CoronaTaiwan gilt als Musterschüler, den wegen China keiner kennen darf – jetzt gerät die WHO unter Druck

Corona / Taiwan gilt als Musterschüler, den wegen China keiner kennen darf – jetzt gerät die WHO unter Druck
In Taiwans Hauptstadt Taipeh geht das Leben trotz Coronavirus mehr oder weniger normal seinen Weg Foto: AFP/Sam Yeh

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Erstaunlich wenige Coronavirus-Fälle bei einer großen Nähe zu China. Die Welt staunt gerade über den Umgang Taiwans mit der Pandemie. Allerdings hinter vorgehaltener Hand. Auf Druck Chinas hin ist Taiwan kein Mitglied der WHO – und kann damit auch kein offizieller Teil der Lösung sein. Doch jetzt steigt der Druck auf die Weltgesundheitsorganisation.

Ein Mann war in seinen Sechzigern und an Diabetes erkrankt, das war Ende Februar. Im März war es ein Mann über 80, der an einem Nierenleiden litt. Ein anderer leitete eine Touristengruppe durch Österreich, ein vierter kam von einer Reise unter anderem nach Spanien zurück. Hinzu kommt eine Frau Mitte 50. Sie hatte Herzprobleme und sich in einem Krankenhaus in einem sogenannten Cluster angesteckt, bei dem es an einem Ort zu mehreren Infizierungen kam. Taiwan kennt noch die Geschichten seiner Covid-19-Toten. Bislang sind es fünf. Auf der Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern wurde bei 329 Menschen das neue Coronavirus Sars-Cov-2 festgestellt, etwa 33.000 wurden getestet.

130 Kilometer sind es nur bis nach China, Hunderttausende Taiwanerinnen und Taiwaner arbeiten oder leben auf der anderen Seite der Meerenge. Das Hin und Her zwischen der Insel, die China weiterhin als Teil seines Staatsgebietes betrachtet, und dem Riesenreich ist gewaltig, 2019 besuchten 2,7 Millionen Chinesen die Republik. Zu Beginn des Coronavirus-Ausbruches galt Taiwan als besonders gefährdetes Land. Jetzt hat es diese im Vergleich zu Europa oder den USA fast schon absurd niedrig anmutenden Covid-19-Zahlen – die Welt stellt sich in ihrem versammelten Grauen angesichts der Pandemie seit Wochen zwei Fragen: Wie macht Taiwan das? Und wie können wir von Taiwan lernen?

Der Fall Taiwan ist speziell. Aus zweierlei Gründen. Erstens ist Taiwan nicht Mitglied der Weltgesundheitsorganisation WHO. Peking wusste das bisher zu verhindern. Zweitens ist Taiwan ein gebranntes Kind. Während des Sars-Ausbruches, der im November 2002 im Süden Chinas begann und zwei Monate verdeckt gehalten wurde, starben im Laufe des Frühlings 2003 in Taiwan 73 Menschen. Nur China und Hongkong hatten mehr Opfer zu beklagen. Nach diesem Ausbruch stellte Taiwan sein Seuchenschutzprogramm um – und reagierte jetzt schneller als alle anderen.

Taipeh schaltet schnell in den Abwehrmodus

Noch am selben Tag, dem vergangenen 31. Dezember, als China erste Fälle einer neuen Virus-bedingten Lungenentzündung aus der Millionenmetropole Wuhan an die WHO meldet und die Nachricht um die Welt geht, legt Taiwans Regierung die ersten Schalter um. Fortan gibt es in Flugzeugen, die aus den betroffenen chinesischen Regionen kommen, Kontrollen auf Fieber oder Lungenbeschwerden. Am 20. Januar wird das Zentrale Epidemie-Befehlszentrum aktiviert, das ebenfalls als Koordinationsstelle für alle Ministerien dient und eine der in die Tat umgesetzten Lehren aus der Sars-Epidemie ist. Einen Tag später hat Taiwan seinen ersten Fall. In Italien dauert es nur zehn Tage länger bis zu den beiden ersten Ansteckungen.

