LibyenVor der Lösungssuche in Berlin: Wer mitmischt im Krieg und wer welche Interessen hat

Libyen / Vor der Lösungssuche in Berlin: Wer mitmischt im Krieg und wer welche Interessen hat
Kämpfer der international anerkannten Regierung im belagerten Tripolis Foto: AFP/Mahmud Turkia

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Am Sonntag soll in Berlin auf einer internationalen Konferenz ein weiterer Schritt erfolgen, um Libyen zu stabilisieren und zu befrieden. Obwohl alle Konfliktparteien ihr Kommen zugesagt haben, ist zu viel Optimismus fehl am Platz. Dafür ist die Lage in Libyen zu verworren, dafür haben zu viele Regionalmächte ihre Finger im Spiel. Doch scheitert auch die Berlin-Konferenz, droht der libysche Bürgerkrieg endgültig in einen offenen regionalen Konflikt vor den Toren Europas umzuschlagen. 

Auch mehr als acht Jahre nach der Revolution bleibt Libyen ein sogenannter Failed State. Mehrere Regierungen konkurrieren um die Macht. Die Vereinten Nationen und die Europäische Union erkennen jene an, die kaum Macht hat. Was Armee ist im rohstoffreichen Wüstenstaat und was Miliz, liegt im Auge des Betrachters. Dabei ist das Land, das von 1969 bis 2011 von Diktator Muammar Gaddafi geführt wurde, ein Scharnier zwischen Europa und dem Afrika, das südlich der Sahara beginnt.

Das libysche Chaos strahlt in beide Richtungen. Von Libyens Mittelmeerküste legen die Flüchtlingsschiffe ab, die die Staaten der Europäischen Union entzweien. Die Länder im Süden Libyens wurden und werden mit Waffen geflutet aus den endlos erscheinenden Beständen des Gaddafi-Regimes. Die Grenzregionen zu Tschad und Niger gelten als Rückzugsorte für Dschihadisten, die den Terror nach Mali, Niger oder zuletzt verstärkt nach Burkina Faso tragen.

Suche nach Frieden, Hoffen auf Öl

In den beiden vergangenen Wochen ist viel versucht worden, den Konflikt diplomatisch zu lösen. Vor allem Russland und die Türkei gaben mit einem Treffen der Konfliktparteien den Ton an. Dieser Versuch mündete aber nur in einem Teilerfolg, da die Modalitäten zu einem eigentlich bereits in Kraft getretenen Waffenstillstand nicht von allen Seiten akzeptiert wurden. Am Sonntag unternimmt Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel mit Führern von am Libyen-Konflikt beteiligten Staaten bei einer Konferenz in Berlin einen nächsten Schritt in Richtung Friedenslösung.

Doch wer sind die verschiedenen libyschen Akteure? Wer greift von außen ein und was sind die Interessen? Und wie sieht die Lage in Libyen derzeit überhaupt aus? Wir versuchen, vor der Libyen-Konferenz in Berlin die unterschiedlichen Beweggründe der wichtigsten Konfliktparteien zu beleuchten. Wie immer, wenn es um Libyen geht, ist es zentral, sich die Zusammensetzung dieses Staates in Erinnerung zu rufen. Libyen, wie wir es heute kennen, entstand erst mit der Annektierung und späteren Kolonialisierung durch Italien im Jahr 1912. Damals wurden mit Kyrenaika, Tripolitanien und Fessan drei Provinzen des zerfallenden Osmanischen Reiches in einen Staat zusammengeschlagen. Alle Sollbruchstellen dieses Staatskonstrukts traten nach dem Sturz Gaddafis wieder zutage. Hintergrund ist, wie immer in Libyen, die Verteilung des Reichtums des Landes – Öl und Gas.

Die libyschen Akteure

Die von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung hat ihren Sitz in der Hauptstadt Tripolis. Sie ist somit auch Gesprächspartner der Europäischen Union und deren Partner in der Flüchtlingspolitik. Ministerpräsident dieses Government of National Accord (GNA) ist Fayiz al-Sarradsch. Sarradsch ist damit seit 2016 anerkannter Ministerpräsident Libyens. Er ist das auf Basis eines 2015 in Marokko mit dem Segen des UN-Sicherheitsrates ausgehandelten Abkommens, des Libyan Political Agreement.

Fayiz al-Sarradsch ist der international anerkannte Ministerpräsident Libyens, aber praktisch machtlos
Fayiz al-Sarradsch ist der international anerkannte Ministerpräsident Libyens, aber praktisch machtlos Foto: AFP/Mahmud Turkia

Das Problem dabei: Sarradsch ist sehr schwach und kontrolliert, wenn überhaupt, nur Teile von Tripolis. Und es gibt eine weitere Regierung, im Osten des Landes, mit einem eigenen Parlament, dem House of Representatives (HoR) in der Stadt Tobruk. Das HoR war sogar früher da, bekam seine Legitimität aber späterhin abgesprochen, was es in seinem Fortbestand wiederum nicht behindern sollte. Die Armee (oder Miliz) dieser Regierung wird von Feldmarschall Khalifa Haftar geführt, heißt Libya National Army (LNA) – und steht nach einem Vormarsch Richtung Westen seit vergangenem April vor den Toren von Tripolis und fordert dort Sarradsch und seine Regierung heraus. Verteidigt wird diese von vier Milizen, die prächtig an diesem Geschäft verdienen. Haftars Truppen kontrollieren mittlerweile neben dem Osten weite Teile des Westens und des Südens in Libyen. Den Süden bevölkern zwei nicht arabische Minderheiten, die Tubu im Osten, die Tuareg im Westen.

