Interview Schulmediatorin Lis De Pina: „Die Leute haben sehr viel Angst vor den Institutionen“

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Das Büro von Schulmediatorin Lis De Pina gilt als letzte Instanz bei Streitigkeiten in der Schule Foto: Editpress/Anne Lommel

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Das Büro der Schulmediation wurde im Oktober 2018 neu gegründet und ist mit vier Mitarbeitern besetzt. Das unabhängig vom Bildungsministerium funktionierende Büro hat die Aufgabe, als letzte Instanz bei Streitigkeiten in den Bereichen Inklusion, Schulabbruch und Integration zu schlichten. Eine Besonderheit fällt dem Büro zu: Es kann bei Nichtbefolgung seiner individuellen Empfehlungen, zum Beispiel durch eine Schuldirektion, den Bildungsminister einschalten. Dadurch bekommt diese Empfehlung einen verpflichtenden Charakter. Das Tageblatt hat sich mit Schulmediatorin Lis De Pina über ihre Einschätzungen zum ersten Schuljahresbericht unterhalten, der kürzlich veröffentlicht wurde und bei Parlament und Regierung eingereicht wurde. Darin wurden insbesondere zehn generelle Empfehlungen an den Bildungsminister formuliert.

Tageblatt: In Ihrem ersten Schuljahresbericht haben Sie mehrere Empfehlungen an den Bildungsminister formuliert. Auf was haben Sie da besonders geachtet?

Lis De Pina: Wir haben im Bericht zehn Empfehlungen publiziert. Zwölf hatten wir formuliert, zwei haben wir aber nachträglich wieder entfernt, weil die Situation derart einzigartig war, dass man sie sofort hätte erkennen können. Und das wollen wir nicht. Denn der Aspekt der Vertraulichkeit ist für uns sehr wichtig. Ich denke, dass dies ein wichtiges Argument ist, damit die Leute zu uns kommen und um Hilfe bitten. Wir merken oft, dass die Leute, die zu uns kommen, sehr viel Angst vor den Institutionen haben.

Was waren denn die wichtigsten Empfehlungen?

Eine wichtige Empfehlung betrifft die „élèves nouveaux arrivants“, also die neu angekommenen Schüler. Das sind Kinder oder Jugendliche, die nach Luxemburg kommen und hierzulande noch nicht beschult wurden. Obwohl für diese Schüler spezielle Klassen vorgesehen sind, gehen manche von ihnen leer aus. Wir dachten immer, dass es sich dabei um Schüler handelt, die nicht mehr schulpflichtig sind. Jene, die schulpflichtig sind, werden prioritär behandelt. Dennoch hatten wir nun einen Fall, wo ein schulpflichtiger Schüler in keine dieser speziellen Klassen aufgenommen werden konnte. Deshalb haben wir dem Bildungsministerium eine Empfehlung ausgesprochen, dieses Thema noch mal genauer unter die Lupe zu nehmen und zu erörtern, was die reellen Bedürfnisse dort sind.

Was waren denn die häufigsten Fälle, die bei Ihnen gemeldet wurden?

Generell ist uns aufgefallen, dass wir am häufigsten mit der Inklusion in der Grundschule konfrontiert wurden. Das war die Mehrzahl der Dossiers, die wir hatten. Danach folgte die Inklusion im Sekundarunterricht.

Wie ist das zu erklären?

Weil die Kontinuität der Bedürfnisse dieser Kinder, die diese Maßnahmen in der Grundschule bekommen, nicht in jedem „Lycée“ garantiert werden kann. Eine Rolle können auch die Eltern spielen. Manche glauben, dass der Übergang zur Sekundarschule ein neuer Moment für das Kind sei, und sagen sich, dass es nun vielleicht auch ohne besondere Maßnahmen geht, und melden das der Schule nicht. Und dann bekommen diese Kinder sehr viele Probleme im Unterricht. Andererseits kann es sein, dass die Eltern sehr transparent vorgehen und der Schule ein ganzes Dossier voller Maßnahmen aushändigen, die das Kind bis dahin hatte. Manche Schulen fühlen sich dann überfordert und sagen, dass sie die Mittel dazu nicht haben. Das sind die Fälle, die für uns am schwierigsten sind, nicht zuletzt, weil sie sehr emotional sind.

