CoronakriseAuch in den Flüchtlingsunterkünften gelten verschärfte Sicherheitsvorkehrungen

Coronakrise / Auch in den Flüchtlingsunterkünften gelten verschärfte Sicherheitsvorkehrungen
Seit Corona wurden die Sicherheitsvorkehrungen in den Flüchtlingsunterkünften weiter verschärft. Besuche sind bis auf Weiteres untersagt, in  den großen Heimen wurden die Speisesäle geschlossen. Foto: Editpress/Alain Rischard

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Das Coronavirus hat Luxemburg seit über einer Woche fest im Griff. Die Regierung hat den Notstand verhängt, Premierminister Xavier Bettel hat die Menschen dazu aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Die Einhaltung dieser Regelung dürfte im Haus mit Garten wohl leichter fallen als in einer kleinen Wohnung ohne Balkon. Doch wie lebt es sich zurzeit in den Luxemburger Flüchtlingsunterkünften? In Esch und auf Limpertsberg scheint die Lage entspannt. Anders sieht es in der Erstaufnahmeeinrichtung in Strassen aus, wo bis zu zehn Menschen in einem Zimmer hocken. Wegen der geschlossenen Grenzen herrscht Unklarheit bei den Insassen der Abschiebezentren SHUK und „Centre de rétention“, die eigentlich nur für kurzzeitige Aufenthalte vorgesehen sind.

Die Situation in der Unterkunft am Quai Neudorf in Esch/Alzette habe sich seit dem Ausbruch der Coronakrise spürbar verändert, erzählt Abdel (Name von der Redaktion geändert) am Telefon. In den vergangenen Wochen sei es viel ruhiger geworden. Auch in den Heimen gelten die Sicherheitsbestimmungen. Die Geflüchteten dürfen die sozialpädagogischen Betreuer der Caritas nur noch in Notfällen sehen. Erster Ansprechpartner sind die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, die nach Motiven fragen. Nur in dringenden Fällen dürfen die Bewohner das Büro der Sozialarbeiter betreten. Vorher müssen sie sich die Hände desinfizieren.

Innerhalb des Gebäudes können sich die mehr als 100 Bewohner frei bewegen. Ausgänge sind grundsätzlich erlaubt, es wird aber davon abgeraten, damit niemand das Virus in die Unterkunft hineinbringt. „Diese Maßnahmen dienen nur zu unserem eigenen Schutz“, erzählt Abdel. Lebensmittel und Getränke seien in der Unterkunft ausreichend vorhanden.

Bewohner halten sich an Vorgaben

Um den Bewohnern trotzdem die notwendigen Informationen und neuesten Maßnahmen mitteilen zu können, haben die Sozialpädagogen eine WhatsApp-Gruppe gegründet.  Nachrichten über die Entwicklung der Pandemie lesen sie auf ihren Smartphones, die für viele Geflüchtete die einzige Verbindung zur Außenwelt und zu ihrer Familie darstellen.

„In Luxemburg werden zurzeit 335 Infizierte gezählt. Bei einer Bevölkerung von 600.000 Einwohnern ist das enorm, deshalb müssen wir gut aufpassen“, kommentiert Abdel die Zahlen vom Donnerstag. In der Escher Unterkunft habe es seines Wissens nach bislang noch keinen Coronavirus-Fall gegeben. „Die Bewohner halten sich an die Vorgaben, bleiben in ihren Wohnungen, waschen sich mehrmals am Tag die Hände. Ihr Zimmer verlassen sie nur, um zu duschen oder sich in der Gemeinschaftsküche etwas zu essen zu holen“, sagt Abdel.

Bereit für den Notfall

Um die Geflüchteten über die Maßnahmen in Kenntnis zu setzen, werde das Informationsmaterial des Gesundheitsministeriums auch in andere Sprachen übersetzt und in den Unterkünften aufgehängt, teilte das „Office national de l’accueil“ (ONA) des Immigrationsministeriums auf Nachfrage mit. Die Behörde organisiert die Unterbringung von Schutzbedürftigen auf nationaler Ebene und verwaltet über die Hälfte der insgesamt 55 Einrichtungen selbst. Die notwendigen Vorkehrungen, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern, würden den Bewohnern mitgeteilt. Auf diese Weise solle verhindert werden, dass es zu Panik und Spannungen in den meist dicht besiedelten Unterkünften kommt.

Zu möglichen Infizierten in Luxemburger Flüchtlingsheimen wollte sich das ONA nicht äußern. Man stehe aber in engem Kontakt mit der Gesundheitsbehörde, um eventuelle Fälle zu melden und ihre Behandlung gewährleisten zu können, erklärt eine Sprecherin. Auf die Frage, ob das ONA darauf vorbereitet sei, falls es zu einer Ausbreitung der Infektion in einer größeren Unterkunft kommen sollte, antwortet sie, die Behörde sei dabei, sich auf alle Eventualitäten einzustellen.

