Gesellschaft in CoronazeitenDruck und Angst führen zu rüden Umgangsformen

Gesellschaft in Coronazeiten / Druck und Angst führen zu rüden Umgangsformen
Die Menschen sind angehalten, zu Hause zu bleiben und soziale Kontakte zu vermeiden. Damit steigt allerdings das Risiko einer Überlastung, die rasch in Ärger und Frust umschlagen kann.  Foto: dpa/Sebastian Gollnow

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Es heißt, erst in schwierigen Situationen zeige sich die wahre Natur einer Person. Tatsächlich wachsen viele Menschen in extremen Umständen über sich heraus. Andere laufen in Krisenzeiten zur Höchstform auf, beweisen Solidarität und packen an, wo sie nur können. Und dann gibt es solche, die dem Druck nicht gewachsen sind. Viele davon lassen Angst und Ärger in den sozialen Netzwerken freien Lauf.

„Hilfe: Ich weiß nicht, was ich tun soll“, schreibt die junge Frau auf Facebook. Trotz der aktuellen Ausgangsbeschränkungen empfange ihr Nachbar weiterhin Freunde. Sie selbst habe bereits das Gespräch mit ihm gesucht, vor allem da auch vereinzelte Personen im Gebäude wohnen, die zur sogenannten Risikogruppe gehören. Doch der Nachbar schalte weiter auf stur. „Bitte nur ernst gemeinte Antworten. Und bitte keine Beleidigungen!“, fährt die Betroffene in einer der vielen Gruppen fort, die seit Ausbruch der Pandemie in den sozialen Netzwerken eigentlich aus Solidaritätsgründen geschaffen wurden.

Doch verrät bereits die Formulierung der Anfrage eine gewisse Unsicherheit angesichts der zu erwartenden Reaktionen. Die Antworten in der Kommentarfunktion scheinen die Befürchtungen denn auch zu bestätigen: Bereits beim dritten Kommentar liegen sich die Nutzer in den Haaren. Während einer die Frau ermahnt, die Polizei zu rufen, fühlt sich ein weiterer Kommentator an dunkelste Zeiten erinnert und schimpft die junge Frau ein „Gielemännchen“, obschon die Verfasserin nur eine Frage stellt. Was den Ton der Diskussion betrifft, geht es von diesem Punkt an nur noch bergab.

In nur wenigen Zeilen illustriert die Botschaft der jungen Frau gleich mehrere Probleme, denen sich diese im Grunde genommen doch gut gemeinten Gruppen in den sozialen Netzwerken ausgesetzt sehen. Und da sich ein Großteil der sozialen Interaktionen in Zeiten der Quarantäne im Netz abspielen, hat dieser Austausch auch negative Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft.

TV, Internet, Radio und Behörden

Sars-CoV-2 dominiert die Schlagzeilen. Laut dem „Havas Media Monitor“ informieren sich 89 Prozent der Menschen gleich mehrmals täglich zu den neuesten Entwicklungen rund um das Virus. Je älter, umso höher scheint der Informationsbedarf, unterstreicht der Urheber der Umfrage. Als eine der weltweit führenden Agenturen hat sich die Havas Group ihr Netzwerk zunutze gemacht, um zu ermitteln, nach welchen Informationen die 14- bis 69-Jährigen im Zusammenhang mit dem Coronavirus zuletzt am meisten gesucht haben und welche Quellen sie dabei bevorzugen.

Die klassischen Fernsehnachrichten genießen dabei den höchsten Zuspruch. Fast zwei von drei Nutzern (59 Prozent) nutzen das TV, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Jeder Zweite (51 Prozent) aber greift auch auf Internetnachrichten zurück, um sich über die Entwicklung der Krise zu informieren. Es folgen – abgeschlagen – das Radio (22 Prozent), die offiziellen Informationsseiten der Behörden (19 Prozent) und klassische Printmedien (10 Prozent). Darauf angesprochen, welchen Kanälen sie am meisten vertrauen, geben die Nutzer vorwiegend Nachrichten im Fernsehen an (55 Prozent). Den offiziellen Informationsseiten trauen immerhin noch 47 Prozent, während die Tageszeitungen nur noch das Vertrauen von 14 Prozent der Bevölkerung genießen. Informationen aus dem Netz schenken hingegen 18 Prozent der Menschen Glauben, während jeder Fünfte angibt, sich nur noch über Social Media auf dem Laufenden zu halten, also via Twitter, Facebook, Youtube oder Reddit. Tatsächlich beherrscht das Coronavirus die sozialen Netzwerke. Man tauscht sich aus, man sucht Gesellschaft und Unterstützung, manchmal auch den einen oder anderen Lacher. Allerdings werden über diese Dienste auch Panik und Falschinformationen verbreitet.

