Risikozone MadridDer Sportpalast wird zum Sargdepot

Risikozone Madrid / Der Sportpalast wird zum Sargdepot
Mitglieder der spanischen Katastrophenschutzeinheit UME in Schutzkleidung stehen vor dem „Palacio de Hielo“ in Madrid, der zum Leichenschauhaus umfunktioniert wurde Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP

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Mehrere Transporter fahren in die Tiefgarage des Eissportpalastes Madrid. In der Kabine der roten Fahrzeuge sieht man Männer in weißen Schutzanzügen. Es sind Soldaten der spanischen Katastrophenschutzeinheit UME. Sie haben Plastiksäcke und Särge mit Epidemie-Opfern geladen.

Wegen Überfüllung der Depots in Krankenhäusern und Friedhöfen wurde der Sportpalast mit seiner Olympia-Eispiste zum Zwischenlager umfunktioniert – die größte Leichenhalle der Nation. Offiziell trägt das Eislauf- und Einkaufszentrum im Nordosten Madrids den Namen „Dreams“, Träume. Nun wird dieser Traumpalast zum Symbol von Spaniens schlimmstem Albtraum, der noch lange nicht beendet ist: Die Virus-Epidemie ist weiter außer Kontrolle und kostet immer mehr Menschenleben.

Jeden Tag sterben allein im Großraum Madrid 250 bis 300 Menschen im Zusammenhang mit dem Virus SARS-CoV-2. Die Hauptstadtregion, in der knapp sieben Millionen Menschen leben, ist Spaniens gefährlichste Virus-Risikozone. Mehr als die Hälfte aller Toten in Spanien, bei denen das Coronavirus nachgewiesen wird, werden in Madrid registriert.

Bis gestern meldeten die Behörden allein in der Region Madrid 12.352 Infizierte. 1.535 Menschen starben – zwei Drittel der Opfer waren älter als 80. Die statistische Sterblichkeitsquote in Madrid lässt vielen Bewohnern das Blut in den Adern gefrieren: Sie liegt, wenigstens auf den ersten Blick, mit über zehn Prozent noch deutlich höher als in der italienischen Lombardei oder der chinesischen Provinz Hubei.

Aber die Statistik hinkt: Denn Spaniens Corona-Statistik zählt nur die schweren Infektionsfälle. Zehntausende Verdachtsfälle, bei denen die Patienten leichte Symptome hatten, werden nicht erfasst. Mit der Folge, dass die prozentuale Sterblichkeitsquote in die Höhe katapultiert wird.

Für ganz Spanien wurden gestern insgesamt 39.673 Infektionsfälle gemeldet – 6.000 mehr als am Vortag. Die Zahl der Toten stieg landesweit auf 2.696 – ein Anstieg um mehr als 500 Todesfälle in 24 Stunden.

Schutzkittel aus Mülltüten

Derweil wächst die Zahl der Horrorberichte aus spanischen Altenheimen, in denen in den letzten Tagen Hunderte Bewohner im Zuge der Corona-Epidemie gestorben sind. Angesichts des Dramas in den Seniorenresidenzen intervenierte inzwischen sogar die Armee, um Heime zu inspizieren. Dabei fand sie katastrophale Zustände vor: Sie entdeckte zum Beispiel mehrere verstorbene Senioren, die offenbar schon länger tot in ihren Betten lagen.

Verteidigungsministerin Margarita Robles war entsetzt: „Die Soldaten haben total vernachlässigte alte Menschen gefunden“, berichtete sie. Die Staatsanwaltschaft habe deswegen Ermittlungen aufgenommen.

Derweil mehrt sich die Kritik an den Behörden, den Pflege- und Gesundheitssektor nicht ausreichend auf die Corona-Epidemie vorbereitet zu haben. Krankenhäuser und Altenheime klagen seit Wochen, dass es Pflegepersonal und Ärzten an Schutzausrüstung und Testkits mangele. Mediziner berichten, dass sie sich Schutzkittel aus Mülltüten und Gesichtsmasken aus Plastikfolien sowie Stoffresten basteln müssen. Ein Mangel mit dramatischen Konsequenzen: 13 Prozent aller Infizierten sind Mediziner und Pfleger.

„Es gab bei den Gesundheitsbehörden keine Vorsorge“, urteilte Spaniens größte Tageszeitung El País. „Ärzte und Krankenschwestern müssen sich nun im Kampf gegen das Coronavirus so gut es geht durchschlagen.“

Origer
25. März 2020 - 20.30

Särge gibt's nicht mehr, das sind Plastiktüten.