25 Jahre Schengener AbkommenBürgermeister Michel Gloden: „Wir bleiben überzeugte Europäer“

25 Jahre Schengener Abkommen / Bürgermeister Michel Gloden: „Wir bleiben überzeugte Europäer“
Die Nationensäulen in Schengen, Symbol des freien Grenzverkehrs im Schengen-Raum. Im Hintergrund die Brücke zwischen Schengen (Luxemburg) und Perl (Deutschland). Für Bürgermeister Michel Gloden ist es nicht nachvollziehbar, warum Deutschland dort die Grenzen quasi dichtmacht. Foto: Editpress/Claude Lenert

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Michel Gloden ist seit 2017 Bürgermeister der Gemeinde Schengen und seinen Aussagen zufolge ein überzeugter Europäer. Eigentlich hätte er heute feiern wollen. 25 Jahren offene Grenzen im Schengen-Raum. Doch nun hat er eine zum Teil geschlossene Grenze direkt vor der Tür. Am Übergang zu Perl in Deutschland wird streng kontrolliert. Begeistert ist Michel Gloden nicht darüber. Trotzdem ist er, wie er im Tageblatt-Gespräch erzählt, überzeugt davon, dass der „Geist von Schengen“ überleben wird.

Tageblatt: Michel Gloden, freuen Sie sich auf einen Besuch als „Ehrengast“ in der „Schengen-Lounge“ im Oktober bei der Eröffnung der Weltausstellung in Dubai?

Michel Gloden: Gute Frage. Geplant ist die Reise auf jeden Fall, es hapert zurzeit nur etwas mit den Vorbereitungen. Freuen tue ich mich aber sehr auf die Reise.

Schön und gut. Aber momentan kommen Sie ja nicht mal bis nach Perl auf die andere Seite der Mosel.

Richtig. Das ist ziemlich nervig. Eine Verabredung mit meinem Kollegen, dem Bürgermeister der Gemeinde Perl, fand auf der Brücke statt, also sozusagen im Niemandsland. Reisen sieht wohl anders aus.

Hätten Sie sich das noch vor drei Monaten vorstellen können?

Mit solch einer Maßnahme hätte ich nie im Leben gerechnet. Natürlich hat auch vor drei Monaten noch niemand in Europa vom Coronavirus gesprochen.

Was denken und fühlen Sie angesichts dieser Situation jetzt?

Ich habe Probleme, es nachzuvollziehen, muss es aber leider wohl akzeptieren.

Diese Grenzkontrollen sind doch aber eigentlich nicht vereinbar mit dem oft zitierten und gepriesenen „Geist von Schengen“?

Ich muss ja wohl nicht verdeutlichen, wie wenig diese Entwicklung mich begeistert. Mir müsste überhaupt einmal jemand den Sinn des Ganzen erklären. Abgesehen davon möchte ich sehr ungern den „Geist von Schengen“ mit der Corona-Krise vermischen. Es ist aber richtig und wichtig für die folgenden Monate und Jahre, dass die europäische Gemeinschaft mit einer Stimme spricht und sich ganz klar weiterhin für die Abschaffung oder Nicht-Wiedereinführung von Grenzkontrollen ausspricht.

Was sagen eigentlich die Bürgermeister auf der gegenüberliegenden Seite, im deutschen Perl und im französischen Apach?

Meine Kollegen, Ralf Uhlenbruch in Perl und Emilie Villain Feltz, die neue Bürgermeisterin von Apach, sind wie ich auch überzeugte Europäer, und das wollen wir auch bleiben. Alle wissen die Vorzüge unserer grenzenlosen Region zu schätzen. Einen Einfluss auf die Schließung der Grenzen haben sie und ich aber nicht. 

Das heißt, Ihre Kollegen stehen nicht hinter diesem Beschluss übergeordneter Stellen?

Nein. Der Bürgermeister von Perl ganz sicher nicht. Die neue Kollegin aus Apach wohl auch nicht. Alle unsere Bemühungen der letzten Zeit zeigen genau das Gegenteil, nämlich dass wir grenzenlos zusammenarbeiten wollen.

