„Trabajo digno“ in BolivienKooperation aus dem Home-Office

„Trabajo digno“ in Bolivien / Kooperation aus dem Home-Office
Martine Greischer im Home-Office in Cochabamba

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In Corona-Zeiten ist die Solidarität ein Gebot der Stunde, auch wenn das Benehmen so mancher europäischer Staaten daran zweifeln lässt, dass dies von allen verstanden wird. Kultur und Kooperation sind in Krisenzeiten oft die ersten Opfer. In Bolivien lässt die „ONG“ des OGBL allerdings auch trotz strengem Ausgehverbot nicht locker und hilft in schwierigem Umfeld weiter.

Martine Greischer, die Verantwortliche des Projektes „Trabajo digno“ (würdevolle Arbeit) vor Ort, sprich in der Zwei-Millionen-Stadt Cochabamba, hat ihr halbes Dutzend Mitarbeiter nach Hause geschickt; Carla, Karina, Jair, Rodrigo, Aldrin und Silvia arbeiten ebenso wie die Projektleiterin in ihren Wohnungen, wobei die Luxemburgerin, die vor Ort mit ihrem Freund und dem fünfjährigen Kind zusammenlebt, nicht nur die Aufgabe hat, die Kooperationsarbeit am Laufen zu halten, sondern auch dem Kleinen die Zusammenhänge vermitteln muss, was in dem Alter nicht so einfach ist.

Und beides ist zurzeit in Bolivien noch schwieriger als anderswo; es gilt eine Ausgangssperre, die nur von morgens bis 13 Uhr für besondere Aktivitäten, wie etwa den Lebensmittelkauf- und verkauf, die Arbeit in den Fabriken und die Unterstützung von Benachteiligten unterbrochen werden darf. An den Wochenenden ist die Ausgangssperre total. Als die ersten beiden Infektionen bekannt geworden waren, wurden bereits alle Schulen geschlossen.

Zwar hat das Land erst wenige hundert offizielle Infektionsfälle gezählt, allerdings ist das Gesundheitssystem schwach, die Krankenhäuser kaum auf die sanitäre Krise eingestellt. Nur wenige Beatmungsmaschinen waren in Bolivien vorhanden, erst nach und nach lese man von internationalen Spenden, so Martine Greischer, die allerdings nur unzureichend helfen könnten, wenn die Krise sich ausbreite. Weite Teile der Bevölkerung sind zudem schlecht informiert, besonders jene, die im ländlichen Raum leben und von denen viele nur Quechua und kein Spanisch sprechen und somit wenig Zugang zu den Medien haben.

„Corona, eine Erfindung der Regierung“

Da die ursprünglich für den 3. Mai angekündigten Wahlen verschoben wurden, glauben viele auf dem Land, das Virus sei eine Erfindung der Regierung, um einen Wahlsieg der linken Opposition zu verhindern. Vom Land kommen allerdings weiterhin die Lebensmittel, die in den größeren Städten verteilt werden, und hier setzt einer der aktuellen Arbeitsbereiche der ONG an. In Cochabamba wird das Gemüse an zwei zentralen Märkten angeliefert und von dort aus meist mit Schubkarren in die Viertel und ihre kleineren Märkte gebracht. Um diese Verteilungsarbeit zu garantieren, hat die Regierung aktuell davon abgesehen, die für diese Beschäftigung eigentlich notwendige Genehmigung zu kontrollieren. Die NGO, die als einen ihrer Aktivitätsbereiche die Vermittlung von Jobs sieht, hilft nun den Ärmsten, die „mittags nicht essen können, wenn sie morgens nicht arbeiten“, so Greischer, sich hier zurechtzufinden. 

Allerdings stellt sich in diesem Kontext nun ein neues Problem: Wenn auch nur ein Corona-Fall in einem Dorf auftaucht, wird der ganze Ort gesperrt, Lebensmittel können nicht mehr in die Städte gebracht werden. So weiß Martine Greischer von einem Dorf zu berichten, wo ein Bolivianer aus dem Ausland, der das Virus hatte,   an einer Hochzeit teilgenommen hat und so praktisch die gesamte Dorfgemeinschaft, die auf dem Fest war, ansteckte. Der Mann – so ein wenig erbaulicher Aspekt der dramatischen Geschichte, habe zwar gewusst, dass er infiziert sei, habe aber nicht geglaubt „dass das so schlimm wäre“.