Welche Probleme sind Ihnen noch begegnet bei Ihrer Arbeit?

Uns ist aufgefallen, dass es häufig sehr viele Missverständnisse gibt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Eltern das System nicht ganz verstanden haben, weil es in den schulischen Einrichtungen viele Akteure gibt. Es ist ein Nachteil, weil man dadurch schnell den Überblick verlieren kann. Es kann aber auch ein Vorteil sein, weil bei Problemen immer einer da ist, der die Situation aufgreift und das irgendwo zentralisiert. Für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen heißt das, dass es schneller als solches erkannt werden kann.

Haben Sie ein Beispiel?

Das Gesetz sieht im Falle einer Inklusion eine Referenzperson vor. Darüber werden die Eltern in einem Brief informiert, können aber meistens nicht viel damit anfangen. Für die Eltern ist die Lehrerin oder der Lehrer die Kontaktperson. Wir haben empfohlen, dass diese Referenzperson vor Ort präsenter sein sollte. Und dass die Eltern auf dem Laufenden gehalten werden, wenn beispielsweise in einer Versammlung zwischen Lehrkraft und Referenzperson etwas besprochen wurde. Wir glauben, dass es nicht reicht, diese Referenzperson in einem offiziellen Brief zu erwähnen. Sie muss auch physisch präsent sein. Uns ist es auch wichtig, dass die Eltern immer erst zu uns kommen, nachdem sie vor Ort versucht haben, eine Lösung für ihr Problem zu finden. Wir benötigen dann die Information, mit wem die Eltern schon alles gesprochen haben, damit wir gezielt sehen können, wo es nicht geklappt hat.

Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders nah ging?

Ja. Es ging um einen Schüler, der aufgrund einer Krankheit regelmäßig operiert werden musste. Dazu musste der Jugendliche viel ins Ausland reisen, um dort von spezialisierten Chirurgen behandelt zu werden. Da blieb nicht mehr viel Zeit, in die Schule zu gehen. Der Schüler bekam die Möglichkeit, durch einen Roboter beschult zu werden. Hier in Luxemburg gibt es insgesamt fünf Kinder, die auf diese Möglichkeit zurückgreifen können.

Bei diesem Schüler musste der Unterricht trotz Roboter oft ausfallen. Es gab zum Beispiel Probleme mit dem Internet in der Schule oder der Akku vom Roboter war leer. Dann wurde auch noch die Frage des Datenschutzes oder der Bildrechte aufgeworfen. Wir haben Kontakt mit der Datenschutzkommission aufgenommen und haben uns ähnliche Fälle in Frankreich angesehen. Mittlerweile hat sich das Problem gelöst.

Die Frage ist nur, wann fängt die Prävention beim Schulerhalt an? Schon im „Cycle“ 1 oder erst im Teenager-Alter? Das ist für uns problematisch.

Lis De Pina, Schulmediatorin

Sie werden auch oft bei Mobbing-Situationen kontaktiert, obwohl das nicht wirklich in Ihren Kompetenzbereich gehört. Wie gehen Sie da vor?

In der Tat. Wir werden viel von Eltern und jungen Menschen angesprochen, die sich in der Schule gemobbt fühlen. Das Problem ist, dass wir uns da in einer grauen Zone befinden. Unsere Kompetenzbereiche sind Schulerhalt, Inklusion und Integration. Wozu gehört nun eigentlich Mobbing? Wenn wir es im Bereich Schulerhalt platzieren, dann kann es in unseren Kompetenzbereich fallen. Die Frage ist nur, wann fängt die Prävention beim Schulerhalt an? Schon im „Cycle“ 1 oder erst im Teenager-Alter? Das ist für uns problematisch. Unsere Aufgabe ist es eigentlich, dafür zu sorgen, dass die Schüler, die nicht mehr schulpflichtig sind, ihre schulische Laufbahn nicht abbrechen. Aber andererseits können wir ja nicht die Augen verschließen, wenn wir solche Meldungen bekommen.

