Interview mit Virologe Claude Muller„Wir können jetzt lernen, mit der Krankheit umzugehen“

Interview mit Virologe Claude Muller / „Wir können jetzt lernen, mit der Krankheit umzugehen“
Bereit machen für den Sturm in Ettelbrück: Virologe Muller will mehr über den Ursprung der Ansteckungen wissen Foto: Gouvernement luxembourgeois

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Vor acht Wochen hatten wir das erste Interview mit Claude Muller. Damals wütete Covid-19 in China, weit von uns entfernt. Vor vier Wochen dann unser nächstes Gespräch mit dem Luxemburger Virologen vom Luxembourg Institute of Health. Da steckte Italien schon mitten im Kampf gegen das Coronavirus. Nun gilt Europa als Epizentrum der Pandemie. Wir sind isoliert, das Virus ist da – und bleibt trotzdem in vielem noch fremd.

Tageblatt: Wenn wir jetzt drei Monate eingesperrt sind, werden wir nicht immun, da wir uns nicht infizieren. Riskieren wir damit nicht nach drei Monaten eine weitere, vielleicht schlimmere Ansteckungswelle?

Claude Muller: Es gibt Hinweise auf ein saisonales Verhalten des Virus, das heißt, dass es im Sommer weniger aktiv sein könnte, also weniger Leute infiziert werden. Dann wäre auch genug medizinische Kapazität da für eine adäquate Behandlung eines jeden. Das ist das eine Szenario. Das andere ist: Wenn wir es fertigbringen, in nicht allzu ferner Zukunft einen Impfstoff zu haben, hätte jeder Einzelne die Möglichkeit, sich gezielt zu schützen. Wenn wir jetzt nur isolieren, dann wieder öffnen, und das Virus hat immer noch dieselbe Infektiösität und Virulenz, hat sich effektiv nicht viel geändert.

Aber wie finden wir dann da hinaus?

Indem wir jetzt gezielt schauen, wer sich wo unter welchen Umständen angesteckt hat, können wir gezielter die Maßnahmen anpassen, auch später, wenn wir die Maßnahmen zurückschrauben. Jetzt muss sich jeder isolieren – und wir müssen besser verstehen, wie und wo sich unsere mehr als tausend Infizierten angesteckt haben. Wie viele im Ausland, wie viele bei der Pflege eines anderen Patienten? Sind bestimmte (Berufs-)Tätigkeiten oder Verhalten besonders risikoreich? Wie viele kommen aus demselben Viertel oder Dorf? So erkennen wir, wer gefährdet ist und wo Lücken sind. Wissen zum Beispiel alle Arbeitgeber von Altersheimen oder Behindertenheimen, ob sich nicht vielleicht ein(e) Mitarbeiter(in) in einer Risikosituation befindet, weil sein/ihr Partner irgendwo arbeitet, wo es viele Fälle gibt? Antworten auf solche Fragen müssen wir auch haben, wenn wir unsere Maßnahmen lockern. So können wir lernen, mit dieser Krankheit umzugehen.

Es sterben Ärzte, die keiner Risikogruppe angehören. Ist der Krankheitsverlauf schwerer, wenn mehr Viren eingeatmet werden?

In der Virologie spricht man vom „Viral Load“ oder der Viruslast. Bei manchen Infektionskrankheiten hängen das Infektionsrisiko und der Krankheitsverlauf von der Viruslast ab.

Wenn Sie draußen waren, lassen Sie Ihre Schuhe dann vor der Tür? Anders gefragt: Wie lange „hält“ sich das Virus in der Luft, auf verschiedenen Materialien?

Das Virus überträgt sich primär über Tröpfcheninfektion. Die allermeisten Infektionen kommen so zustande. Nun kann es natürlich sein, dass sich diese Tröpfchen auf einer Oberfläche absetzen. Dort ist das genetische Material des Virus dann relativ lange nachweisbar, verschiedenen Studien zufolge sogar bis zu mehreren Tagen. Der Zeitraum, in dem das Virus aber lebensfähig und infektiös ist, ist sicherlich deutlich kürzer. Und dann bräuchte es noch eine Reihe Zufälle, damit es von einer kontaminierten Oberfläche aus zu einer Ansteckung kommt. Meine Schuhe nehme ich also mit rein. Ich lecke sie ja nicht ab.

Im Moment geht es darum, die dringenden Probleme zu lösen

Wie wichtig ist unser Immunsystem – müssten wir nicht gerade jetzt mehr an die Sonne?

Wir sind in einer akuten Situation und reagieren darauf. Diese wollen wir überwinden. Wären wir jetzt monatelang eingesperrt, kämen solche Fragen vielleicht irgendwann auf. Aber im Moment geht es darum, die dringenden Probleme zu lösen.

Wie sieht es mit dem Krankheitsverlauf aus, wie schnell kann es schlimm werden?

Es gibt Berichte von rapiden Krankheitsverläufen, wo es innerhalb eines Tages oder mehrerer Stunden zu einer gefährlichen Verschlimmerung kam. Wie häufig das auftritt, weiß ich nicht.

Wie ist es mit Medikamenten, die bislang eingesetzt wurden?

Es gibt eine Reihe Studien, besonders auch in China, wo bereits bekannte Medikamente eingesetzt werden, um zu sehen, ob sie gegen das Coronavirus helfen. Das sind Medikamente mit Wirkmechanismen, die auch gegen Covid-19 wirken könnten. Ein guter Ansatz, da Wirkungen und Nebenwirkungen bekannt sind und viel Erfahrung im Umgang mit diesen Medikamenten besteht. Bestimmte Virostatika werden ebenfalls getestet – auch in Luxemburg. Hinzu kommt das Plasma von rekonvaleszenten Patienten. Auch das behalten wir in Luxemburg im Auge.

