligung an den Taten beteiligt gewesen sein. Einer der acht habe «umfangreiche Angaben» gemacht. «Sie decken sich mit den bis dato durchgeführten Ermittlungen», sagte Brauer. Die Anklage ist zur Jugendkammer des Landgerichts Trier erhoben worden, weil zwei der Angeschuldigten zur Tatzeit noch Heranwachsende waren. Einen Termin für den Prozess gibt es noch nicht.