Es geht schnell weiter in Taiwan, die Insel hat längst in den Epidemie-Abwehrmodus geschaltet: Reisebeschränkungen nach China, Eintrittsverbote aus Hubei, kein Anlegen mehr für Kreuzfahrtschiffe. Alles begleitet von dem Rückgriff auf Big Data, die riesigen Sammlungen privater Daten durch den Staat. Die Datenbanken der Einreise- und Zollbehörden werden mit jenen des Gesundheitswesens zusammengelegt. Ab da wissen Ärzte gleich, ob und wohin ihre Patienten in letzter Zeit gereist sind. Später bekommen auch Apotheker Zugriff auf diese Informationen. Menschen, die in den Wochen zuvor eine Lungenentzündung mit negativem Influenzavirus-Test hatten, werden jetzt auf das neuartige Coronavirus hin überprüft.

Man muss warten, aber es ist für jeden etwas da: Taiwan hat keinen Mangel an Masken, trotzdem ist der Gesichtsschutz rationiert
Man muss warten, aber es ist für jeden etwas da: Taiwan hat keinen Mangel an Masken, trotzdem ist der Gesichtsschutz rationiert Foto: AFP/Sam Yeh

Seit dem 29. Januar bekommt jeder, der in Quarantäne muss, ein Handy vom Staat, über das er dreimal täglich angerufen und nach seinem Gesundheitszustand befragt wird – das aber auch über Lokalisierungsdaten die Einhaltung der Quarantäneregeln überwacht (hier die Liste der mehr als 120 Maßnahmen). Der Staat liefert während der Quarantäne das Essen aus, mittlerweile werden auch Verdienstausfälle ausgeglichen. Inzwischen geht das Leben in Taiwan weiter.

Ende Januar werden in Taiwan vier Millionen Schutzmasken pro Tag produziert. Die Regierung hat zuvor schon einen Exportstopp verhängt. Ab Anfang Februar hilft das Militär in den Produktionsstätten. Neue Maschinen werden eingerichtet. Die Produktionsmenge steigt auf zehn Millionen am Tag, ein gewisser Anteil immer in Kindergrößen, die Schulen bleiben offen. Treten in Klassen, Schulen oder Universitäten Fälle auf, werden Betroffene gezielt in Quarantäne geschickt oder einzelne Schulen zeitweise geschlossen, je nach Anzahl der Fälle. Die Masken sind von Anfang an rationiert, der Verkauf geregelt, um Gedränge zu vermeiden.

Masken en masse und Spende an Europäer

Am Mittwoch kündigte Präsidentin Tsai Ing-wen an, zehn Millionen Schutzmasken an die am schwersten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder zu spenden. Zwei Millionen sollen in die USA, sieben Millionen in elf europäische Länder gehen. Ob Luxemburg darunter ist, konnte gestern noch nicht bestätigt werden. Bald soll die tägliche Produktion an chirurgischen Masken in Taiwan bei 15 Millionen am Tag liegen. Die Inselrepublik ist nach China weltweit zweitgrößter Hersteller, seit vergangener Woche stellt sie ihre eigene Schutzkleidung ebenfalls selber her und hat sich so aus der Abhängigkeit des Weltmarktführers DuPont gelöst, der auch ein Werk in Luxemburg betreibt.

Die noch präsente Erinnerung an die letzte Epidemie, eine offenbar kaum vergleichbare Vorbereitung gepaart mit hoher Reaktivität, der unkompliziertere Rückgriff auf Big Data, dazu Masken en masse und zu allem Überfluss ein Vizepräsident, der Epidemiologe ist – die Gründe für das gute Abschneiden Taiwans sind vielfältig, für Europas Staaten aber eher Lektion für die Zukunft als Ratgeber in der Not. Dafür gestaltet sich die Lage in der Inselrepublik zu verschieden von jener in den Staaten, die mittlerweile als Epizentrum der Pandemie gelten. Im Wettlauf gegen das Virus rannte Taiwan vorneweg, die meisten anderen Staaten rennen hinterher.