Wie gehen Sie dann vor?

Mobbing geht stets mit sehr viel Angst bei den betroffenen Schülern oder Eltern einher. Wenn sie sich bei uns meist anonym melden, sagen wir, dass wir nicht kompetent dafür sind, ihnen aber gerne weiterhelfen. Wir legen ein Dossier an, müssen dafür aber ein Minimum an Informationen bekommen. Manche melden sich leider nicht mehr. Bei den anderen fragen wir, ob sie sie sich beim Sepas („Services psycho-sociaux et d’accompagnement scolaires“) in der Schule, beim zentralen Cepas („Centre psycho-social et d’accompagnement scolaires“) oder bei der Schuldirektion gemeldet haben. Wenn sie dies alles gemacht haben und trotzdem nicht weiterwissen, dann probieren wir, Kontakt mit der Direktion aufzunehmen. Je nach Situation kontaktieren wir das Stop-Mobbing-Team, ohne denen die genauen Daten des Mobbing-Opfers mitzuteilen, weil wir ja stets die Anonymität gewährleisten müssen. Allerdings geben wir Stop Mobbing einige Tipps, in welcher Gemeinde oder welchem „Cycle“ sie sich umschauen sollten.

Wir sind ein unabhängiger Service des Bildungsministeriums, weil der Minister gerne möchte, dass wir unabhängig sind, um uns die ganze Bandbreite zur Verfügung zu stellen, um agieren zu können

Lis De Pina, Schulmediatorin

Wie sieht es mit den Zahlen des aktuellen Schuljahrs aus? Tendenz fallend oder steigend?

Dieses aktuelle Schuljahr sind wir bereits bei über 70 Meldungen. Das geht von Mund zu Ohr. Wir werden viel vom ORK („Ombudman für die Rechte der Kinder“, Anm. d. Red.) und Ombudsman Claudia Monti mit Fällen beauftragt, weil wir ganz andere Möglichkeiten haben wie sie einzuschreiten. Wir sind ein unabhängiger Service des Bildungsministeriums, weil der Minister gerne möchte, dass wir unabhängig sind, um uns die ganze Bandbreite zur Verfügung zu stellen, um agieren zu können. Wir merken, dass wir sehr viel mit der Mediation und Kommunikation gelöst bekommen.

107 Beschwerden

Im Laufe des Schuljahres 2018/2019 wurden 107 Beschwerden bei der Schulmediation gemeldet. 52 betrafen den Schulerhalt beziehungsweise Schulabbruch, 36 die Inklusion, 12 die Integration und 7 konnten keiner dieser Kategorien zugeordnet werden. Dabei kamen 53 Meldungen aus den Grundschulen, 38 aus dem Sekundarunterricht, 5 von den Kompetenzzentren und 11 aus Privatschulen.

Mit welchen Diensten arbeiten Sie noch zusammen?

Wir haben oft Anwälte, die hier anrufen, weil sie Eltern in ihrer Kanzlei sitzen haben und wenig Sinn drin sehen, anwaltlich vorzugehen. Oder Psychologen, die sich melden und uns Eltern vorbeischicken. Oder andere Institutionen, die mit Familien arbeiten. Wir hatten noch nie den Fall, dass sich hier jemand meldet, um einen anderen zu verpetzen oder ihm in den Rücken zu fallen.

Schulmediatorin Lis De Pina (Mitte) mit ihren Assistentinnen Almina Skrijelj (l.) und Carla Oliveira
Schulmediatorin Lis De Pina (Mitte) mit ihren Assistentinnen Almina Skrijelj (l.) und Carla Oliveira Foto: Editpress/Anne Lommel