Bis zu zehn Menschen in einem Zimmer

Wie es in den über 50 anderen Flüchtlingsunterkünften aussieht, ist schwer zu ermitteln. Die Einrichtungen sind selbst außerhalb von Krisenzeiten für Außenstehende nur bedingt zugänglich. Seit Corona wurden die Sicherheitsvorkehrungen weiter verschärft. Um die Bewohner der Unterkünfte zu schützen und das Infektionsrisiko möglichst gering zu halten, sind laut ONA Besuche bis auf Weiteres verboten. In den großen Heimen seien die Speisesäle geschlossen worden, die Bewohner würden ihre Malzeiten nun auf ihrem Zimmer zu sich nehmen.

„Wir haben zurzeit keinen direkten Zugang zu den Heimen“, antwortet Frank Wies vom „Lëtzebuerger Flüchtlingsrot“ (LFR) auf unsere Anfrage. Mitglieder, die selbst Unterkünfte verwalten, habe der LFR für weitere Informationen nicht erreichen können. Man wisse aber, dass die Lage im Flüchtlingsheim „Lily Unden“ auf Limpertsberg ruhig sei.

Alle Empfehlungen der Regierung befolgt

Angespannt sei hingegen die Situation in der Erstaufnahmeeinrichtung im Gebäude der früheren Logopädie in Strassen, berichtet Wies. Dort seien aktuell bis zu 250 Personen untergebracht, 30 mehr als noch vergangene Woche. Teilweise würden sich bis zu zehn Menschen ein Zimmer teilen, Internet und Fernsehen seien nicht verfügbar.

Die Hilfsorganisationen Caritas und Croix-Rouge, die gemeinsam 24 Flüchtlingsheime im Auftrag der Regierung verwalten, wollten sich auf Nachfrage des Tageblatt nicht zu der aktuellen Lage in den Unterkünften äußern und verwiesen auf das ONA. Die Behörde befolge alle Empfehlungen der Regierung, teilte sie am Donnerstag auf Nachfrage mit. Die Schalter und der Bereitschaftsdienst des ONA seien wegen des Coronavirus nur noch für Notfälle geöffnet. Verwaltungsangelegenheiten würden fast nur noch über Telefon oder Briefverkehr abgewickelt, Termine vor Ort seien nur bei dringenden Problemen möglich.

Unklarheit in den Abschiebezentren

Schwierigkeiten und Unklarheiten gibt es laut LFR aber in den Abschiebezentren. Im Anhaltezentrum („Centre de rétention“) auf Findel seien am Dienstag 19 Personen entlassen worden. Darunter seien auch Menschen, die im Rahmen der Dublin-III-Regelung in ein anderes EU-Land gebracht werden sollten, sowie Migranten aus Nordafrika. Trotzdem befänden sich noch weitere Personen im Anhaltezentrum, die jetzt nicht verstehen würden, wieso sie nicht aus der Abschiebehaft entlassen werden. Zugleich sei das Personal des „Centre de rétention“ im Zuge der Coronakrise reduziert worden.

Angeblich würden auch immer noch Menschen in die Notunterkunft SHUK („Structure d’hébergement d’urgence“) auf Kirchberg gebracht, erklärt Frank Wies. Und das, obwohl wegen Grenzsperrungen auf unabsehbare Zeit keine Rückführungen in andere EU-Länder durchgeführt werden können. In diesem Zusammenhang stelle sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit von solchen Hausarresten („Assignation à résidence“) in der SHUK, wenn es ausgeschlossen sei, die betroffenen Menschen in ein anderes Land zu überführen, sagt Wies. Sowohl die SHUK als auch das Anhaltezentrum sind eigentlich nur für kurze Aufenthalte vorgesehen. Angesichts der unvorhersehbaren Entwicklungen im Hinblick auf die Coronakrise fordert der Flüchtlingsrat die Abschiebehaft und den Hausarrest vorübergehend aufzuheben und die betroffenen Menschen in die „normalen“ Flüchtlingsunterkünfte zu integrieren.

Wie viele Menschen zurzeit noch in der SHUK und im „Centre de rétention“ verharren, ist unklar. Die zuständige Einwanderungsbehörde wollte sich gestern nicht zu der Angelegenheit äußern und verwies auf den Pressesprecher von Außenminister Jean Asselborn. Bis Redaktionsschluss blieben unsere Fragen an den Minister unbeantwortet.

Blaat Gaston
21. März 2020 - 22.09

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