Interview mit PsychologeWo auch in Corona-Zeiten die Zivilcourage aufhört und das Denunziantentum beginnt

Interview mit Psychologe / Wo auch in Corona-Zeiten die Zivilcourage aufhört und das Denunziantentum beginnt
Bad in der Sonne an Tagen der Pandemie: In der Krise wird so mancher zum Hobbypolizisten, der andere maßregeln will – Psychologe Klich sieht dahinter Angst und einen gefühlten Mangel an Fairness Foto: AFP/Ben Stansall

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Die Polizei verzeichnet verstärkt Meldungen von Bürgern, wenn andere gegen Corona-Regeln verstoßen. Es gibt sogar Politiker, die zu solchen Hinweisen aufrufen. Ist das okay oder bereits Denunziantentum? Für den Gesellschafts- und Politikpsychologen Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal hat das Eintreten für Regeln vor allem etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Das gelte auch in der Corona-Krise, so Kliche im Gespräch mit dem Tageblatt.

Tageblatt: Es heißt, viele Menschen werden in der Krise zu Denunzianten. Stimmt das?

Thomas Kliche: Das sind doch bislang wenige, schon weil sich die meisten Menschen an die Regeln halten und weil die Ämter einer Flut von Meldungen gar nicht nachgehen könnten. Aber auch der Ausdruck ist irreführend. Bei Einschränkungen wird Menschen Fairness noch wichtiger als sonst, damit die Last einigermaßen gleichmäßig verteilt und das Wohl der Gruppe gewahrt wird. Wer also für die Einhaltung der Regeln eintritt, tut das oft aus Gerechtigkeitsgründen.

Sollten die Bürger denn Corona-Regelbrecher melden oder nicht?

Sie sollten abwägen. Wenn jemand andere Menschen gefährdet, etwa als Pulk im Seniorenpflegeheim aufkreuzt, dann müssen wir eingreifen. Wenn jemand mit seiner Familie ein wenig Auslauf im Park sucht, sind Zurechtweisungen doch menschlich ärmlich und medizinisch ungerechtfertigt. Also mitdenken und Leben schützen! Das ist der Kern der Sache, nicht kleinliche, wichtigtuerische Kontrolle.

In Krisen neigen die meisten Menschen zur sogenannten autoritären Reaktion: Sie wünschen sich klare Regeln, eine einige und starke Gruppe, eine durchsetzungsfähige Führung und ein überschaubares Weltbild mit einfachen Entscheidungen und rasch machbaren Lösungen

Also gibt es eine Grenze zwischen Zivilcourage und Denunziantentum?

Es gibt gute und schlechte Gründe für vernünftiges Verhalten, aber auch für unvernünftiges. Faustregel: Was man engstirnig und dogmatisch macht, richtet Schaden an. Wer sich zum Hobby macht, andere zu maßregeln, wird langfristig zumeist auch die Sache schädigen. Wer freundlich und engagiert lebt, kann sich mit anderen ja in der Regel verständigen.

Gibt es spezielle Charaktere, die besonders mit Argusaugen auf andere achten?

Gewiss. Wer zwanghaft an Regeln hängt, weil jede Neuheit oder Individualität Angst auslöst, oder wer unter dem Vorwand von Regeln gerne andere herumkommandiert, der wird Widerstand auslösen. Wir sollten aber alle etwas Nachsicht haben. Denn in Krisen neigen die meisten Menschen zur sogenannten autoritären Reaktion: Sie wünschen sich klare Regeln, eine einige und starke Gruppe, eine durchsetzungsfähige Führung und ein überschaubares Weltbild mit einfachen Entscheidungen und rasch machbaren Lösungen.

Welche Rolle spielt, dass bei vielen Menschen daheim die Nerven inzwischen blank liegen?

Wir merken unser „Unbehagen in der Kultur“, wie Sigmund Freud das nennt, wenn wir unsere Triebregungen zugunsten des Zusammenlebens zurückhalten müssen. Je enger wir aufeinander angewiesen sind, je dichter die Normen gestrickt sind und je weniger wir mit ihnen vertraut sind, desto anstrengender wird Zusammenleben. Und das macht einfach gereizt, gerade in kleinen Wohnungen mit pubertierenden Kindern und geringer langjähriger Übung in Selbstreflexion und Selbststeuerung. Aber Menschen sind auch schlau und flexibel, das gelingt mit etwas Übung überwiegend einigermaßen gut.

Fernande
7. April 2020 - 13.41

@Sofia Ich muss Ihnen bei stimmen, hier geht es nicht darum Leute zu 'denunzieren' wegen ihrer Gesinnung oder politischen Ansicht, sondern Menschen denen das Leben anderer egal ist und sich einen feuchten Kehricht darum kümmern ob andere Leute wegen ihres Benehmens sterben.

sofia
7. April 2020 - 12.43

Leute die Menschenleben gefährden und Tote billigend in Kauf nehmen der Polizei melden ist Denunziantentum? Habt Ihr sie nicht mehr alle? Meldet Ihr auch nicht wenn ein paar Jugendliche Kinder auf der Straße totschlagen aus Angst 'Denunziant' genannt zu werden?

Graucho
7. April 2020 - 8.53

Wenn wir Regeln einhalten ( Abstand,Hände aus dem Gesicht lassen bis sie gewaschen sind..) ist die Gefahr gleich Null. Der Rest ist Hysterie und die ist schädlich. Wenn ein Jogger oder Radfahrer ALLEINE durch die Gegend läuft,oder wenn jemand ALLEINE in der Sonne liegt ist er keine Gefahr für die anderen. Die Politik muss genau abwägen wann der Ausnahmezustand gefährlicher wird als das Virus. Mal gespannt wann die ersten Steinigungen gemeldet werden.

Gaston Blaat
6. April 2020 - 19.10

Denunziantentum , merde alors !

BillieTH
6. April 2020 - 14.03

clairement des dérapages si la police ou des politiciens appelent au tel comportement (ca fait penser aux autres epoques de notre histoire), et des investigations disciplinaires seraient a leur place. ca entraine aussi le risque que le zèle pour faire suivre les règles corona vont être utilise ds le cadre des règlements des comptes entre personnes en dispute. ca montre qu’on a besoin comme société a une perspective de sortie, et que la politique de confinement ne peut plus durer des mois. sinon les politiciens et les experts risquent de plonguer la société ds une malaise profonde (économique, sociétaire, psychologique) pour des années. un bilan de la gestion ne se laissera dresser que dans qq’s années.