Das heißt ja aber dann, dass alle Bemühungen, die den Zusammenhalt in dieser Grenzregion stärken sollen, von höherer Stelle torpediert werden können? Die Interessenvereinigung „Dreiländereck“ zum Beispiel, die im Januar dieses Jahres unterschrieben wurde.

Ja. Aber das ist natürlich alles viel komplexer. Es sind halt außergewöhnliche Zeiten und Umstände. Meine Kollegen und ich möchten klarstellen, dass wir uns auf keinen Fall mit permanenten Grenzkontrollen abfinden werden. Obendrein muss ich persönlich sagen, dass diese Art der Bevormundung mir alles andere als gefällt.

Aber trotzdem ist es jetzt passiert. Werden sie gemeinsam etwas dagegen tun können?

Ganz ehrlich, wir werden sehen, dass wir die Sache ins Lot bringen. Wichtig ist, dass die Beziehungen unter uns gut sind und wir uns nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Nun denn. Trotzdem sollte man sich die Feierlaune nicht komplett vermiesen lassen. Wissen Sie noch, wo Sie am 26. März 1995, an dem Tag, als die Grenzen offiziell aufgingen, waren?

Was ich am 26.3.1995 gemacht habe, weiß ich nicht mehr so genau, ich erinnere mich aber noch daran, dass das Inkrafttreten des Schengener Abkommens die Hauptnachricht in der Tagesschau am Abend war.

Was war damals Ihre Meinung zu den offenen Grenzen?

Ich war zu dem Zeitpunkt noch nicht politisch aktiv, war aber auch damals bereits überzeugt von der Wichtigkeit des Abkommens, besonders für Gemeinden in einer Grenzregion.

Abgesehen von der Coronavirus-Krise. Wie hätte die Gemeinde unter normalen Umständen diesen 26. März gefeiert?

Wir hatten eine kleine Feierstunde in Schengen geplant. Im Europazentrum. Robert Goebbels hatte sich bereits angemeldet, der Außenminister und viele andere auch. Im Rahmen dieser Zeremonie haben wir auch Roger Weber, den früheren Bürgermeister der Gemeinde, ehren wollen. Für sein Engagement für Europa und für das Schengener Abkommen. Diese Ehrung wird natürlich zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt. Corona bedeutet ja nicht aufheben, sondern nur aufschieben. 

Das Europazentrum hat seit Tagen geschlossen. Eigentlich sehr bezeichnend für das, was gerade passiert, oder wie sehen Sie das? Europa macht die Schotten dicht?

Das ist natürlich schade, dass das gerade jetzt geschehen musste. Aber Touristen sind eh keine mehr gekommen und es geht ja auch darum, die Belegschaft des Zentrums zu schützen.

Dieses Zentrum ist bei allem Respekt doch etwas in die Jahre gekommen. Gibt es Pläne, es aufzuwerten? Zu überarbeiten und zu modernisieren, dafür zu sorgen, dass alles funktioniert?

Ich stimme Ihnen zu, dass das Museum in die Jahre gekommen ist. Wir haben und werden auch noch die betroffenen Ministerien anschreiben, um auf die Situation aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass die Ausstellung überarbeitet und Schwachstellen behoben werden müssen. Wir empfangen häufig internationale Gäste in Schengen, und da scheint es mir sehr wichtig, dass wir – gerade in einer Zeit, in der Europa doch riskiert einem Rechtsruck ausgesetzt zu werden – die Ausstellung der augenblicklichen politischen Situation in Europa anpassen und sie einem breiteren Publikum zugänglicher machen werden.

Allgemein hat die Tatsache, dass der Vertrag in Schengen unterschrieben worden ist, der Ortschaft und der Gemeinde nicht viel gebracht, oder? 

Eine richtige Geschäftswelt gab es noch nie, das Einkaufszentrum Borders stellt in dem Sinne eine Aufwertung für die Gemeinde dar. Wir haben viele Restaurants und Tankstellen. Die gehören nun mal zum Bild einer Grenzgemeinde. Wir wären natürlich sehr froh, wenn wir neben dem Camping in Schwebsingen und der Jugendherberge in Remerschen auch bald ein Hotel in der Gemeinde hätten.