Neue Aufgaben für die NGO

Die NGO „Trabajo digno“, hat ihre Kooperationsarbeit in fünf Bereiche aufgeteilt, die auch zurzeit bedient werden, allerdings anders als in normalen Zeiten. So ist die Job-Vermittlung, die hauptsächlich für benachteiligte Jugendliche durchgeführt wird, zurzeit kaum möglich, niemand stellt aktuell in Bolivien Personal ein. Die Hilfe bei der oben beschriebenen Verteilungsarbeit der Lebensmittel ist an die Stelle der Vermittlung eines anständig bezahlten Jobs im Respekt des (guten) bolivianischen Arbeitsgesetzes (das allerdings allzu oft nicht eingehalten wird) getreten.

Mit einer wöchentlichen einstündigen Radiosendung am Freitag leistet die Vereinigung nun punktuelle, thematische Aufklärungsarbeit. An diesem Freitag, so Martine Greischer, wird es um Unternehmertum gehen, also auch um die Möglichkeiten, als Verkäufer auf den Märkten etwas Geld zu verdienen. 

Ein weiteres Feld der Arbeit der Vereinigung betrifft das Arbeitsrecht, das sich zurzeit fast täglich ändert. Die Regeln zu Arbeitszeiten, Löhnen, Arbeitsbedingungen werden von dem Juristen der Hilfsorganisation untersucht und öffentlich vermittelt. Auch in Bolivien stellen sich im Zusammenhang mit der massiv gesteigerten Heimarbeit zahlreiche juristische Fragen.

Im Bereich der sozialen Sicherheit, einem der Betätigungsfelder von Martine Greischers Team, hilft die NGO aktuell bei den Anträgen, Anrecht auf eine der von der Regierung in der Krise angebotenen Börsen zu erhalten. Ältere Menschen, Schulpflichtige, Mütter von Kleinkindern und Behinderte werden zurzeit staatlich besonders unterstützt. Die Organisation hilft, an die Gelder heranzukommen, eine Aufgabe, die viele nicht selbst bewältigen können. Aktuell haben die Krankenkassen besonders viel Zulauf; nur sie nehmen momentan keine neuen Mitglieder auf. Der ansonsten aufwändige Versuch, möglichst viele Anwohner der Region unter den Schutz einer Sozialversicherung zu stellen, wird nach der Krise wohl durch eine massive Nachfrage nach Hilfestellung bei der Anmeldung ersetzt werden. Demnach zumindest ein positiver Aspekt der aktuellen Krise in Bolivien.

Quarantäne-Tipps statt Mobbing-Hilfe

Und auch die Arbeit der Psychologin der NGO ist zurzeit eine andere. In normalen Zeiten besonders im Kampf gegen Mobbing am Arbeitsplatz und für ein allgemeines Wohlbefinden auf der Arbeit engagiert, gibt die Expertin nun u.a. Tipps, wie die Quarantäne am besten gelebt werden kann. 

Viel Arbeit demnach für die Organisation, die das Projekt vor einigen Jahren von der Vereinigung „Eng Bréck mat Latäinamerika“ übernommen und ausgebaut hat. Doch die „ONG Solidarité syndicale“ des OGBL ist auch weiterhin in Ghana und auf den Kapverden aktiv, wie Armand Drews, der ebenfalls Präsident des „Cercle des ONG“ ist, uns auf Nachfrage erläutert. Und hier kann auch mit recht geringem finanziellen Aufwand viel erreicht werden. So werden in dem ghanaischen Distrikt, in dem die NGO versucht, den Menschen Zugang zu sozialer Sicherheit zu geben, Schutzmasken verteilt: Gesamtkosten dieser angepassten Hilfe in Afrika: lediglich 1.600 Euro. Auch die Hilfe auf den Kapverden gehe weiter, so Drews, der in seiner Funktion als Cercle-Präsident darauf verweist, dass die NGOs die Regierung, sprich das zuständige Ministerium, in der aktuellen globalen Krisenlage darum beten werden, die Laufzeit der zahlreichen Projekte der nationalen Kooperationsvereinigungen und ihre Finanzierung (die normalerweise zeitlich befristet ist) zu verlängern. Auch wenn es hierzu noch keine offiziellen Gespräche gab, so scheine dennoch eine Bereitschaft vorhanden zu sein, auf diesen Wunsch einzugehen. Luxemburger Solidarität gilt demnach weiterhin – auch in extremen Zeiten.