ItalienZur Plage des neuen Virus kommt eine alte hinzu – die Mafias und ihre Geschäfte mit der Pandemie

Italien / Zur Plage des neuen Virus kommt eine alte hinzu – die Mafias und ihre Geschäfte mit der Pandemie
Symbolbild Foto: AP

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Italien ist nach China das von Covid-19 am stärksten betroffene Land der Erde. Doch zur Plage des neuen Virus kommt nun noch eine weitere hinzu: Das organisierte Verbrechen nutzt die desolate Lage im Lande aus, um sowohl von der Pandemie als auch den gewöhnlichen Geschäften des Drogen- und Waffenhandels zu profitieren. Eingeschränkte Kontrollen im Warenverkehr sowie die Notlage auf dem medizinischen Sektor erleichtern das Geschäft.

Die gesellschaftliche und gesundheitspolitische Lage in Italien gerät mit jedem Tag der Covid-19-Pandemie weiter an ihre kritische Grenze. Vor allem die Nordregionen Lombardei und Venetien sind von der Verbreitung des Coronavirus am meisten betroffen – mehr als die Hälfte aller Infizierten und Erkrankten finden sich hier. Umso erstaunlicher ist die Nachricht, dass ein Unternehmen in Brescia zu Zeiten, da es in allen Krankenhäusern des Nordens an Schutzmasken und Testpäckchen fehlt, 500.000 dieser Kits in die USA verkauft hat. Der Transport fand in aller Stille statt: Eine C-17-Militärmaschine der US-Nationalgarde holte die Pakete von der Luftwaffenbasis Aviano (Pordenone) ab und brachte sie umgehend nach Memphis. Das Bekanntwerden des in diesen Zeiten seltsamen Deals schlug in der italienischen Öffentlichkeit hohe Wellen. Die Firma Copan in Brescia beeilte sich zu erklären, dass der Handel vollkommen konform mit den italienischen Gesetzen lief, die Ware ordnungsgemäß verzollt und verkauft wurde. Dennoch blieb ein schaler Geschmack übrig und alle Zweifel konnten nicht ausgeräumt werden.

Kein Wunder, denn die Verstrickungen der italienischen Mafias in alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in Italien sind längst vollzogen. Dies verdeutlichte unter anderem die Verurteilung des ehemaligen Direktors des Gesundheitsamtes ASL Pavia, Carlo Chiriaco, zu zwölf Jahren Haft wegen mafioser Verbindung zur ’Ndrangheta. Längst mischen die kalabrischen Clans in den Servicebereichen mit, sie organisieren die Reinigung und Versorgung von Krankenhäusern, haben sich in den Bereichen sanitärer Güter und Desinfektionsmitteln installiert, dominieren das Bestattungswesen wie auch das Transportwesen. Bereits vor der Corona-Krise ermittelten die Staatsanwaltschaften von Bari und Brindisi zu Fragen der Durchsetzung des apulischen Gesundheitswesens seitens der Clans der Sacra Corona Unità, der ortsansässigen Mafia.

Mafia agiert wie Seismologen

Ähnlich wie die Börse auf wirtschaftliche Verwerfungen reagiert, so wittert das organisierte Verbrechen neue Chancen in der aktuellen Krise – so jedenfalls analysiert der Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano die Situation. Nach der ersten Überraschung – nicht einmal die Triaden von Hongkong ahnten das Ausmaß der Corona-Infektion in China – haben sich die Clans auf die neue Situation eingestellt. Marktlücken wie das Fehlen von Schutzausrüstungen und Testkits, um der Ausbreitung der Krankheit effektiv begegnen zu können, werden sofort ausgenutzt. Die italienischen Behörden registrierten einen schwunghaften illegalen Handel von Atemschutzmasken. Jene des Typs FFP2 und FFP3 (solche, die auch Schutz vor feinsten Aerosolen, Viren und Bakterien geben) werden in Länder wie die Türkei, Russland, Kasachstan oder Indien exportiert und harren dort auf den Reimport nach Italien – ein Warenkreislauf, der zunächst unsinnig erscheint, mit dem Steigen der Preise für die Schutzausrüstungen jedoch enorme Gewinne verspricht. Wer, so Saviano, fragt in Zeiten des Hungers nach dem Bäcker, der das Brot anbietet?