Was ist der aktuelle Stand der Forschung, was für aktuelle Entwicklungen, Entdeckungen gab es in den vergangenen Wochen, die Sie überrascht haben?

Dass schon jetzt Unternehmen erste Impfstoffkandidaten beim Menschen testen. Das hat mich überrascht. Aber positiv! Ein Grund ist, dass es bereits einen in vielen Ländern benutzten Impfstoff gegen Coronaviren bei Geflügel gibt. Einige Firmen machen unter strengen Vorgaben erste Tests mit Freiwilligen. Das bedeutet eine große Zeitersparnis. Sollte das funktionieren, wäre es eine sehr gute Neuigkeit.

Nach den verschiedenen Berechnungsmodellen – mit wie vielen Toten muss in Luxemburg gerechnet werden?

Im internationalen Vergleich haben wir viele Fälle, aber wenige Tote. Insofern liegen wir recht gut. Was in Italien geschieht oder bei unseren Nachbarn in Frankreich und Belgien, liegt auch daran, dass ihr System überfordert ist und leider oft am Unverständnis der Menschen. Für uns gilt weiterhin: Je stärker wir die Verbreitung unterbinden, desto besser können wir diese Krise bewältigen.

Wie einig sind sich überhaupt die Virologen weltweit?

Es gibt schon einen Konsens, dass das Coronavirus gefährlich ist. Die Frage ist, wie gefährlich es bleibt, wenn wir einmal Fahrt aufgenommen haben, wir impfen können und alle Kranken in vollem Maße von unserem Gesundheitssystem aufgefangen werden. Das ist im Augenblick schwer einschätzbar. Auf der sicheren Seite zu stehen, ist demnach das Gebot der Stunde. Da haben wir allerdings das Risiko, der wirtschaftlichen Entwicklung schwer zu schaden. Das ist ein Faktor, über den wir in ein paar Wochen noch einmal nachdenken werden müssen. Deswegen erneut: Wenn wir unsere Maßnahmen lockern, müssen wir wissen, in welchen Situationen sich Patienten angesteckt haben – und wie wir sie und uns alle besser schützen können.

Welche Frage wird Ihnen am häufigsten gestellt?

Ganz klar – wie das denn jetzt weitergeht.

Ihre Antwort?

Dass es zwei Szenarien gibt. Das eine hat mit der Saisonalität, dem Wetter zu tun. Das andere mit der Impfstoffentwicklung. Beide bieten einen Ausweg.

Sie sind draußen nur noch mit Maske zu sehen, ziehen sie sogar für den Briefträger an. Sind Masken tatsächlich so wichtig?

Ganz klar, ja. Zu lange wurde gesagt, das bringe nichts. Das ist einfach falsch. Masken schützen uns selber und sie schützen die anderen. Das dürfte auch ein wichtiger Punkt dabei sein, wieso Südkorea seinen Ausbruch relativ gut bewältigt. Und schauen Sie sich die Kliniken an – die Leute dort ziehen diese Masken an, weil sie etwas bringen. Nicht, weil sie sich verkleiden wollen. Masken sind Mangelware, viele Menschen haben keine. Man kann sich aber mit Alternativen behelfen: Im Internet gibt es in der Zwischenzeit viele Anleitungen zum Selbermachen. Diese Masken sind nicht geeignet, um Infizierte zu pflegen, aber wohl um die Gefahr zu reduzieren, mit dem Virus in Kontakt zu kommen.

Auf den Bildern aus dem Krisenzentrum in Luxemburg sieht man fast alle ohne Maske.

Das habe ich auch gesehen. Keine gute Idee. Die sitzen da eng beieinander. Aus meiner Sicht sollten die alle eine Maske tragen. Einfach, weil sie in diesen Zeiten eine unglaublich wichtige Aufgabe gut bewältigen. Wir wollen ja nicht, dass das Team geändert werden muss.

Hier geht es zu unseren beiden ersten Interviews mit Claude Muller zum Coronavirus:

Vom 27. Januar: „Böse Überraschung nicht ausgeschlossen“: Luxemburger Viren-Experte Claude Muller zur neuen Gefahr aus China

Vom 24. Februar: Viren-Experte Claude Muller über das Coronavirus: „Zu Beginn des Ausbruchs war ich noch optimistischer“ 

Claude Muller, Virologe am Luxembourg Institute of Health, ist zurzeit ein gefragter Gesprächspartner
Claude Muller, Virologe am Luxembourg Institute of Health, ist zurzeit ein gefragter Gesprächspartner Foto: Editpress-Archiv/Fabrizio Pizzolante
Christiane Besch
8. April 2020 - 21.03

Fachkundig, professionell, informativ top. Vielen Dank

Graucho
28. März 2020 - 22.56

@Gaston Bravo

Blaat Gaston
28. März 2020 - 21.55

@ Leila ‘ «  Merde alors « jetzt ist mir der Name entfallen ! Vielleicht war es der mittelaltrige Mönsch aus dem Kloster bei Assel-Docherten ,

Blaat Gaston
27. März 2020 - 12.30

Haben Menschen über 85 allgemein betrachtet, die dem Virus zum Opfer fallen, eine Chance zu genesen und welche nutzlosen Schmerzen müssen sie doann noch erdulden. Wenn nein , wenigstens was mich betrifft, in dem Fall einschläfern ,und die Englein tragen mich schmerzlos fort. Der Mohr hat dann mit seinen 85 eben seine Schuldigkeit gegenüber den Jüngeren getan und kann ruhigen Gewissen gehn.