Das lässt sich auch anders formulieren: Taiwan rannte für sich, die meisten anderen Staaten unter der Anleitung der WHO. Taiwan ist kein Mitglied. Die Insel hieß in den 50 Jahren unter japanischer Besatzung Formosa und wurde 1945 nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg in die Republik China eingegliedert. Nach dem Bürgerkrieg 1946 flüchtete sich die den Kommunisten unterlegene Führung um Chiang Kai-shek nach Taiwan, wo die Kuomintang lange in einem autoritären Einparteienstaat herrschte. 1987 setzte die Demokratisierung ein. 1971 musste die Republik China ihre Mitgliedschaft in der UNO an die Volksrepublik abgeben. Wenige Staaten unterhalten diplomatische Beziehungen. Bis 2016 konnte die Republik als Nichtmitglied am Jahrestreffen der WHO teilnehmen. Dann wurde Tsai Ing-wen mit dem Auftrag zur Präsidentin gewählt, die Autonomie ihres Landes zu stärken. Seitdem ist auch diese Teilnahme nicht mehr möglich.

Die Kritik an der WHO wird lauter

Jetzt steigt auch die Kritik an der WHO – und am Einfluss Chinas auf die Organisation. Der ehemalige dänische Premier und NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bezeichnete Taiwan in einem Meinungsbeitrag im Magazin Time als „Schwarzes Loch der Geopolitik“. Alles auf Druck aus China und seiner Ein-Staat-Politik hin und alles zulasten der weltweiten öffentlichen Gesundheit. Vergangene Woche griff Japans stellvertretender Premierminister Taro Aso WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus im Parlament in Tokio hart an wegen dessen „Fehleinschätzung über den Ausbruch des Coronavirus“. Über die angebliche Neutralität machte sich Taso lustig, die WHO sollte CHO heißen, sagte er, China Health Organization statt World Health Organization.

Unterdessen macht WHO-Chef Adhanom Taiwans Internetgemeinde für den schlechten Ruf seiner Organisation verantwortlich. Auf der Onlineplattform change.org haben Stand Mittwochabend rund 680.000 Menschen eine Petition unterschrieben, die die Absetzung des Ägypters von der Spitze der WHO fordert. Der britische Guardian berichtet vom Gespräch einer Journalistin des öffentlich-rechtlichen Senders RTHK aus Hongkong mit dem kanadischen WHO-Offiziellen Bruce Aylward, das nach einer Frage zu Taiwan abbrach. Als die Journalistin erneut anrief, bekam sie als Antwort, man habe ja bereits über China gesprochen und alle Gebiete Chinas hätten bislang einen „guten Job“ gemacht. Zuvor hatte Aylward nach einem Besuch in Wuhan gelobt, alles sei unter Kontrolle und sollte er sich wegen Covid-19 behandeln lassen müssen, würde er dies am liebsten in China tun. Taiwans Außenminister Joseph Hu reagierte auf Twitter und schrieb dort: „Wow, die WHO kann den Namen Taiwan nicht mal aussprechen?“ Im Kampf gegen eine Pandemie sollte man die Politik aber besser beiseitelassen, so Wu.

Auch von Donald Trump gab es Kritik an der WHO. Der US-Präsident, der beständig vom „chinesischen Virus“ spricht und so Pekings Ärger provoziert, ist jetzt noch einen Schritt weitergegangen. Vergangene Woche unterzeichnete Trump ein Gesetz zu Stärkung Taiwans auf internationaler Ebene. Einen Tag zuvor hatte mit der „USS McCampbell“ ein US-Kriegsschiff die Straße von Taiwan durchquert. Während Peking die Durchfahrt der Straße durch ausländische Schiffe als Angriff auf seine Souveränität ansieht, betrachten die USA und viele andere Staaten die Meerenge als internationales Gewässer. Falls die USA „ihre Irrtümer“ nicht korrigierten, werde China „entschlossen zurückschlagen“, erklärte daraufhin das Außenministerium in Peking.
Die Coronavirus-Krise legt bereits jetzt geopolitische Bruchstellen wieder offen. Damit wird auch jeder Flug mit medizinischem Material aus China neben der offensichtlichen Hilfe zum Politikum. Jede Maske, die Taiwan nun spendet, ebenso.

Kernmayer
2. April 2020 - 12.21

Inseln haben da Vorteile, da braucht kein Seehofer eigenmächtig Grenzen zu schließen.