Nebst den Geschäften, die mit der Corona-Krise und letztlich auf dem Rücken der Patienten und Bürger ausgetragen werden, floriert der klassische Handel, mit dem die Mafias ihr Geld verdienen. Hafenbehörden und Sicherheitsdienste registrieren ein verstärktes Verkehrsaufkommen in den südlichen italienischen Häfen. Der Warenverkehr – so die Direktiven der römischen Regierung – soll zur Versorgung der italienischen Bevölkerung weiterhin möglichst ungehindert funktionieren. Aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit auch der an den Grenzen Beschäftigten werden Kontrollen aber weit weniger genau durchgeführt. In der Folge gelangen Drogen auf der Südamerika- und auch auf der Afrika-Route verstärkt ins Land. In der Umkehr funktioniert auch der Waffenhandel, so für die streitenden Parteien in Libyen als auch im tieferen Afrika. Erst weitere Beobachtungen werden zeigen, welche Umsatzsteigerungen die Clans verzeichnen können.

Abstruse Angebote

Italien ist derzeit am Limit. Weder die politischen Auseinandersetzungen, vor Wochen noch Schlagzeilen produzierende Themen, noch der Kampf gegen das organisierte Verbrechen stehen auf der Tagesordnung an oberster Priorität. Hingegen sieht sich die erstaunte Öffentlichkeit mit abstrusen Offerten konfrontiert: Alessandro Campi, ordentlicher Professor für Politwissenschaften an der Universität von Perugia, lancierte einen Aufruf an die ´Ndrangheta, die Camorra, die Cosa Nostra sowie an die Sancta Corona Unità mit der Bitte um Zusammenarbeit. Die Mafias sollen in ihren Einflussgebieten die Forderungen nach Quarantäne durchsetzen, weiteren Zufluss von Menschen aus Norditalien zu ihren Familien im Süden verhindern. Sollte dies nicht aus eigenen Mitteln möglich sein, so Campi, fordere er die Clans auf, verantwortungsvoll mit den örtlichen Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Der Vorschlag des Professors, über soziale Medien verbreitet, erntete Stürme von Protesten. Auch in einer solchen Ausnahmesituation gebe es keine Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen, so Staatsanwaltschaften und Polizei.

Auch Don Luigi Ciotti, katholischer Geistlicher und Begründer der Anti-Mafia-Organisation „Libera“, sprach sich deutlich gegen den Vorschlag Campis aus. Don Ciotti wollte am vergangenen Samstag gemeinsam mit Leoluca Orlando, Bürgermeister des sizilianischen Hauptortes, und Tausenden Anhängern zum 25. Mal in Palermo der 1.100 Opfer der Mafia gedenken. Die Veranstaltung konnte im Jubiläumsjahr nur virtuell stattfinden. „Doch wir werden diese Krise bewältigen und uns danach treffen, unser Kampf gegen die organisierte Kriminalität hört nicht auf“, so der bekannte Priester.

Jean Muller
26. März 2020 - 13.53

"dass der Handel vollkommen konform mit den italienischen Gesetzen lief, die Ware ordnungsgemäß verzollt und verkauft wurde" Soweit mir bekannt ist hat Italien jeglichen Export von medizinischem Material verboten! Vor einigen Tagen wurde denn auch ein entsprechender Transport einer offenbar Nicht-Mafia Firma an der Grenze abgefangen. Wenn aber die italienische Mafia mit der US-Mafia zusammenarbeitet, dann ist das absolut kein Problem!