Feldmarschall Khalifa Haftar will al-Sarradsch von der Macht verdrängen und belagert seit Monaten mit seinen Truppen die Hauptstadt Tripolis
Feldmarschall Khalifa Haftar will al-Sarradsch von der Macht verdrängen und belagert seit Monaten mit seinen Truppen die Hauptstadt Tripolis Foto: AFP

Die ausländischen Akteure

Wichtigste Unterstützer sind die Türkei und Katar auf Seiten des GNA von Sarradsch (im Westen) sowie Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate auf Seiten der LNA von Haftar (im Osten). Ägypten verfolgt mit der militärischen Unterstützung Haftars eigene Sicherheitsinteressen. An Ägyptens Grenze soll kein Rückzugsgebiet für Dschihadisten entstehen. Und würde die LNA zerbrechen, wäre ein Bürgerkrieg im Osten eine durchaus mögliche Folge.

Die Türkei wiederum hat in Libyen ein massives strategisches Interesse und eine nicht zu unterschätzende historische Verbindung. In und um die Großstadt Misrata leben mehrere Hunderttausend Nachfahren von Soldaten aus Zeiten des Osmanischen Reiches. Diese sehen sich zum Teil ebenso als Türken, wie sie von Ankara als eigene Staatsbürger wahrgenommen werden. Dazu stammt die schlagkräftigste der vier Milizen, die Sarradsch in Tripolis stützen, aus Misrata. Aus diesem Grund spricht Erdogan auch davon, seine „Brüder“ in Libyen nicht im Stich zu lassen.

Wichtiger noch sind die Wirtschaftsinteressen. Für die Türkei (selber in wirtschaftlichen Turbulenzen und mit kaum mehr Zugang nach Ägypten und schwindendem in den Sudan) ist Libyen ein Hoffnungsmarkt – wegen des Öls, wegen des Wiederaufbaus, wegen künftiger Rüstungsexporte. Die Türkei betreibt zur Unterstützung Sarradschs ein Drohnensystem, daneben liefern pensionierte türkische Offiziere in Generalsrang militärische Beratung. Seit zwei Wochen schickt die Türkei auch offiziell Militärberater nach Libyen, am Mittwoch sagte der türkische Präsident Erdogan, er werde ebenfalls reguläre Soldaten zur Sicherung von Tripolis nach Libyen beordern. Damit wurde eine neue Stufe der Eskalation gezündet.

Die drei Regionen Tripolitanien, Kyrenaika und Fessan bestimmen weiterhin, wie das Herz Libyens pocht. Die Truppen Haftars kontrollieren den ganzen Osten und weite Teile des Südens und belagern seit Monaten die Hauptstadt Tripolis, wo Ministerpräsident al-Sarradsch von vier Milizen verteidigt wird. Tuareg und Tubu sind nicht-arabische Minderheiten in dem rohstoffreichen Wüstenstaat.
Die drei Regionen Tripolitanien, Kyrenaika und Fessan bestimmen weiterhin, wie das Herz Libyens pocht. Die Truppen Haftars kontrollieren den ganzen Osten und weite Teile des Südens und belagern seit Monaten die Hauptstadt Tripolis, wo Ministerpräsident al-Sarradsch von vier Milizen verteidigt wird. Tuareg und Tubu sind nicht-arabische Minderheiten in dem rohstoffreichen Wüstenstaat. (Grafik: Tageblatt)

Ägypten steht dem verstärkten Eingreifen der Türkei äußerst kritisch gegenüber. Neben den erwähnten Sorgen einer islamistischen Machtübernahme im Nachbarland befürchtet Kairo eine türkische Stärkung der Muslimbruderschaft, die der ägyptischen Führung innenpolitisch als Hauptfeind gilt. Erdogan gilt als Unterstützer der Muslimbrüder. Sollte der Konflikt nicht beigelegt werden und die Türkei ihre militärischen Bemühungen intensivieren, ist ein direktes militärisches Eingreifen Ägyptens nicht auszuschließen. In der vergangenen Woche wurde dies bereits im Parlament in Kairo diskutiert. In diesem Fall droht aus dem libyschen Bürgerkrieg ein offener regionaler Konflikt zu werden.

Die Europäer

Von den Europäern sind besonders Franzosen und Italiener in Libyen aktiv. Die Italiener nur auf Seiten des GNA, etwa indem sie ein Militärkrankenhaus betreiben. Die Franzosen unterstützen offiziell ebenfalls die anerkannte Regierung von Sarradsch, unterhalten gleichzeitig enge Verbindungen zu Haftars Armee. Für die Franzosen ist Libyen vor allem im Hinblick auf seine Interessen in den Sahelstaaten Niger und Mali im Kampf gegen den Terror von strategischer Bedeutung. Auf Seiten von Haftars Truppen kämpfen auch Hunderte russische Söldner, für deren Einsatz Moskau aber jede Verantwortung von sich weist. Politisch steht Russland hinter Haftar. 

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schloss am Freitag in einem Gespräch mit dem Spiegel einen Militäreinsatz der Europäischen Union in Libyen nicht aus. „Wenn es einen Waffenstillstand in Libyen gibt, dann muss die EU bereit sein, bei der Umsetzung und der Überwachung dieses Waffenstillstandes zu helfen – eventuell auch mit Soldaten“, sagte der Chefdiplomat der Staatengemeinschaft. Erste Freiwillige gibt es auch schon: Griechenland erklärte sich gestern bereit, sich an EU- oder anderen Friedenstruppen für Libyen zu beteiligen.