Warum hat dann Perl sich so entwickeln können? Dort gibt es Geschäfte über Geschäfte. Wie kam das?

Damit man als Gemeinde Geschäfte anlocken kann, benötigt man Grundstücke, die man preisgünstig zur Verfügung stellen kann. Aufgrund der besonderen Lage von Schengen, direkt an der Mosel, viele Weinberge und Grundstücke, die nicht bebaubar sind (Haff Remich, Natura 2000), hat sich die Geschäftswelt in unserer Nachbargemeinde schneller entwickelt. Perl hat vielleicht einfach die Gunst der Stunde besser nutzen können?

Aber drüben werden sie sich jetzt bitter beklagen, wenn keine Kunden aus Luxemburg mehr kommen?

Natürlich, die Geschäfte in Perl leben zu einem guten Teil von den Kunden aus Luxemburg, so wie unsere Tankstellen einen großen Teil ihres Umsatzes mit Deutschen und Franzosen machen. Alles nicht gut.

Im französischen Teil der Dreiländerecke merkt man eigentlich nichts vom EU-historischen Charakter der Region. Woran liegt das?

Vielleicht an den administrativen Wegen, die in Frankreich halt etwas länger sind als in Deutschland oder Luxemburg. Mit unserer Interessengemeinschaft wollen wir aber dafür sorgen,  dass auch auf französischer Seite der „Geist von Schengen“ noch bekannter wird.

Wenn uns der 26. März 2020 etwas lehrt, dann ja wohl, wie schnell alles dichtgemacht werden kann. Was erwarten Sie sich für die Zukunft?

Wenn man dieser Krise etwas Positives abgewinnen kann, ist es, dass die Menschen in Zukunft die Errungenschaften der Europäischen Union und vor allem die Vorzüge des Schengener Abkommens mit großer Wahrscheinlichkeit wieder mehr zu schätzen wissen. Die Grenzkontrollen haben einen solch negativen Einfluss auf das tägliche Leben, dass ich überzeugt davon bin, dass besonders in unserer Region die Wertschätzung von einem Europa ohne Grenzen eine andere und wichtigere Bedeutung bekommen wird.


Das sind unsere Geschichten zu 25 Jahren Schengener Abkommen

25 Jahre sind es auf den Tag genau her, dass im Schengen-Raum die Grenzen offiziell gefallen sind. Im Europazentrum der kleinen Ortschaft im Dreiländereck hätte am Donnerstagabend gefeiert werden sollen. Martina Kneip, die Leiterin des Zentrums, wollte von den vielen Menschen erzählen, die aus Interesse am Vertrag von Schengen von nah und fern an die Mosel kommen. Unter den Gästen wäre heute Robert Goebbels gewesen. Als Staatssekretär hat er das Abkommen 1985 unterschrieben. Auch Michel Gloden war eingeladen. Der Bürgermeister der Gemeinde Schengen wollte von der freundschaftlichen Zusammenarbeit mit seinen Kollegen aus Perl und Apach reden. Und den früheren Bürgermeister Roger Weber hätte man sehen können. Ihm ist es zu verdanken, dass der „Geist von Schengen“ im kleinen Moselstädtchen allgegenwärtig ist. Doch aus all dem wird am Donnerstag nichts. Die Feier ist abgesagt. Die Grenze zu Deutschland quasi geschlossen. Ein Trauerspiel. Doch eigentlich auch ein „gutes“ Beispiel, das verdeutlicht, wie absurd geschlossene Grenzen heutzutage sind. Besonders heute. Am 26. März 2020. Dem 25. Jahrestag des grenzenlosen Schengen-Raums.

Lucilinburhuc
30. Mai 2020 - 12.19

Nationbranding mal anders: Luxemburg war meines Wissens das einzige Land in Europa , das nicht seine Grenzen geschlossen hat.

de Bunnert
27. März 2020 - 18.02

Was hat diese Aussage " wir bleiben überzeugte Europäer " mit dem Corona Virus zu tun ? Wir leben doch nicht im Krieg mit Deutschland, oder sonst einem unserer Nachbarn.

sofia
26. März 2020 - 14.13

Schengen wird ja auch noch immer vom Restaurant Maimühle gegenüber beliefert.