Dass viele Nutzer darauf hereinfallen, erklärt sich Frank Schwab mit dem Umstand, dass es entlastend wirkt. Es sei, als habe man die ganze Zeit die Luft angehalten und nun komme jemand daher, der einen zum Ausatmen auffordert, betont der Professor für Medienpsychologie an der Universität Würzburg im Gespräch mit dem deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel. „Vieles, was wir jeden Tag darüber in den Medien lesen und hören, kollidiert mit unserer eigenen Wahrnehmung. Das Virus ist nicht sichtbar. Vor unserer Tür fallen keine Leute tot um“, fährt der Experte fort. „Manche Menschen denken ja wirklich, die Krise sei inszeniert, aufgebauscht, Panikmache.“

#bleifdoheem

Ähnlich sieht es auch Claus Vögele. Man habe hier mit einem emotionalen Prozess zu tun: „In Extremsituationen gibt es immer das Potenzial für Extremreaktionen“, betont der Verhaltensforscher an der Universität Luxemburg. In Fachkreisen spreche man von einer Reduzierung des wahrgenommenen Risikos. „Eine Methode, die eigenen Ängste zu bewältigen und damit umzugehen“, so der Professor in Psychologie. Ein ähnliches Verhalten stelle man auch in Bezug aufs Rauchen fest, von dem die Menschen eigentlich wissen, dass es schädlich sei. „Und doch gibt es immer noch Leute, die behaupten, ein Familienmitglied sei 95 geworden, obschon es sein Leben lang geraucht habe. Das nennt man eine Minimierungsstrategie“, so Vögele. Wenn die Angst zu groß wird, suche der Mensch nach Auswegen, diese Angst zu reduzieren.

„Das erreiche ich etwa, indem ich mich nicht betroffen fühle. Oder man glaubt jenen Quellen, die behaupten, es sei alles nur Humbug und bei Weitem nicht so tragisch“, fährt der Verhaltensforscher fort. „Oder es werden die aus wissenschaftlicher Sicht ganz unzulässigen Vergleiche mit der Influenza gezogen.“ Falsche Informationen oder Verschwörungstheorien gebe es seit jeher. Nur dass die Urheber mit den sozialen Netzwerken nun eine Plattform besitzen, mit der sie Millionen Menschen erreichen.

„Krisenzeiten sind immer eine Herausforderung an unsere Anpassungsfähigkeit“, stellt Claus Vögele fest. „Das, was unter normalen Umständen quasi selbstverständlich und daher schon unbemerkt funktioniert, braucht jetzt unsere bewusste Aufmerksamkeit. Da ist es nur zu erwarten, dass man an seine Belastungsgrenzen kommt, was sich unter anderem darin äußern kann, dass man überreagiert, leichter irritierbar ist und weniger gelassen.“ Somit sei es zumindest vom wissenschaftlichen Standpunkt her auch verständlich, dass manche Menschen derzeit etwas dünnhäutig reagieren.

Tatsächlich prallen im Netz viele Meinungen aufeinander. Die Diskussionen drohen rasch zu entgleiten, der Ton wird immer rauer. Menschen, die sich nach etwas frischer Luft sehnen, stoßen auf Nutzer, die sämtliche Ausgangsbeschränkungen verletzt sehen und erstere nachdrücklich auffordern, mit dem Allerwertesten gefälligst zu Hause zu bleiben. Andere veröffentlichen Fotos von Besuchern auf dem benachbarten Balkon und drohen mit der Polizei. Dazwischen funken Menschen, die das Virus als einfache Influenza abtun, die Quarantäne reine Panikmache nennen und hinter sämtlichen Geschehnissen eine globale Verschwörung vermuten.

Ein Zeichen der Angst

Dass Bürger derzeit dünnhäutig reagieren, habe damit zu tun, dass viele mehrfache Tätigkeiten unter einen Hut bekommen müssen: „Home-Office, Familie, Haushalt, die Sorgen um die Familienmitglieder, kombiniert mit den wirtschaftlichen Folgen der derzeitigen Situation und die Unsicherheit über die Zukunft im Allgemeinen“, sagt Claus Vögele. Dass so manche Nutzer rasch die Fassung verlieren, erklärt der Verhaltensforscher mit dieser Überlastung.

„Ein rüder Umgangston ist in der Regel ja auch ein Zeichen von mangelnder Souveränität. Diese Person hat wohl Angst, ist sich ihrer eigenen Person, der Situation und der Meinung unsicher und muss diese dann umso aggressiver nach außen vertreten“, betont Vögele. Aggressives Verhalten, auch wenn dies „nur“ verbal sei, schaffe über einen kurzen Zeitraum das Gefühl der Überlegenheit und Sicherheit. „Deshalb ist es ein häufiges, aber letztlich dysfunktionales Mittel, die eigene Angst zu überspielen. Dysfunktional, weil erstens der Effekt nur kurze Zeit andauert und – zweitens – man durch dieses Verhalten andere verprellt und dadurch einsamer wird“, so der Akademiker.

Dr. Claus Vögele ist Professor an der Universität Luxemburg und ist unter anderem in der Verhaltensforschung tätig
Dr. Claus Vögele ist Professor an der Universität Luxemburg und ist unter anderem in der Verhaltensforschung tätig Foto: Editpress/Alain Rischard

„Bemerkenswert“ nennt der Psychologe den aktuellen Trend in den sozialen Netzwerken, Zuwiderhandlungen gegen Ausgangsbeschränkungen gleich der Polizei melden zu wollen. Erklärbar sei dieses Benehmen durch die Gefährdung der Sicherheit, die diese staatlich verordneten Regeln eigentlich bedeuten. Jeder, der sich nicht an die Regeln hält, stelle nicht nur diese Sicherheit infrage, sondern laufe auch Gefahr, die Sinnhaftigkeit dieser Regeln infrage zu stellen. Dennoch gebe es auch Menschen, die in der Krisenzeit zur Höchstform auflaufen, die Kräfte in sich mobilisieren, um anderen tatkräftig zu helfen, und insgesamt ein Vorbild seien.

Dabei handelt es sich um ein Charakteristikum, das in der psychologischen Fachliteratur als Resilienz beschrieben werde. „Wir wissen derzeit noch wenig darüber, was genau für eine solche Widerstandskraft verantwortlich ist, und versuchen deswegen, schon seit einiger Zeit in mehreren Forschungsprojekten diesen Fragen nachzugehen“, so Vögele. „Wie so oft in den Verhaltenswissenschaften zeichnet sich dabei ab, dass die individuelle Resilienz Ergebnis einer Kombination aus genetischer Prädisposition und erfolgreichen Erfahrungen im jeweiligen Leben ist.“

Ernie
1. April 2020 - 14.27

Leute die weite genug weg sind, riskieren oft eine Lippe wenn sie nicht riskieren eine aufs Maul zu bekommen, um es mal salopp auszudrücken. Das ist bei Trollen so Usus.

Luc
1. April 2020 - 11.14

"Angst", "Druck", "Panik" und "Ärger" werden von den Medien sehr gut gesteuert. Stösst das dann auch noch auf narzistische Egomanen mit schlechter Erziehung, reagiert der Mob ziemlich explosiv. Das Benehmen meiner luxemburger Landsleute die letzten 2 Wochen hat mich eher zum Fremdschämen als denn zu Empathie geführt.

d'MIM
31. März 2020 - 10.46

D'Geld huet selten Rücksicht an Intelligenz gefuedert

Laird Glenmore
31. März 2020 - 8.52

Aufgrund der hohen Gehälter hier in Luxemburg und mangels guter Kinderstube bzw. null Erziehung meinen einige sie könnten sich alles Erlauben, das hat nichts mit Corona zu tun, Luxemburger sind so von sich eingenommen und arrogant das sie denken ich bin ich und der Rest kann mich mal. Man muß sich wirklich manchmal schämen Luxemburger zu sein.